man eine sociale Idee der Idee entgegensetzen müssen; allein die Deutschen glichen in der Politik unmündigen Kindern; das deutsche Volk war mit innern Problemen beschäftigt, deren Auflösung zu entfernt war, um staatliche Konsequenzen daraus zu ziehen; man staunte und ließ Ereignisse über sich ergehen, welche wohlverdient waren, da die Selbstsucht der einzelnen Staaten die höchste Stufe erstiegen hatte.
Was in der Zeit der Aufklärung die Regenten selbst gewollt, wurde verdächtig, als das Volk in Frankreich sich erhob. Ohne den langhergebrachten Einfluß französischer Gesittung in Deutschland würden die Fürsten nicht in so hohem Grad vor der Nachahmung gebangt haben, würde Deutschland in seiner Entwicklung nicht aufgehalten worden sein. Die Epoche der konstituirenden Versammlung wurde von den Deutschen, nicht nur im Allgemeinen, sondern von bedeutenden Männern, wie z. B. Klopstock, mit Entzücken begrüßt; auch später vermochten Viele von der Hoffnung nicht abzulassen, bis der Konvent Alle enttäuschte. An den Früchten erkannte man den Geist, und die „Aufklärung“ erhielt den Todesstoß. Andrerseits gemahnte die neue Freiheit das Volk an seine alten Rechte; man erinnerte sich, wie weit die Allgewalt der Fürsten gediehen sei; aber erst Napoleon mußte diesen begreiflich machen, daß der Staat nicht auf ihrer Willkühr, sondern auf der Volkskraft beruhe.
Napoleon zeigte den Deutschen ihre unsägliche Ohnmacht, den größten, wie den kleinsten Mächten, daß ihre Macht allein in der Eintracht liege; das deutsche Volk, wehrlos seit Jahrhunderten, machte er wehrhaft, theils durch die militärische Organisation des Rheinbundes, theils durch die Nothwendigkeit, worein er Preußen und Oestreich versetzte, die alte Landwehr herzustellen. Man kann den Feind nicht besiegen, ohne ihn zu kennen. Das Volk wußte nicht, wer in Napoleon zu bekriegen sei: er war ihm lange nur der Mann des Schicksals, weder freundlich noch feindlich; die Fürsten waren ihm unterworfen; erst als die blödesten Augen sehen konnten, daß es um Sein oder Nichtsein sich handle, erst dann fing man an, ihn mit Geist und Kraft zu bekriegen. Ein Mann, der eben so sehr Restaurant als Revolutionär, eben so sehr Protestant als Katholik war, der entweder kein oder die verschiedensten Principien in sich darstellte, war nöthig, um alle Parteien, Fürsten und Völker gegen sich zu bewaffnen. Also einigte sich Deutschland nach jahrhundertlanger innerer Trennung zu dem einzigen Zwecke: die Nationalität zu retten. Wie er erfüllt war, verschwand auch die Einigkeit; sie währte nicht länger, als der Sieg und die Siegesfreude.
Zu derselbigen Zeit, da das Vaterland von dem schwersten Joche gedrückt war, das seine Geschichte kennt, verherrlichten große Dichter und Schriftsteller den deutschen Namen. Im tiefsten Elend, ohne Zusammenhang mit den vaterländischen Krisen, erhob sich eine Literatur von weltbürgerlicher, europäischer Art. Sie vor Allem beweist das ungeheure Mißverhältniß zwischen unsrer innern auf der einen, zwischen der staatlichen Entwicklung auf der andern Seite. Während wir politisch weiter nicht waren, als so weit, um den zurückzuweisen, der uns zu Nichts auflösen wollte (nicht weit genug, um Etwas zu sein), umfaßte unsre Dichtkunst alle Elemente der geistigen und politischen Welt[8]. An Gehalt, wie an deutscher Art des Geistes Allen überlegen, ist Göthe der König der damaligen Literatur; aber ein tiefes Gemüth und eine bezaubernde Hoheit der Idee haben Schillern jenen Platz im Herzen des Volkes eingeräumt, wie ihn Niemand vor ihm und nach ihm besessen hat. Das tiefste Streben, das dem Menschen inwohnt, das den Deutschen beseligt, den Drang nach Wahrheit hat Göthe im Faust, den höchsten Zug des Jahrhunderts, die Freiheit, die Mutter auch der deutschen Zukunft, hat Schiller im Marquis Posa ausgeprägt. Ihnen ebenbürtig und gleich, hat Jean Paul das deutsche Leben nach allen Seiten, nach Natur und Erziehung, in politischer und religiöser, socialer und familiärer Beziehung aufgefaßt, und (zum ewigen Andenken au eine so seltsame Zeit) in seinen Dichtungen abgeschildert[9].
Mit solchen Kräften vermochte das deutsche Volk den Untergang des Reiches zu überleben. Der Wiener Kongreß stellte es der Zeit gemäß wieder her, indem er Titel hinwegwarf, die seit Jahrhunderten wie zum Hohne bestanden hatten, und an die Stelle des Reichstages den Bundestag setzte. Eine kleinere Zahl von Staaten, ein gesicherter Rechtszustand und einige Garantieen gegen den Mißbrauch der Souveränetät machten das deutsche Volk glücklicher, als es zuvor gewesen war. Aber die innere Spaltung, die äußere Schwäche blieb; Deutschland wurde bald von Westen begeistert, bald von Osten geleitet, einmal von seinen Ständen betrogen, das andre Mal von seinen Fürsten bestraft. Man erlaube mir, vorläufig die neueste Zeit zu überspringen, sie als vorbereitend zu betrachten auf ein Kommendes. Es liegt in ihr keine besondere Leistung, keine selbsteigene Schöpfung (eine einzige materielle ausgenommen); aber fünf und zwanzig Jahre eines glücklichen Friedens sind hinreichend, um eine lange, schwere Vergangenheit zu verarbeiten, zu erkennen, was Noth thut, und im Stillen Großes zu gebären, wenn anders Großes jemals geboren werden soll.
Kapitel IV.
Letzte und höchste Intention der deutschen Geschichte.
Das große Werk, wozu die Reformation den Anstoß gegeben, worum drei Jahrhunderte geblutet und gekämpft, zu vollenden, ist Deutschlands Beruf in der Gegenwart.
Die Reformation hat den Protestantismus der katholischen Kirche gegenüber gestellt und dadurch Deutschlands innere Einheit zerstört, indem sie zwei Tendenzen schuf, welche, nach langen Kriegen gleich berechtigt, im Volks- und Staatsleben sich entgegengesetzt ausprägen mußten.
Von da an entwickelte sich steigend der Geist der Forschung, (der protestantische Geist) gegenüber dem Geiste des Glaubens, wie er in der katholischen Kirche sich erhielt. Die ganze Lebenskraft der Deutschen zog sich nach innen zurück, während sie nach außen von Ohnmacht zu Ohnmacht sank. Es galt die Frage, ob das Christenthum die Grundlage der Weltordnung bleiben solle.
Diese Frage ward von den Franzosen verneint, auf die Verneinung eine neue Weltansicht, auf diese ein neuer Staat gebaut. Eine Antwort (wenn auch eine negative) ist aber von mächtigerer Wirkung als keine; es lag ein geistiger Vorgang darin, dem die Deutschen auf eine Zeitlang unterlagen. Endlich, nach großen Drangsalen, sah man ein, daß jene Antwort eine falsche war, daß mindestens die neue Ordnung, welche darauf gegründet worden, nicht die wahre sei.
Es ist jetzt an den Deutschen, zu antworten. Andere haben zerstört; sie sollen aufbau’n. Der Protestantismus, wie er unverrückt nach der Wahrheit gestrebt hat, muß aus seiner Mitte ein Princip erzeugen, welches die innersten Fragen des Geistes und die tiefsten Probleme der Zeit zu lösen vermag.
Dieses Princip wird die höchste Sehnsucht der Menschheit, die Sehnsucht nach einer gerechtfertigten Weltanschauung, nach einem bewußten Verhältnisse der Menschen zu Gott, befriedigen. Indem es die Wahrheit findet, so weit sie zu finden uns beschieden ist, wird es, nicht durch leere Vermittlung, sondern durch die selbsteigene Fülle seines Inhalts die Gegensätze versöhnen, woran in hundert Gestalten die Gegenwart sich verzehrt. Entsprungen aus dem Zweifel, wird es den Zweifel vernichten; zurückstrahlend auf die Dogmen des Christenthums, wird es die Religion verklären, welche zu ihm sich verhält, wie gemüthliche Ahnung zu bewußter Erkenntniß, wie Anschauung des Gefühls zur Klarheit des Geistes. Und gleichwie aus dem Christenthum ruhig und naturgemäß die Kirche erwachsen ist, so wird aus ihm friedlich und sicher der Staat sich entwickeln, jener wahre Staat, nach dessen organischer Begründung das Jahrhundert vergebens gerungen hat; so zwar, daß Staat und Kirche, weil beide, beruhend auf göttlichen Grundlagen, Hand in Hand zu gehen vermögen, diese aber von jenem in demselben Maße geleitet werde, als die Triebe des Gemüths in der menschlichen Seele der Macht des Geistes sich unterordnen, ohne doch in ihr aufzugehen.
Also wird auch der Protestantismus, wenn die Sendung erfüllt ist, um deren Willen die Vorsehung ihn ausgeschieden hat, wieder eins werden mit dem Katholicismus; dieser letztere wird erkennen, daß über dem Princip, in dem die Kirche wurzelt, ein zweites sich erhebt, welches allein dem seinigen Bestand verleihen kann, daß Philosophie und Religion, als die zwei Spitzen der Menschenseele, statt zu kämpfen, sich ergänzen sollen. Nicht anders wird im Staate vor der wahren Freiheit die Revolution eben so sehr zusammenschwinden, als der Absolutismus, jene, weil nicht in der Gleichheit, sondern in organischer Ueber- und Unterordnung die Freiheit besteht, der letztere, weil nicht die fürstliche