Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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angesprochen. Die Jungen mußten während der drei Monate auf dem amerikanischen Schiffe doch einiges Englisch gelernt haben; aber sie verstanden den Jargon dieser Nigger nicht.

      Ein Gentleman näherte sich ihnen, schwarz gekleidet, aber mit weißer Haut, statt des Zylinders oder Strohhutes einen breitrandigen Sombrero tragend – ein Mann, dem man den englischen Missionar schon von weitem ansah.

      »Wer seid ihr denn?« fragte er ebenso erstaunt wie salbungsvoll.

      Ein Durcheinander begann, jeder wollte sein Englisch zum besten geben. Kaum aber war das Wort Stowaways gefallen, als sich der Missionar schleunigst wandte und davonging.

      Nein, auch die Nächstenliebe hat ihre Grenzen. Solche Stowaways unter seine Flügel zu nehmen, gleich fünf – nein, das ist von der christlichen Nächstenliebe denn doch etwas zu viel verlangt.

      Die Jungen ahnten noch gar nicht, in welch bedenklicher Lage sie sich befanden.

      Das war damals vor fünfzig Jahren – und heute ist es noch nicht anders geworden. Es braucht gar nicht an der Pfefferküste zu sein.

      Wenn heute ein zehnjähriger Junge seinen Eltern durchbrennt, er versteckt sich auf einem nach England gehenden Schiffe, kommt erst in London zum Vorschein, kommt ungesehen an Land – ehe sich die Behörden seiner annehmen, ihn zurückschicken, können Jahre vergehen, dann ist er schon naturalisiert.

      Der Konsul seines Landes soll sich seiner annehmen? Hat sich etwas! Man soll es nur einmal probieren, soll einmal aufs Konsulat gehen! Wie man da hinausgefledert wird!

      Ja, wenn die Eltern zu Hause reklamieren, dann ist das etwas anderes. Aber sonst – kein Teufel nimmt sich solch eines jugendlichen Ausreißers an – heute noch nicht. Und unsere Erzählung spielt vor fünfzig Jahren, noch dazu dort, wo der Pfeffer wächst.

      Sie mußten sehen, daß sie Arbeit bekamen. Vielleicht erst in einer Speisewirtschaft, das ist immer das beste, Teller waschen, Flaschen spülen und dergleichen – immer so Gelegenheitsarbeit gegen Knochenkost und Hundehütte, bis man Sprache und Verhältnisse kennt.

      Da kam die Hafenstraße entlang auch so ein Junge, aber ein ganz anderer! Der kleine, dicke Stöpsel war ins feinste blaue Tuch gekleidet, nach Seemannsschnitt, unten die Hosen trichterförmig; aber nicht etwa eine bebänderte Mütze, sondern einen steifen Hut, recht in den Nacken gerückt, die Hände in den Hosentaschen, daß die dicke, goldene Uhrkette zu sehen war, aus der kurzen, silberbeschlagenen Pfeife mächtige Dampfwolken lockend – so wandelte er breitbeinig einher, auch etwas schaukelnd – ein alter Seebär von Kapitän, wie er im Buche steht, nur in Miniaturausgabe.

      Er blieb vor der Gruppe der Lausejungen stehen.

      »Hallo, who are you?«

      Nur wenige Worte, und Karlemann, der im Verkehr mit Schiffern schon früher ein recht gutes Englisch sprach, wiederholte seine Frage auf deutsch: Wer seid ihr denn?

      Nun ging es besser. Aber immer noch ein Durcheinander.

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      Die Hände in den Hosentaschen, qualmend, betrachtete Karlemann die fünf Jungen überlegen von … nicht von oben herab, sondern von unten herauf: denn der kurze Stöpsel war trotz seiner zwölf Jahre noch etwas kleiner als der Zehnjährige.

      »Also Berliner Pflanzen?«

      Kleinmütig bejahten die Jungen. Den betrachteten sie nicht etwa als ihresgleichen, das war etwas ganz anderes, das hatten sie sofort heraus.

      »Schon in der Takelage gearbeitet?«

      Farbe gewaschen und dergleichen.

      »Hm. Ich könnte euch wohl gebrauchen. Wollt ihr an Bord meines Schiffes kommen?«

      Immer respektvoller blickten die fünf zerlumpten Jungen auf den Liliputaner, der von ›seinem‹ Schiffe sprach. Sie mochten ihn für den Sohn eines Kapitäns halten, und das genügte schon für sie.

      »O ja. Aber – aber …«

      Es mochte ihnen doch etwas grauen.

      »Ich bilde euch als Matrosen aus.«

      »Aber es gibt doch nicht wieder Haue?« erklang es kläglich.

      »Unsinn! Wenn’s euch nicht paßt, könnt ihr wieder gehen. Nur eine Probezeit. Die Heuer ist im Monat dreißig Dollar. Wie die amerikanische. Einverstanden?«

      Verständnislos glotzten die Jungen den Liliputaner an.

      Dessen Pfeife war ausgegangen, oder der Tabak alle, bedächtig klopfte er sie an der Stiefelsohle aus, steckte sie ein, brachte dafür eine Platte Kautabak aus der Westentasche zum Vorschein, brasilianischen Dulcissimo, schnitt sich mit dem Taschenmesser ein beträchtliches Stück davon ab, steckte es in den Mund, kaute wie ein Ochse.

      Mit andachtsvoller Bewunderung hatten die fünf Jungen dieses Manöver beobachtet.

      Donner und Doria, war das ein Kerl!! Ja, wenn man der Sohn von einem Kapitän ist – und hier an der afrikanischen Pfefferküste.

      »Jetzt geht erst mal in mein Hotel. Hotel zum blauen Mast, Schifferstraße 8 – gleich dort um die Ecke. Laßt euch zu essen geben. Was ihr wollt. Mit dem Trinken wartet ihr, bis ich komme. Bleibe nicht lange. Verstanden?«

      »Wir haben aber kein Geld,« ward kläglich gesagt.

      »Pshaw. Braucht nur meinen Namen zu nennen. Käpt’n Algots vom Knipperdolling. Verstanden?«

      »Kapitän Al- Al … «

      »Käpt’n Algots vom Knipperdolling. Oder wartet mal!«

      Karlemann pfiff, winkte, ein schwarzer Dienstmann kam gesprungen.

      »Hier, führen Sie mal diese fünf Männer in mein Hotel – Sie wissen doch, wo ich wohne?«

      »Natürlich, Herr Kapitän, Hotel zum blauen Mast.«

      »Die Männer sollen dort essen – für meine Rechnung – können auch eine Flasche Rotwein trinken – aber alle zusammen nur eine. Verstanden?«

      »Very well, Herr Kapitän.«

      Der schwarze Dienstmann, welcher immer aufs ehrerbietigste gesprochen hatte, rückte mit den fünf ›Männern‹ ab.

      Ja, der kleine Herr Kapitän vom Knipperdolling hatte sich schon einen geachteten Namen erworben!

      Und Karlemann wandelte erst noch die Straße hinab, wollte wohl erst noch einmal nach seinem Schiffe.

      Immer mehr beschleunigte er die Schritte, vergaß das Schaukeln dabei, nur den breitbeinigen Gang behielt er, der war bereits natürlich – und was war das, daß er auf einmal so blaß wurde? Bekam er einen Anfall von Tropenfieber?

      Er bog in eine Seitengasse, in noch eine engere, menschenleere – scheu blickte sich der kleine Herr Kapitän um, ob jemand in der Nähe sei, er mußte ein böses Gewissen haben – und nun schnell in eine Ecke, sich gegen die Wand gebeugt, den Kopf vorgestreckt, und – erst spuckte er den Kautabak aus, echt brasilianischen Dulcissimo, und dann – chöööhh uaaahhh – das andere folgte von ganz allein nach, und dann steckte er noch einmal den Finger in den Hals, um eine neue Auflage folgen zu lassen.

      Doch so furchtbar unwohl konnte er sich nicht fühlen. Eine richtige Krankheit konnte es jedenfalls nicht sein. Er hatte dabei sorgfältig darauf geachtet, sich die Stiefel nicht vollzuspucken.

      Als er sich aufrichtete, machte er freilich ein recht klägliches Gesicht, blickte noch einmal hinter sich – nein, niemand hatte es gesehen – und dann schüttelte er schwermütig den Kopf, bis sich seine Gedanken auch in Worten Luft machten.

      »Rauchen kann ich schon, soviel wie ich will – aber das Priemen, das Priemen – Gott, ist das eine Qual, ehe man das lernt!«

      Er brachte die Platte wieder zum Vorschein, betrachtete schwermütig den schwarzen Tabak, mit gelben Blättern umwickelt, damit er sich feucht hält.

      »Und