Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


Скачать книгу

tatsächlich ›rein‹ waren.

      »Da kommt mal mit, ich will euch gleich meinen ›Knipperdolling‹ zeigen.«

      Sie wanderten hin. Ja, als die Jungen nun das reizende Schiffchen sahen, die innere Einrichtung, wie ihnen gezeigt wurde, wo sie schlafen würden, wo man kochte, wo der Proviant lag, und was für Proviant! – und was ihnen dieser gewiefte deutsche Zigeunerknabe nun sonst noch alles zu erzählen wußte, dieses Leben an Bord, diese Abenteuer an Land, Jagden in allen Weltteilen, eigene Inseln, auf denen sie als Robinsons hausen würden … kurz und gut, es wären ja keine Jungen gewesen, die für eine romantische Idee von zu Hause durchgebrannt, wenn sie nicht Feuer und Flamme geworden wären.

      Nur eins konnten sie kaum fassen.

      »Und dieses Schiff gehört Ihnen?«

      »Das gehört mir.«

      »Ihnen ganz allein?«

      »Mir ganz allein.«

      Schließlich mußten sie es doch glauben, und sie lachten vor seligem Staunen. Sie sollten ja mitmachen! Ihre kühnsten Jugendträume, die sie selbst für unmögliche Phantasie gehalten, sollten sich verwirklichen.

      Nun freilich verstand dieser deutsche Zigeunerjunge eben auch zu erzählen, er selbst besaß ja eine glühende Phantasie.

      Was er ihnen alles sagte, braucht hier nicht wiedergegeben zu werden, da alles in reelle Tatsachen umgewandelt wurde.

      Noch eine große taktische Schlauheit beging Karlemann.

      »Knut – das ist hier nämlich mein Steuermann – erzählt doch einmal den Matrosen, wer ich eigentlich bin, was ich hier schon getan habe, was Ihr sonst von mir wißt.«

      Versteht der Leser, was für eine Schlauheit hier zugrunde lag? Allein schon das Wort ›Matrosen‹ war nicht ohne Bedeutung gesprochen. Dieser Junge schien überhaupt kein einziges unnützes Wort zu sprechen.

      Während Karlemann sich anderswo zu schaffen machte, nahm Knut die Jungen vor.

      Dieser Steuermann war nämlich der einzige von der Jachtmannschaft gewesen, welcher sich um den neuen Besitzer mehr gekümmert hatte, hatte sich auch sonst von ihm erzählen lassen … kurz, er war in demselben Maße ein Bewunderer von ihm geworden wie Richard Jansen, was dieser aber vielleicht gar nicht so sehr ausgedrückt hat.

      Als Karlemann die kleine Kajüte, in die kaum sieben Menschen hineingingen, in der selbst der untergroße Steuermann nur gebückt stehen konnte, wieder betrat, blickten ihm fünf leuchtende Augenpaare mit enthusiastischer Bewunderung entgegen.

      Ja, dann freilich – ein Junge, der so im Handumdrehen Millionen verdienen kann – der im offenen Boote nach Afrika fährt – – gegen den waren die älteren Jungen doch Säuglinge zu nennen.

      »Nun, wollt ihr hier bei mir bleiben?«

      »Wir wollen, wir wollen!« erklang es enthusiastisch im Chore.

      »Na, dann wollen wir daraufhin einen trinken, eine weitere Abmachung gibt es bei mir nicht.«

      Karlemann nahm aus einem Wandschränkchen eine Flasche und ließ ein Likörgläschen die Reihe herumgehen, er selbst den Anfang machend.

      Die Jungen, welche ja nach der Mahlzeit einen Schnaps vertragen konnten, schnitten rechte Gesichter, sagten aber nichts.

      »Ihr auch ausnahmsweise einen, Steuermann?«

      Der Kapitän war nämlich Abstinenzler gewesen, hatte nur solche Matrosen an Bord genommen. Aber der lappländische Steuermann hatte wohl nur wegen des guten Gehaltes aus dieser Not eine Tugend gemacht.

      »Na ja, jetzt hat sich ja das Verhältnis geändert,« sagte er, trank das gereichte Glas aus, und dann schnitt auch er ein Gesicht und schüttelte sich.

      »Was für Höllenzeug ist denn das? Das ist ja noch bitterer als Galle.«

      »Aber gesund,« entgegnete Karlemann, nichts weiter, als er die Flasche zurücksetzte.

      Die Jungen blieben gleich an Bord, wurden von dem Steuermann schon instruiert, während Karlemann Händler und Schneider zitierte, welche innerhnlb zweier Tage für jeden verschiedene Anzüge zu liefern hatten, soweit diese nicht schon fertig zu kaufen waren, aber nicht für Knaben, sondern für kleine Männer.

      Schnell hatte sich die Kunde verbreitet von dem, was der kleine Kapitän Algots wieder herausgesteckt hatte, und es gab ja in Monrovia nicht nur neugierige und alles anstaunende Neger, sondern auch gebildete Europäer genug, abgesehen von den Offizieren der im Hafen liegenden Schiffe, welche das Ganze noch mit anderen Augen betrachteten.

      Also dieser tolle Junge wollte seine Jacht mit kindlichen Altersgenossen bemannen! Das war eine Idee, wie sie noch nicht einmal ein phantasievoller Jugendschriftsteller verwertet hatte.

      Abgesehen aber nun davon, wie diese Jungen solch eine Jacht, welche in Wirklichkeit dennoch kein Spielzeug war, bedienen, beherrschen wollten, im Kampfe mit Sturm und Wogen, wovon mancher Kapitän erzählen konnte, was das gerade bei solch einer kleinen Jacht zu bedeuten hatte – wie dachte der Junge denn nur die gesetzlichen Formalitäten einhalten zu wollen?

      Denn das unermeßliche Meer ist nicht etwa so ein Freigebiet, wie es sich vielleicht mancher vorstellt. Auch das Meer steht unter Gesetzen, welche international sind. Man darf wohl so ein bißchen an der Küste herumgondeln, aber sonst – jedes Fahrzeug, jede Privatjacht muß unter Leitung eines staatlich konzessionierten Kapitäns stehen, welcher also alle die zahllosen Vorschriften kennt, unter denen das Meer befahren werden darf.

      Gewiß, das Knabenschiff durfte hier im Hafen liegen. Aber die Hafenbehörde hatte eigentlich schon die Pflicht, die Festigkeit der Anker zu prüfen, einen Posten als Sicherheit zurückzulassen. In den Hafen herumfahren durfte es schon nicht, es konnte andere Schiffe gefährden. Und lief das Jungenschiff aus und einen anderen Hafen an, und an Bord befand sich nicht die vorschriftsmäßige Bemannung, so wurde es konfisziert und der Steuermann, der nicht einmal das Kapitänspatent besaß, noch besonders schwer bestraft, und auch jedes Kriegsschiff konnte es unterwegs mit Beschlag belegen und ins Schlepptau nehmen.

      Das alles war also nur eine Spielerei, welche sobald sie ernst genommen werden sollte, ein tragikomisches Ende nehmen mußte.

      So wurde allgemein in fachmännischen Kreisen darüber gesprochen. Nur ein Mann dachte anders, ein alter Schiffsmakler, der selbst ein Menschenalter lang als Kapitän gefahren war.

      »Meine Herren! Dieser deutsche Junge ist doch offenbar ein Genie. Und was ist ein Genie? Ein Genie schafft aus eigener Kraft etwas noch nie Dagewesenes, sich dabei über alle Schranken hinwegsetzend, mit allem Konventionellen und Traditionellen brechend, ohne sich um irgendwelches Gesetz zu kümmern – und dadurch bezwingt er die staunende Menge, für welche diese Gesetze nur geschaffen sind. Für ihn selbst aber entstehen neue Gesetze. Das ist das Genie. Dieser Junge wird euch Klugschnacker noch alle auslachen, der kommt überall durch, und alle die Hüter der Gesetze werden sich vor ihm beugen. Oder er wäre eben kein Genie.«

      So sprach der alte Schiffsmakler, und er hatte schon oft recht behalten, daß man ihm auch jetzt nicht zu widersprechen wagte. Eine leise Ahnung sagte auch schon jedem, daß eben in der Praxis alles immer anders zugeht, als man es sich in der Theorie zurechtlegt, — allerdings neu muß es sein, eben etwas Geniales!

      Das köstlichste Beispiel liefert der erste Dampfer. Eine Akademie von Professoren hatte berechnet, um die ungeheuren Summen nicht unnütz zu verschwenden, daß ein Dampfer niemals genug Kohlen mitnehmen könne, um von England nach New-York zu fahren. Die wissenschaftliche Schrift erschien gedruckt und … zwei Tage später lichtete die ›Great Western‹ in Bristol die Anker und ließ sie vierzehn Tage später in New-York wieder fallen – und das Humoristische ist dabei, daß dieser Dampfer seine eigene Verurteilungschrift, die erwiesene Unmöglichkeit seiner Existenz, in 10 000 Exemplaren dem amerikanischen Publikum gleich mitbrachte.

      Und dasselbe gilt auch in bezug auf die Gesetze, die von Menschen gemacht sind.

      »Unmöglich?« rief Napoleon seinem General Murat im Schlachtgewühl