Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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in den letzten Tagen mit seinen Mäusen und Hampelmännern noch genug verdient, hatte die Aschanti-Gesandtschaft, welche noch immer in Monrovia weilte, auch vollständig ausgeplündert. Dann hatte er ja auch von einheimischen, schon zvilisierten Negern genug bares Geld erhalten.

      Zuletzt hatte der Schacher ein Ende genommen. Sein Vorrat war wohl erschöpft. Für die letzte Maus hatte er ›nur‹ zehn Dollar bekommen. Er mußte so ›billig‹ werden, weil die anderen weißen Händler den Niggern so lange vorgeredet hatten, daß sie ja furchtbar übers Ohr gehauen würden, daß sie einer Woche so eine Maus für ›nur‹ einen Dollar bekommen könnten, bis diese es glaubten und sich so lange noch gedulden wollten.

      Da aber hatte sich Karlemanns Vorrat, wie gesagt, schon erschöpft – und das Fett hatte er auch schon abgeschöpft, und das gründlich und natürlich für immer.

      In acht Tagen würde man vielleicht für die ersten Mäuse wirklich noch einen ganzen Dollar nehmen können, dann trat die Reaktion ein – Stück für Stück einen Groschen.

      Aber wohin der kleine Schacherjude das Geld und besonders den kostbaren Schmuck brachte, das war für alle, die sich dafür interessierten – und wer hätte sich in Monrovia nicht dafür interessiert! – ein geheimnisvolles Rätsel.

      Abgeschickt hatte er nichts wieder, keinen Schmuck verkauft, nichts auf die Bank gebracht. Die Vermutung lag ja sehr nahe, daß er alles eben auf seiner Jacht hatte – denn des Schmuckes war so viel, daß er den wohl kaum bei sich am Körper tragen konnte.

      Dem widersprach aber der Charakter des kleinen Mannes, soweit man diesen bisher kennen gelernt hatte. Denn Kapitän Algots war trotz seines Knabenalters eine äußerst mißtrauische, vorsichtige Natur, und betreffs seiner Jacht war er nun geradezu wieder leichtsinnig, indem er z. B. keine Polizei an Deck aufgestellt hatte, was sehr oft Schiffe tun, sie in den Händen von ihm noch unbekannten Matrosen ließ, und dabei blieb der kleine Mann auch oft genug Nachts aus, trieb sich wenigstens bei Nacht noch in der Stadt umher, war also auch persönlich sorglos, und dies wäre doch nicht der Fall gewesen, hätte er seine Schätze bei sich oder an Bord gehabt.

      Dies war wenigstens sicher anzunehmen. Kurz, man grübelte darüber nach, wo er sein vieles Geld und die Wertsachen wohl aufbewahren könnte. –

      Doch kehren wir wieder in das Hotel zum blauen Mast zurück.

      Da es sich um eine Privatjacht handelte, waren keine weiteren Formalitäten nötig, welche sonst die Seebehörde bei einer Abmusterung fordert, und Karlemann begab sich in das Hinterzimmer.

      Obgleich die kleinen Stromer gar nicht so verhungert sein konnten, waren sie doch wie die Wölfe über die Beefsteaks und die anderen guten Sachen hergefallen, die man ihnen vorgesetzt hatte. Das war eben etwas anderes als die ewigen Erbsen mit anrüchigem Salzspeck, und nur wer selbst einmal einige Monate steinharten Schiffszwieback mit dem Hammer zerschlagen und mit den Zähnen zermalmt hat, der erst weiß frisches, gesäuertes Brot zu würdigen.

      Karlemann forderte sie auf, ihren zehn- bis fünfzehnjährigen Lebenslauf zu erzählen. Es kann summarisch abgemacht werden.

      Echte Berliner Kinder. Entweder stammten sie aus Kellerlöchern oder hatten das Licht der Welt am nächsten dem Himmel erblickt. Nur der eine war in der Bel-Etage geboren worden, hatte auch ›zeit seines Lebens‹ nur in den feinsten Häusern gelebt, denn seine Eltern waren berufsmäßige Trockenwohner.

      Nachbarschaft in einem Stadtviertel, mehr noch Geistesverwandtschaft und gleiche Ideale hatten sie zusammengeführt. Nachdem sie die Theorie in Indianerschmökern studiert hatten, gingen sie zur Praxis über. Sie legten im Geiste ihre weiße Haut ab, wurden Rothäute.

      Ihr Jagdgebiet war eine Gartenkolonie – so ein freies Terrain an einer Vorstadtbahn, mit winzigen Gärtchen, in jedem eine Laube, die im Sommer den armen Familien gleich als Wohnung dient.

      Hier hatten sie … gespielt, wäre beinahe gesagt worden. Nein, es war ihnen furchtbarer Ernst. Hier hatten sie alles durchgemacht, was nur jemals die Phantasie eines Jugendschriftstellers erfand, hatten den Tomahawk ausgegraben und waren auf dem Bauche gerutscht, hatten einander skalpiert und dann wieder zusammen die Friedenspfeife geraucht.

      Doch mag das genügen. Der Leser hat wahrscheinlich all das selbst durchgemacht, und hat er es nicht, so ist ihm so etwas ja gar nicht näher zu schildern.

      Auch noch etwas reeller waren sie geworden, indem sie sogar Feuer angezündet und daran selbsterlegte Katzen und leider auch Karnickel gebraten hatten … wollte sagen Leoparden und Wapitihirsche, welche sie aus den Ställen der Kolonisten mausten.

      Und dann genügte ihnen auch dies nicht mehr. Am Beratungsfeuer wurde der Entschluß gefaßt, und nachdem der ›große Bär‹ gesprochen hatte, stimmten alle die anderen roten Krieger, darunter die edelsten Häuptlinge, mit einem ›Hugh‹ bei.

      Auf nach Amerika! Nach dem wirklichen Amerika! Nur über das besondere Ziel waren sie sich noch nicht ganz einig. Die einen wollten sich zu den Sioux schlagen, die anderen zogen die Apachen vor.

      Und sie brachen auf:

      1 Emil Bolle, genannt der große Bär, fünfzehn Jahre, Eltern professionelle Trockenwohner, denen der Sohn bei diesem schwierigen Berufe hatte mithelfen müssen. Ausgerüstet mit einer Teschingpistole und einem Brotskalpiermesser.

      2 Gottfried Klingelmann, genannt die züngelnde Schlange, dreizehn Jahre, Mutter Waschfrau, Vater unbekannt, gab’s gar nicht. Ausgerüstet mit einer Türangel als Tomahawk, mit einem Kartoffelschalskalpiermesser und mit der allgemeinen Friedenspfeife.

      3 Balduin Nauke, genannt Büffelstirn, dreizehn Jahre, Vater Schutzmann. Ausgerüstet mit des Vater dienstlichem Seitengewehr.

      4 Heinrich Ehrich, genannt der schleichende Tod, elf Jahre. Mutter auf dem Markte mit Gemüse, Vater im Gefängnis mit Tütenkleben. Ausrüstung bestand aus einem Knüppel und sechs Schachteln Streichhölzern – utan swafel ok phosphor.

      5 Fritz Neumann, genannt der kleine Igel, zehn Jahre alt. Mutter pensionierter Wachmeister, Vater, geprüfte Heb … nein, Vater pensionierter Wachmeister, Mutter geprüfte Hebamme. Ausrüstung: des Vaters Kavalleriesäbel und eine ewige Rotznase.

      So waren sie aufgebrochen aus ihren heimatlichen Jagdgefilden. Da man als ihr Ziel wohl Hamburg vermuten würde, wandten sie sich lieber nach Bremen.

      Und es gelang. In vier Tagen oder vielmehr vier Nächten erreichten sie Bremen. Ebenso ungesehen verschwanden sie im Kielraum eines amerikanischen Seglers. Nur schade, daß dieses amerikanische Schiff nicht nach Amerika, sondern nach der afrikanischen Pfefferküste ging.

      Alles Uebrige wissen wir.

      Mit tiefstem Interesse hatte Karlemann zugehört, aber ohne eine Miene zu verziehen, hatte auch gar kluge, sachverständige Fragen gestellt.

      »Well. Wollt ihr als Matrosen an Bord meiner Jacht kommen?«

      Die Jungen wurden wieder etwas kleinlaut. Sie hatten die Nase noch gar zu voll und nun eben hier gekostet, wie herrlich es sich an Land leben läßt, und auf dem Schiffe immer steinharte Erbsen mit gesalzenem Fleisch und ungesalzener Haue, und die Matrosen hatten es auch nicht so leicht gehabt.

      Im übrigen hatten sie noch keine Ahnung, was der Knirps wollte, hielten ihn noch immer für den Sohn eines Kapitäns, der für sein Schiff Arbeiter brauchte, so etwas von ›Seelenverkäufer‹ hatten sie doch auch schon gehört.

      »Habt ihr Läuse?« war Karlemanns zweite Frage.

      Unwillkürlich fuhren sich alle mit den Fingern in die langen Haare.

      »Wir haben welche gehabt, aber wir sind abgeschrubbt und ausgebrannt worden,« lautete dann die einstimmige Antwort.

      Natürlich, während der langen Heeresfahrt nach Bremen, wo sie irgendwo in Winkeln geschlafen, hatten sie sich solche Tierchen, mit dem spezifisch-wissenschaftlichen Namen ›Reichskäfer‹ genannt, aufgesackt, aber die Matrosen hatten sie schnell wieder davon befreit, mit Scheuerbürste, Seife, Sand und Soda.

      Der in so etwas sicher die größte Erfahrung habende