Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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ich merkte ganz deutlich, wie er jetzt hoch aufhorchte.

      Was mich bewogen hatte, ihm diese Falle zu stellen, ist wohl begreiflich. Es war mir eben aufgefallen, daß schon vorhin das Wort ›Vogelberg‹ solch einen Eindruck auf ihn hervorgebracht hatte.

      »Nun, Bursche, willst du nicht die Fortsetzung erzählen, was für eine Bewandtnis es mit diesem Vogelberg hat?«

      »Damn’d,« war seine einzige Antwort, und nachdem er mich wild angestiert hatte, schloß er die Augen.

      »Nicht?«

      »Ich weiß nicht, was Ihr wollt, ich kenne gar keinen Vogelberg, bin noch nie im Australischen Inselarchipel gewesen.«

      »So so. Nun, vielleicht bringe ich dich noch zur Sprache.«

      Ein Matrose meldete, daß die Lichter des Hafens wieder in Sicht kämen. Ob der schwarze Lotse wieder die Führung übernehmen wolle.

      »Jawohl, das soll er. Woher aber kennst du diese Hafeneinfahrt so genau, Goliath?«

      »Ich bin in dieser Gegend geboren, und schon als Kind habe ich mit in den Booten gerudert, nach den fremden Schiffen, als man hier noch von gar keinem Hafen sprechen konnte.«

      Diese Erklärung mußte mich wohl befriedigen.

      Der Unbekannte wurde in einem Raume untergebracht, von seinen Fesseln befreit, aber er sollte mein Gefangener bleiben, und die Mannschaft wurde instruiert, davon überhaupt gar nicht zu sprechen, diesen Gefangenen als ein Geheimnis zu betrachten, also auch, wie wir ihn aus dem Wasser gefischt hatten.

      Hiermit schließen wir vorläufig Kapitän Jansens persönlichen Bericht.

      Was in der Manuskripten-Kiste des Leuchtturms vorgefunden wurde, war ja durchaus nicht allein von Richard Jansens Hand niedergeschrieben. Es gab noch eine Menge anderer Tagebücher, der Leuchtturmwärter selbst hatte andere Erzählungen mit eingeflochten, die nicht allein sein eigenes Schicksal behandelten.

      Es war eben ein großes Kunststück des englischen Bearbeiters gewesen, dies alles zu einem harmonischen Ganzen zusammenzuflechten.

      Ueber die ›Sturmbraut‹ erwähnen wir jetzt nur noch, daß sie noch einmal nach Monrovia zurückkehrt. Kapitän Jansen gibt die erwähnte Zirkular-Depesche auf wegen des entführten holländischen Wracks. Diese Depesche wird von den großen Seemannsämtern nach sämtlichen Häfen der Erde weiterbefördert, sie kommt in die Schiffsnachrichten, jeder Kapitän muß davon Kenntnis nehmen.

      Den Erfolg dieser Zirkular-Depesche kann Jansen hier natürlich nicht abwarten, darüber können Wochen, Monate vergehen, ja, vielleicht kommt auch gar nichts danach, was sich dann Jansen freilich gar nicht erklären könnte. So ganz spurlos kann doch kein Schiff aus der Welt verschwinden.

      Richard schlägt vor, sofort nach dem Australischen Archipel zu segeln; denn er wittert hinter dem Vogelberg ein Geheimnis, wenn nicht die Lösung dieses Rätsels.

      Nun ist aber Blodwens Geld nach Kapstadt beordert gewesen. Das hatten sie damals, als sie von dem Verschwinden des Wracks noch nichts ahnen konnten, als ihr Ziel gewählt.

      Bis das Geld dorthingelangt, vergehen mindestens acht Wochen, welche nicht ausreichen, um inzwischen nach Australien zu segeln.

      Nun könnte ja allerdings das Geld einstweilen in Kapstadt liegen bleiben, dort liegt es ganz sicher, die Zeit des Abholens tut nichts mehr zur Sache; aber Blodwen ist noch immer im Zweifel, ob man ihr die Rente wirklich nachschickt, sie ist in großen Sorgen – kurz, sie kann es nicht erwarten, will hierüber erst Gewißheit haben, muß sich aber doch noch acht Wochen gedulden.

      So sticht die ›Sturmbraut‹ wieder in See, plan- und ziellos, nur um die acht Wochen hinzubringen.

      Bevor wir nun erfahren, was für einen furchtbaren Schlag unsere Helden in Kapstadt erleben sollten, beschäftigen wir uns mit der zweiten Hauptperson unserer Erzählung.

      DIE MANNSCHAFT DES ›KNIPPERDOLLING‹.

       Inhaltsverzeichnis

      In den Hafen von Monrovia wurde ein Segelschiff bugsiert, an dessen Heck das Sternenbanner der Vereinigten Staaten flatterte.

      Die Beobachter an Land wunderten sich, daß so viel Schiffsjungen an Bord waren. Denn die nordamerikanische Kauffahrtei kennt sonst gar keine Schiffsjungen. In Amerika dient man ja überhaupt nicht von der pike auf. Wenn ein Arbeiter denkt, bei der Seefahrt etwas verdienen zu können, so wird er eben Matrose, als Erwachsener kann er sich ja die nötigen Handgriffe und sonstigen Kenntnisse viel schneller aneignen. Da dies aber, wie schon früher erwähnt, doch seine Schwierigkeiten hat, gerade die Schwindelfreiheit usw. muß man von Jugend auf lernen, so findet man auf amerikanischen Schiffen sehr selten Yankees, die Mannschaft rekrutiert sich fast ausschließlich aus deutschen, skandinavischen und englischen Matrosen. Deutsche haben bei der Seefahrt tatsächlich überall den Vorzug, es sind die pflichttreuesten Matrosen, und dann haben sie eben alle von der Pike auf gelernt, was bei den Engländern auch nicht immer der Fall ist, mehr schon bei Norwegern und Schweden, die aber wegen ihrer Trunksucht berüchtigt sind.

      Hier nun zählte man nicht weniger als fünf Zungen an Bord, von denen einige noch nicht einmal das Prädikat ›halbwüchsig‹ verdienten. Zwei davon waren noch die reinen Kinder.

      Hatte sich hier einmal ein amerikanischer Segler mit der Ausbildung von Schiffsjungen befaßt?

      Nein, es sollte sich anders aufklären. Es fiel schon auf, daß die fünf Jungen, während die Matrosen bei der Einfahrt und dann beim Festmachen am Kai schwer zu arbeiten hatten, tatenlos umherstanden.

      Kaum war das Laufbrett ausgeschoben, als schon die Expedierung begann.

      »Nun herunter mit euch blutigverdammten Stromern,« schrie ein Kerl, schon den Stiefel zum Tritt erhoben.

      »Aber, Herr Steuermann,« flehte der eine, »geben Sie uns doch wenigstens … «

      Der Stiefel schnellte vor, der eine schoß unfreiwillig über das Laufbrett, die anderen vier folgten schleunigst freiwillig nach.

      Der Agent kam an Bord, beglückwünschte den Kapitän, in der Kajüte wurde mit dem unvermeidlichen Champagner angestoßen, mit dem ja auch jedes Schiff getauft wird, dann folgten Portwein, dann Whisky und andere immer gehaltvollere Spirituosen.

      »Was für Kerlchen waren denn das?« fragte dann bei Gelegenheit der Agent.

      Blinde Passagiere – im Englischen Stowaways genannt, Wegverstauer, nämlich die sich im Schiffsraum vor der Abfahrt heimlich verstaut hatten.

      Dieser amerikanische Segler kam von Bremen, hatte dort für Monrovia Fracht genommen. Noch vor dem englischen Kanal waren die fünf Bürschchen aus ihrem Versteck, vom Hunger getrieben, hervorgekrochen.

      Erst ein paar knallende Ohrfeigen, dann hatten sie arbeiten müssen. Scheuern, Messing putzen, Farbe waschen und dergleichen. In die Takelage waren sie gar nicht gekommen. Der Kapitän hier wußte keinen einzigen Namen von ihnen.

      »Sind wohl von Berlin. Steward, noch eine Flasche! Also dreimalhunderttausend Dollar?«

      Wenn solch ein Schiff mit voller Fracht sein Ziel glücklich erreicht hat, dann denkt man an etwas anderes als an solche Lausejungen.

      Unterdessen standen die fünf Berliner Lausejungen zusammengedrängt wie eine Herde junger Schöpse auf dem Boden der afrikanischen Pfefferküste. Zerlumpt, die Fetzen flatterten buchstäblich an ihnen herum, mit langen Haaren, seit drei Monaten ungewaschen. Nur der eine hatte noch einen Latschen am linken Fuße, den rechten hatte er an Bord unter dem Schutze des amerikanischen Sternenbanners zurückgelassen.

      Wenn sie sich nebeneinanderstellten, waren es Orgelpfeifen. Der älteste mochte fünfzehn Jahre alt sein, der jüngste, der mit dem linken Latschen, noch nicht zehn.

      Gesund und wohlgenährt sahen sie aus. Hunger konnten sie nicht gelitten haben. Und wenn man so den