Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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      »Das werdet Ihr schon noch zu Eurem eigenen Schaden erfahren.«

      Ich ließ Doktor Selo und die beiden Steuerleute rufen, sie sollten einmal diese Tätowierung auf dem Schädel besichtigen.

      »Das ist das geheime Zeichen einer Verbindung, die irgend etwas zu See betreibt, vielleicht einer großen Schmugglerbande, wenn nicht gar noch etwas Schlimmeres,« lautete das Urteil der weitherumgekommenen Steuerleute, wozu auch Doktor Selos Weisheit nichts hinzuzusetzen hatte.

      Damit aber hatten sie mir nichts Neues erzählt, dasselbe Urteil hatte auch ich mir schon gebildet, selbst der simple Fritz war schon auf dieselbe Vermutung gekommen, wie er jetzt verkündete.

      Ich wollte vielmehr wissen, ob diesen weitgereisten Männern schon einmal solch eine Tätowierung, ob nun auf dem Schädel oder sonstwo, oder diese an sich doch besondere Figur nur auf einem Blatt Papier, zu Gesicht gekommen sei.

      Nein, das war eben nicht der Fall, so wenig wie mir.

      Ich überlegte gerade, ob ich einmal die ganze Mannschaft hier durch die Kajüte passieren lassen sollte, wir waren noch weit ab vom Hafen, das konnte wachenweise geschehen, hinwiederum hätte ein Stück Papier mit der abgezeichneten Figur genügt – als ein Ruf der Ueberraschung ertönte.

      Hinter dem Tisch stand wie ein schwarzer Schatten Goliath, dessen Eintreten ich gar nicht bemerkt hatte.

      »Diese Tätowierung kenne ich!«

      »Woher?«

      »Aber nicht auf dem Kopf, sondern auf dem Rücken, und dann gingen durch den gezackten Kreis auch nur drei Linien, und in dem blauen Fleck daneben stand eine fünf, nicht wie hier eine … eine …« Goliath bog sich etwas über den Tisch, »ja, eine 108 ist das.«

      »Was ist das?« fragte ich verwundert.

      »Eine 108.«

      »Wo denn?«

      »In den blauen Fleck ist doch mit roter Farbe eine 108 eintätowiert.«

      Ich beugte mich über den nackten Schädel – ja, ich sah in dem blauen Grunde etwas Rotes, aber ich mußte des Doktors Vergrößerungsglas zu Hilfe nehmen, ehe ich erkannte, daß es eine Zahl war, und zwar tatsächlich eine 108.

      Doch zunächst staunte ich über etwas anderes.

      »Mensch, mußt du aber Augen haben, daß du das von dort über’n Tisch erkennen kannst!!«

      »Ja, ich habe auch ausgezeichnete Augen.«

      »Nun, wo hast du diese Tätowierung schon einmal gesehen?«

      Die Augen des Niggers wanderten über die anderen Anwesenden, ich verstand ihn sofort, und er hatte recht.

      Es brauchte gar kein Geheimnis zu sein, welches er mir mitzuteilen hatte – wir befanden uns hier in der Kajüte, in welcher allein die Ohren des Kapitäns zu hören haben, und ich war gewillt, die strengste Schiffsroutine zu wahren.

      Wenn ich sie zu einer Beratung zusammenrief, so war das etwas anderes, jetzt aber mußten sie ohne Rücksicht hinaus, auch die Matrosen, welche mir vorher behilflich gewesen waren, noch eher der Schiffsarzt – nur Blodwen blieb natürlich.

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      »Nun, was hast du mir zu erzählen?«

      »Es ist dreizehn … oder genau vierzehn Jahre her, wir fuhren nach Sydney … «

      »Wer wir? Ich will sonst gar nicht in die Geheimnisse deines früheren Lebens dringen, aber da möchte ich mehr Klarheit haben.«

      »Die ›Teutonia‹ von Liverpool.«

      »Ein Dampfer?«

      Ja freilich, da hatte dieser Nigger recht.

      »Wie alt warst du denn damals?« durfte ich ihn jetzt wieder unterbrechen, da er ja auch etwas über seine Vergangenheit sprach.

      »Fünfzehn Jahre.«

      »So, hatte dich gar nicht für so alt geschätzt. Nun, weiter?«

      »Von Sydney nahmen wir Ladung nach San Francisco. Ungünstige Winde trieben uns tiefer zwischen die Koralleninseln hinein, als uns lieb war. Wir mußten Tag und Nacht loten. Wir befanden uns nahe der Elice-Gruppe … ist Massa die bekannt?«

      »Ja, die kenne ich.«

      »Hatten den Vogelberg – den großen Vogelberg in Sicht. Kennt Massa den?«

      Ich verneinte. Ich war überhaupt noch gar nicht in diesem Inselarchipel gewesen. Ueberall kann man doch nicht gewesen sein.

      Vor allen Dingen aber machte mich das Benehmen unseres Gefangenen aufmerksam.

      Warum war der Kerl bei dem Namen Vogelberg so zusammengezuckt, warum blickte er den Neger so ängstlich von der Seite an? Und das wiederholte sich nochmals und sogar in stärkerem Grade, als noch ›großer Vogelberg‹ hinzugesetzt wurde.

      »Es ist eigentlich kein Berg, sondern eine ziemlich umfangreiche Insel, die mit himmelhohen Ufern jäh aus dem Meere emporsteigt, wie es dort noch mehrere solcher Inseln gibt.

      »In der Nähe dieses Vogelberges trieb noch ein anderes Schiff, ein Dreimaster. Da sahen wir eine Leiche schwimmen, einen Mann. Wir fischten ihn auf. Er mußte erst vor ganz kurzem ertrunken sein. Oder wohl nicht ertrunken, sondern der Kopf war ihm eingeschlagen. Dadurch hatte er seinen Tod gefunden. Es war ein schon älterer Mann, nur mit einer Hose bekleidet, und auf dem nackten Rücken hatte er mit blauer Farbe diese selbe Figur eintätowiert, aber also nur mit drei Linien durchzogen.

      »Meine Augen waren damals vielleicht noch besser als jetzt, ich erkannte in dem blauen Fleck daneben eine winzige rote Fünf eingetragen. Mußte erst die anderen darauf aufmerksam machen. Wir dachten uns nichts weiter dabei. Eben irgendein geheimes Zeichen für irgend etwas, vielleicht schon bei der Geburt eintätowiert.

      »Dann machte das andere Schiff uns auf sich aufmerksam, das unser Treiben wohl beobachtet hatte. Es signalisierte, ob wir einen toten Mann aufgefischt hätten. Jawohl. Er sei soeben erst drüben verunglückt, sie wollten die Leiche abholen.

      »Ein Boot kam. Der Steuermann gab nähere Auskunft. Es sei ein alter Bootsmann, der auf der Rahe gearbeitet habe, heruntergestürzt sei, nach dem Aufschlagen auf die Bordwand ins Wasser. Sie hätten gerade das Meer nach seiner Leiche abgesucht. Der Mann war ziemlich dick, deshalb schwamm er nach seinem Tode.

      »Wir lieferten die Leiche aus, das Boot ging zurück, eine Stunde später waren wir uns außer Sicht gekommen. Das ist alles, was ich darüber zu erzählen habe, und ich bin ganz ausführlich gewesen.«

      »Ist dir an der Bootsbesatzung etwas Besonderes aufgefallen?« fragte ich.

      »Gar nichts. Es waren lauter weiße Matrosen, sprachen Englisch.«

      »Und das Schiff?«

      »War ein vollgetakelter Dreimaster.«

      »Auf den Namen kannst du dich wohl nicht mehr besinnen?«

      »Doch. Die ›Reineclara‹ von Philadelphia. Das war auch am Heck zu lesen, so dicht waren wir zusammen.«

      »Du hast ein ganz vorzügliches Gedächtnis, Goliath.«

      »Das habe ich Gott sei Dank.«

      »Und hast du nichts an dem Vogelberge bemerkt?«

      »Gar nichts. Oben nisten ungeheure Scharen von Möwen.«

      Ich versank in Nachdenken, d. h., ich stellte mich so, und beobachtete dabei unter den halbgeschlossenen Lidern hervor den Gebundenen.

      »Hm,« brummte ich nach einer Weile, »über diesen großen Vogelberg gehen ganz merkwürdige Gerüchte.«

      »Was denn für welche?« fragte Goliath ganz unschuldig.

      Auf seine Meinung kam es mir nicht an, sondern auf die des unbekannten Mannes, und