Theodor Rohmer

Deutschlands Beruf in der Gegenwart und Zukunft


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große Intentionen der deutschen Geschichte, wie sie in den verschiedenen Zeiträumen hervorleuchten, Reinigung des erstorbenen Volksgeistes, Aufbau einer höheren Weltordnung, die Hegemonie von Europa, ewige Wahrung vor hierarchischer Herrschaft, allseitige Ausbildung des deutschen Lebens nach innen und außen, Begründung einer unumstößlichen Verfassung, Restauration des Christenthums, ewige Freiheit des Geistes, wie dauernde Sicherung gegen freche Frivolität — sie alle finden in dem Einen Prinzip ihre höchste Erfüllung.

      Dem deutschen Volk aber wird es Eine Seele verleihen, Eine Seele dem Volke, das nur der innern Einheit bedarf, um das größte und glücklichste zu sein unter allen Völkern. Jener geistige Vorgang, den die Deutschen seit den ersten Zeiten, den sie noch durch die Reformation ausgeübt, dessen Hingabe an französische Aufklärung ihnen ein Jahrhundert voll Schmach und Elend gekostet, wird ihnen wiedergegeben sein; unsere Fehler, so schrecklich in Zeiten des Zwiespalts, jenes Eingehen besonders in fremde Charaktere, werden uns fördern, wenn Ein Wille die Nation bewegt, wenn Fürsten und Völker von Einem Zuge getrieben sind. Das freilich vermag nur ein weltmächtiges Wort, ein Wort voll göttlicher Kraft und Gewalt, entsprungen aus dem tiefsten Streben des Volkes und deßhalb verständlich für Sinn und Herzen des ganzen Volkes. —

      Das ist der Trost, den die deutsche Geschichte dem deutschen Bewußtsein gibt. Ohne das ist jene, wie dieses, öd, leer, hoffnungslos, ohne Ziel und Zweck, voll Schmach und Elend; mit jenem Trost herrlich, groß, ruhm- und hoffnungsreich, voll innerer geistiger, voll von Keimen auch der äußern Größe. Denn für das höchste Ziel des menschlichen Wollens, für die Lösung der uralten Räthsel, konnten und mußten wohl die höchsten Opfer, Untergang der äußern Hoheit und Einheit, ja Verlust der höchsten Güter des Lebens, die ein Volk besitzen kann — um diesen Preis, sage ich, mochten sie gebracht werden. Er konnte nicht Eines Jahrhunderts Frucht sein, noch ist er der Trost nur Eines Jahrhunderts, sondern, wie die Zukunft aller menschlichen Geschichte, die Bildung der Kirche, wie des Staats, die Gestaltung der Erde darin beschlossen liegt, so mußte Jahrhundertlanger Kampf vorausgehen. Dazu allein sollte der deutsche Geist, abgewandt von aller gemeinsamen politischen Herrlichkeit, in den verborgenen Tiefen arbeiten, sollte er fremde Literatur, fremdes Wissen, ja fremde Sitten, bis zur Erniedrigung aufnehmen, sollte er durchdrungen werden von französischem, englischem Wesen, ja überhaupt vom europäischen, zubereitet und umgeschmolzen durch kosmopolitische Einflüsse. Jetzt wiederum, wenn das große Wort gefunden ist, wird das Herz von Europa, wie es gelitten und gekämpft hat für alle europäischen Völker, die Fülle seines Segens ausströmen über ganz Europa.

      Solch eine Zuversicht ist freilich den Einen ein Aergerniß, den Andern eine Thorheit. Wie kann ein Wort so große Dinge thun? Wie kann ein Princip in so vielseitiger, bewegter Zeit entstehen, wie kann es das Entgegengesetzte einen, das tausendfache Leben durchdringen? So fragen sie, und antwortet man ihnen: Was war das Christenthum anders als ein Princip, was der Muhamedanismus als ein Princip, was die Reformation anders als ein Princip, so wissen sie dieß und jenes zu erwiedern: daß diese Zeiten vorüber seien, daß die jetzige Zeit sich von selbst (wie, ist nicht abzusehen) helfen werde, daß das deutsche Volk, ohne zum Ziel zu kommen, in Ewigkeit fort philosophiren, daß es übrigens eine achtbare Stelle unter den Nationen einnehmen werde, freilich entfernt von aller Superiorität, welche ja allem Gleichgewicht widerspräche, daß leider wohl unsere Zwietracht niemals ganz erlöschen werde, um so weniger aber, als ein neues Princip als neuer Zankapfel auftauchen würde, daß übrigens dergleichen sanguinische Tröstungen dazu allein tauglich seien, die Deutschen in ihrer angebornen Ideologie, d. h. in ihrer verderblichen Unkenntniß des reellen Lebens zu bestärken. Wenn diese Leute eines Trostes bedürfen (und wie Viele gibt es nicht, die eine so aufgeklärte Zeit, wie die unsrige, für gesund halten an Leib und Geist!), so finden sie Trost genug in der Hoffnung, daß das Christenthum von Tag zu Tag gereinigter, der Glaube und die Erkenntniß von Tag zu Tag vernünftiger werden wird, oder wohl auch, daß der Zeitgeist nach und nach die Religion entbehrlich machen kann, indem er die reine Vernunft (ohne allen Inhalt) an ihre Stelle setzt: ein Resultat, das durch die vereinigten Fortschritte der europäischen Völker von selbst erreicht wird, ohne daß es hiezu des deutschen Geistes oder eines deutschen Princips insbesondere bedarf. Was aber die Politik und die socialen Verhältnisse betrifft, so halten sie Deutschland berufen, französische und englische Elemente, freilich in ihrer eigenen Weise zu verarbeiten, um allmählig zu politischer Mündigkeit zu gelangen.

      Ich glaube aber, es gibt noch Manche, wollte Gott, Viele, die sowohl die Gebrechen der Zeit, als den Beruf Deutschlands in höherem Lichte betrachten, denen die Zukunft bang und schwer auf dem Herzen liegt, und deren Seele bewußt oder ahnend auf einen Lichtstrahl des Geistes harrt, der von Deutschland aus die düstern Wolken der Zeit durchbrechen soll. Solchen dünkt es kein Phantom, daß der Kampf des Christenthums mit der Philosophie, wie er in Religion und Wissenschaft, in Staat und Kirche seit Jahrhunderten gekämpft wird, der Kampf der alten Weltordnung mit einer neuen ist, daß Deutschland allein ihn auszukämpfen vermag, daß Deutschland, wie auch der Ausgang sein möge, der Mittelpunkt der Weltordnung bleiben muß. Kein Ausgang aber ist denkbar ohne ein inhaltsschweres Princip, kein Princip ohne die ungeheuerste Vorarbeit des ganzen Volksgeistes, wie sie in der deutschen Geschichte vorliegt seit den Tagen der Reformation.

      Warum nun hat im Gefolge dieser Einen Tendenz unser Charakter sich also umgewandelt? Der Deutsche ist gleich einem Manne, der alle Kraft seines Willens, jeden Trieb seines Geistes einem verborgenen Zwecke zukehrt; alles Andere wird beseitigt, hintangesetzt, vergessen; geknechtet, gefesselt erscheint sein ganzes Thun und abgestorben die Fülle seiner Kraft: plötzlich erhebt er sich, erlöset vom langen Geistesdruck, und der entfesselte Wille bricht sich hundertfältige Bahn. Und noch ist Eines nicht zu vergessen: eines jeden Volkes Charakter, wenn auch unwandelbar begründet in der Natur, ändert sich nach der Entwicklung der Zeiten, der deutsche insbesondere, weil er vor allen die Entwicklung in sich darstellt. Wie nun Thatkraft und Wille im Mittelalter, so herrscht Geist und Verstand in der neuen Zeit vor; dasselbe Volk, das damals geherrscht mit physischer Uebermacht, soll in unsern Tagen herrschen mit geistiger. Nur bis jetzt ist weder die Thatkraft in richtigem Verhältnisse zum Geiste, weil gebannt und unterdrückt, noch der Geist selbst frei und ledig, vielmehr vermischt mit andern fremden Geistern und beladen mit Massen von Stückwerk, freilich nur, um ganz und gar durchdrungen zu werden vom allgemeinen Geiste.

      Und warum ist an der ganzen Entfaltung europäischer Größe nach außen hin Deutschland theilnahmlos geblieben? Es mag ein Volk, das innerlich leidet, nach außen getrieben werden, das deutsche Volk war nach außen beengt, nach innen gestachelt. Die Entdeckung von Amerika hatte die Bahn des Welthandels verändert; der deutsche Handel, die deutsche Seemacht, über alle Meere noch ausgebreitet zu Karls V. Zeit, gingen zu Grabe. Die Ungunst des Geschicks zu ersetzen, vermochte nur eine ungemeine materielle Anstrengung; nicht einmal Venedig konnte es, wie vielweniger das in kirchliche Fragen verlorne Deutschland! Zu seiner Aufgabe bedurfte Deutschland nur der allseitigsten Berührung mit der europäischen Civilisation, nicht eines Ausgehens über andere Welttheile, wodurch die innere Kraft nur zersplittert werden konnte. Ueberdieß aber ist die deutsche Natur vorwiegend kontinental, ans Land, an den Ackerbau gebunden. Nicht als ob überhaupt maritimes Geschick den Deutschen mangelte; hievon hat die Hansa das volle Gegentheil gelehrt und lehren es noch ihre Ueberbleibsel; nicht als ob außerhalb Europa keine Geltung den Deutschen beschieden sein sollte: sind ja doch in Nordamerika sichtlich, unmerkbar in andern Reichen schon mächtige Keime gelegt: aber zunächst und vor Allem ist es Deutschlands Beruf, ordnend und richtend in Mitten Europas zu stehen; hiedurch zugleich in die andern Weltgeschicke einzugreifen.

      Warum endlich Frankreich, warum England in der politischen Entwicklung uns so mächtig vorangeeilt? Der romanische Geist, oberflächlicher als der deutsche, aber eben deßhalb schneller und gewandter, verwandelt mit eigenthümlicher Leichtigkeit innere Vorgänge in äußere, und indem er geistige Fragen auf die Spitze treibt, ergreift er im Fluge die praktischen Pointen, und zieht er die socialen Konsequenzen. Wie es demnach im germanischen Wesen liegt, auf der Grundlage, die es gelegt, unermüdlich behutsam weiter zu bauen, bis das Werk zur innern und äußern Vollendung gediehen, so ist es der romanische Beruf, den äußern Anstoß mit Macht zu geben, und durch beständige Experimentation das große Werk zu beschleunigen. Fichte, in den Reden an die deutsche Nation, hat dieß in seiner ganzen historischen Bedeutung auseinander gesetzt. Noch leichter ist zu sehen, wie in England die