Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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in den Kautabak, wieder ein großes Stück hinter dem Gehege seiner Zähne verschwinden lassend.

      Ha, das nennt man Energie! Wenn dieses Stückchen ein Pädagoge beobachtet hätte, und dieser Pädagoge war noch etwas mehr als nur so ein Schulmeisterlein, verstand auch etwas von psychologischer Philosophie – der hätte diesem Jungen gewiß eine Zukunft prophezeit, ohne daß er ihn sonst schon kannte.

      Nachdem sich Karlemann die tränenden Augen und den nassen Mund getrocknet, setzte er seinen Weg fort, schon wieder mit Todesverachtung kauend, seinem Magen zum Trotz.

      Der ›Knipperdolling‹ war sein Ziel. Fröhlich sprang der Zwergpudel an ihm empor, weniger fröhlich blickten die herumlungernden Matrosen auf ihren kleinen Gebieter, vielmehr recht grimmig.

      »He, wer hat denn Salto aus der Kajüte gelassen?« polterte Karlemann gleich los.

      »Zum Teufel mit dem Vieh, wir sind keine Hundezüchter,« knurrte ein baumlanger Matrose, der zu dem niedlichen Schiffchen paßte wie die Faust aufs Auge.

      »Was soll das heißen? Was ist das für ein Ton Eurem Kapitän gegenüber? Und warum ist denn das Messinggeländer nicht geputzt?«

      »Verdamm Euch! Wir haben die Spielerei und Kujoniererei von dir Rotzjungen nun satt.«

      So hatte sich der amerikanische Matrose ausgedrückt, so muß es hier unbedingt wiedergegeben werden, um den richtigen Ton zu treffen.

      Inwieweit Karlemann diese Matrosen kujoniert hatte, davon weiß die Chronik nichts zu melden. Jedenfalls hatte die Mannschaft diese ganze Jacht in ihrer Winzigkeit satt.

      »Du magst Geld haben, soviel du willst, uns paßt es hier nicht mehr … «

      »Von dem Gelde ist hier gar keine Rede, das laßt nur meine Sache sein. Was wollt ihr? Abmustern?«

      Nachdem Karlemann erkannt hatte, um was es sich handelte, war er ganz kalt geworden, zeigte, daß er Kautabak im Munde hatte.

      »Jawohl, abmustern wollen wir, und das auf der Stelle.«

      »Well, geht!«

      »Wir haben noch die Heuer von zwei Monaten zu bekommen.«

      »Sollt ihr haben. Geht nach dem Hotel zum blauen Mast, ich komme gleich nach.«

      »Der Käpt’n geht auch.«

      »Ist mir gerade recht.«

      Die vier Matrosen packten sofort ihre Kleidersäcke und marschierten ab. Der Kapitän war nicht anwesend. Aber der Steuermann war noch da, ein junger, untersetzter Norweger mit freimütigen Zügen.

      »Nun, Knut, wollt Ihr nicht auch gehen?«

      »Habe keine Ursache, Käpt’n, mit Euerm Kommando unzufrieden zu sein.«

      Schon aus diesen Worten ließ sich schließen, daß die anderen nur deshalb unzufrieden gewesen waren, weil sie sich eben von solch einem kleinen Jungen nicht kommandieren lassen wollten. Läßt sich schon kein Diener an Land von dem unmündigen Sohne seines Herrn gern befehlen, was gegen seine Ehre geht, wenn er eine solche hat, so noch weniger so ein Matrose, und vor dem kleinen Wicht Respekt zu bekommen, dazu hatten diese hier noch keine Gelegenheit gehabt. Daß er plötzlich so viel Geld verdient hatte, das war doch einfach Glückssache, davon hatten sie nicht einmal Vorteil, und dazu kam vielleicht noch der Neid.

      Dieser Norweger hier dachte anders, seine Figur, noch unter Mittelgröße, paßte eher zu der Jacht, deren Winzigkeit für normale Menschen auch wirklich manchmal eine Qual sein mußte.

      Uebrigens nannte sich dieser Steuermann wohl nur einen Norweger, wahrscheinlich war er ein Lappe, das heißt ein Lappländer. Doch wenn ein in seinem Lande maßlos verachteter Lappe sich etwas höher schwingt, so gibt er sich stets für einen Norweger aus, was er schließlich ja auch ganz mit Recht kann.

      »Gut, dann bleibt.«

      »Ihr werdet wohl schwerlich hier andere Leute bekommen.«

      »Weshalb nicht?«

      »Dafür werden jetzt doch die Matrosen sorgen, besonders der Fred ist ein Stänker.«

      »Laßt sie. Habe schon welche.«

      »Woher?« fragte der Steuermann erstaunt.

      »Werdet schon sehen. Müssen erst ausgebildet werden.«

      Karlemann wollte in den engen Kajüteneingang kriechen, einfach eine kleine Luke, auf See durch verschiedene Sicherheitstüren verschlossen, wie noch später beschrieben werden soll.

      »Aber, Käpt’n,« hielt Knut ihn noch einmal zurück, »das Trinkwasser, das wir hier eingenommen haben, ist nicht gut.«

      »Was fehlt denn dem?«

      »Das schmeckt bitter.«

      »Ihr selbst habt die Tanks doch erst scheuern lassen!«

      »Ja, aber das ist kein Süßwasser, sondern Bitterwasser.«

      »Ich habe noch nichts geschmeckt.«

      »Nicht? Na ich danke. Das ist das reine Bitterwasser, so ein Abführmittel.«

      »Habt ihr denn schon die … danach bekommen?«

      »Das gerade noch nicht,« lachte der Steuermann, »aber …«

      »Ach was, Einbildung!« knurrte Karlemann und verschwand unter Deck.

      Als er nach wenigen Minuten wieder zum Vorschein kam, hatte er schon wieder tränende Augen und einen nassen Mund, was viel vermuten ließ, und das eine Bollauge unten war groß genug, um den Kopf hindurchstecken zu können, und trotzdem biß er schon wieder ein herzhaftes Stück Kautabak ab.

      »Aller Anfang ist schwer,« seufzte er; »aber gelernt ist gelernt, und Uebung macht den Meister. Stürmann, Ihr bleibt hier.«

      »Ich gehe nicht von Bord.«

      »Niemand darf das Deck betreten.«

      »Selbstverständlich nicht.«

      »Wer es wagt, den schießt Ihr auf der Stelle nieder.«

      »Ay ay, Käpt’n,« lachte der Steuermann.

      »Da ist gar nichts zu lachen, sondern es ist mein blutiger Ernst.«

      Diesmal nahm Karlemann den Pudel mit, aber an der Leine.

      »Er könnte doch verschwinden, sie sind höllisch hinter dem dressierten Pudel her, und nicht nur der Aschantihäuptling.«

      Zehn Minuten später betrat Karlemmm das einem Engländer gehörende Hotel zum blauen Maste, in dem besonders Kapitäne verkehrten, die hier manchmal den Champagner in Strömen fließen ließen.

      Der kleine Kapitän ward von den Kellnern wie ein Großfürst empfangen – wie ein großer Großfürst. Karlemann wohnte hier nicht gerade, wie gesagt, sondern er erledigte in diesem Hotel nur seine Geschäfte, deren er wirklich genug hatte, hatte dazu auch sein eigenes Zimmer für ständig gemietet, konnte deshalb schon von ›seinem‹ Hotel sprechen. Sonst schlief er immer an Bord seiner Jacht – und hatte sonstige Heimlichkeiten, welche sich vorläufig noch unserer Kenntnis entziehen.

      »Sind meine Leute vom ›Knipperdolling‹ da?«

      »Alle, auch der Herr Kapitän, nur der Steuermann fehlt noch.«

      »Der kommt auch nicht. Wo sind sie?«

      »Im kleinen Speisesaal.«

      »Und sind fünf Jungen da?«

      »Die Stowaways,« lächelte der Oberkellner, »jawohl, die sind in einem hinteren Zimmer untergebracht, sie lassen es sich noch schmecken.«

      Karlemann begab sich zunächst in das kleine Speisezimmer, wo sich auch schon der Jachtkapitän eingefunden hatte, gleichfalls nicht gewillt, unter solch einem halbwüchsigen Herrn länger zu dienen.

      Die Sache war schnell erledigt. Die fünf Seeleute hatten zusammen noch 340 Dollar