in Zusammenhang stehen, dass gerade in die 60er Jahre eine nach Zahl und Art bedeutende Erweiterung seines geselligen Verkehrs fällt. In Königsberg herrschte ein reges, gesellschaftliches Leben. Kant aber kam jetzt in die vornehmsten Häuser der Stadt. Dazu gehörten zunächst die höheren Militärs. König Friedrich hat es bekanntlich der Provinz, obwohl er selbst nur mangelhaft für ihre Verteidigung gesorgt hatte, zeitlebens nicht verziehen, dass sie die russische Fremdherrschaft so lange geduldet; er hat sie seitdem nicht wieder besucht. Anders die Offizierkorps der zurückgekehrten preußischen Regimenter der (vgl. Kap. 1) starken Garnison. Sie werden sich im Gegenteil, nach den jahrelangen Strapazen des Feldlagers, in den Mauern der lebhaften und volkreichen Stadt besonders wohl gefühlt haben. Mindestens ein Teil von ihnen fühlte aber auch das Bedürfnis nach geistiger Weiterbildung, die durch die rauhe Kriegszeit unterbunden gewesen war. Gefördert wurde dies Streben durch einzelne verständnisvolle Vorgesetzte. So Heß der Chef des Dragonerregiments von Rohr, General (von) Meyer, gleich im ersten Winter nach dem Kriege (1763/64) von dem durch seine Vorlesungen und Schriften jetzt schon in weiten Kreisen seiner Vaterstadt berühmt gewordenen und dabei auch in den äußeren Umgangsformen gewandten Magister sich und seinen Offizieren besondere Vorträge über Physische Geographie und Mathematik halten, Kant wurde zu diesen Vorlesungen in der Equipage des Generals abgeholt und speiste fast täglich bei ihm. Zu österreichischen Internierten dagegen wird wohl der spätere k. k. Oberstleutnant Freiherr von Dillon gehört haben, der noch nach 27 Jahren, als er an der türkisch-ungarischen Grenze stand, sich der "vielen, sehr angenehmen Stunden" erinnert, die er 1762 in Kants Gesellschaft zugebracht, wo "bei den Herren G. und L., ja in unseren Klubs tausend geistreiche Scherze hervorgekommen, ohne (sc. die) gelehrte Unterhaltungen zu berühren, so für einen jungen Menschen, wie ich damals war, höchst dienlich gewesen" (Brief an Kant vom 2. Juni 1789).
Wichtiger für die Zukunft wurde eine andere Bekanntschaft aus dem Hause des Generals: die des jungen Friedrich Leopold Freiherrn von Schroetter, der als blutjunger Dragonerleutnant (geb. 1743) noch mehrere Schlachten des siebenjährigen Krieges mitgemacht hatte und nun die Muße des Friedens dazu benutzte, seinen geistigen Horizont zu vertiefen: eine schöne, männliche Erscheinung mit gebräuntem Antlitz, dunklem Haar und feurigen Augen, energischen Gangs, leicht leidenschaftlich im Ausdruck, dabei doch weich von Gemüt und empfänglich für die Reize der Poesie, der Freundschaft und der Natur. Er trat später in den königlichen Zivüdienst und ist erst Oberpräsident der Kammern von West- und Ostpreußen, dann Provinzialminister von Preußen geworden und als solcher an der Stein-Hardenbergischen Gesetzgebung beteiligt gewesen. Kant blieb in dauernder Verbindung mit ihm und kam durch ihn auch in Beziehungen zu dem Vater und dem jüngeren Bruder Karl Wilhelm, der Jurist und 1803 Kanzler des "Königreiches", d. h. der Provinz Preußen wurde. – Auch General Meyer selbst, der 1775 starb, hörte gern auf den Rat und die Empfehlung Kants, den er hoch verehrte, so dass mancher junge Mann letzterem sein Fortkommen verdankte. – Ein anderer höherer Offizier, der mit Kant gern verkehrte, war der Husarengeneral Daniel Friedrich von L o s s o w, der ihn öfters auf sein Gut bei Goldap im Oberland einlud, sich von ihm ein Fernrohr oder passende Brillengläser dorthin besorgen und bei Besetzungen von Feldprediger- u. a. Stellen des Philosophen Empfehlungen stark in die Wagschale fallen ließ. Von Goldap sind die drei erhaltenen Briefe Lossows an Kant (aus den Jahren 1770, 1774 und 1777) datiert. Auch hat ihn Kant während der Herbstferien 1765 einmal dort besucht, sehnte sich aber aus dem schönen Masurenlande bald wieder nach Hause zurück.
Seine Würde wußte der Sohn des einfachen Sattlers auch in den Kreisen der adligen Offiziere wohl zu wahren. Das bezeugt vor allem der hochachtungsvolle Ton in den Briefen Lossows und einzelne Anekdoten, die über diesen Verkehr erzählt werden. Eine bloß mündlich überlieferte zeigt seine liebenswürdige Menschenfreundlichkeit. Als er einmal bei einem hohen Offizier zu Gaste war, sah er, wie ein junger Leutnant etwas Rotwein vergoß und darüber seinem Vorgesetzten gegenüber sehr verlegen wurde. Kant, der sich mit letzterem über militärische Dinge unterhielt, goß daher eine gehörige Quantität Rotwein auf das weiße Tischtuch und zeichnete mit roten Strichen die Bewegungen der feindlichen Truppen usw. auf, nur um dem jungen Untergebenen über seine Verlegenheit fortzuhelfen. Imponieren ließ er sich selbstverständlich durch bloßen Rang und Titel nicht; er verurteilte z. B. auch das damals außerhalb der militärischen Kreise kaum vorkommende Duell, wenn er es auch als einen Rest mittelalterlicher Barbarei bei einer noch unausgebildeten Verfassung und Gesetzgebung begriff. Ja, in seiner anthropologischen Vorlesung sprach er es offen aus: der beim Militärstand erforderte "Mechanismus" sei so groß, dass die "wirklichen Genies aus dem Dienste gehen", ein Satz, den ja zu seinen Lebzeiten so berühmte Beispiele, wie der junge Schiller und Heinrich von Kleist, letzterer gerade infolge seiner Beschäftigung mit Kants Philosophie, erhärtet haben. Und einen Magister Penzel, der preußischen Werbern in die Hände gefallen und in ein Königsberger Regiment gesteckt worden war, nannte er gegenüber dessen zeitweisem Gönner Hamann einen "niederträchtigen" Menschen, weil er als gebildeter Mann "seinen Soldatenstand" – allerdings den eines Gemeinen – "bis jetzt so ruhig ertrage".
Verkehr mit Kaufleuten
Auch mit den Spitzen der Zivilbehörden stand unser Philosoph in Verkehr. So ist z. B. durch einen Brief Hamanns an Lindner bezeugt, dass Kant sich für des letzteren Berufung nach Königsberg gelegentlich seiner "häufigen Besuche" bei v. B. Exc. (d. h. vermutlich dem Regierungspräsidenten von Braxein) einsetzen wolle (Weber, Neue Hamanniana, S. 51).
Enger und intensiver aber war des Philosophen Verkehr mit einer Reihe von Königsberger Kaufleuten. Am nächsten von allen stand ihm Joseph Green, der schon in jungen Jahren aus England herübergekommen war und das von ihm begründete Handelsgeschäft zu hoher Blüte gebracht hatte. Noch heute steht sein in englischem Stile erbautes, jetzt der Stadt Königsberg gehöriges Landhaus auf einem bewaldeten Hügel bei dem Kirchdorfe Juditten, der Geburtsstätte Gottscheds und beliebtem Ausflugsort noch der heutigen Königsberger. Er war Kant in der Grundsatzmäßigkeit der Lebensführung verwandt, ja noch überlegen, bis zum Spleenmäßigen. Bekannt ist die hübsche Geschichte, wie der Philosoph einst mit ihm eine Spazierfahrt nach der Oberförsterei Moditten für den folgenden Vormittag um acht Uhr verabredet hatte. Green, der bei solchen Gelegenheiten schon um drei Viertel mit der Uhr in der Hand in der Stube herumging, mit der fünfzigsten Minute seinen Hut aufsetzte, in der fünfundfünfzigsten seinen Stock nahm und mit dem ersten Glockenschlage den Wagen öffnete, fuhr, als er Kant nicht erblickte, ohne diesen fort und hielt, obwohl er ihm nach zwei Minuten auf der Krämerbrücke begegnete, trotz dessen lebhafter Gebärde nicht an, weil das gegen die Abrede und gegen seine Regel war. Der pedantische Engländer, der wie Kant Junggeselle geblieben ist, soll das Musterbild zu dem "Mann nach der Uhr" in Hippels gleichnamigem Lustspiel gewesen sein. Schon 1766 wird er von Scheffner als Kants Freund erwähnt, desgleichen 1768 von dem ebenfalls mit ihm befreundeten Hamann, der bereits 1770 die Übersetzung einer Schrift 'Über die Gicht' ausdrücklich Green als "dem Freunde unseres Kant" widmete. Darum kann auch die bekannte Erzählung Jachmanns nicht stimmen, wonach Green und Kant sich erst bei einem gelegentlich des nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieges (1776—1783) zwischen ihnen entstandenen heftigen Wortwechsel kennengelernt und Freunde geworden wären. Nach Jachmann wäre die Freundschaft zwischen beiden so eng gewesen, dass der Philosoph, wie er ihm selbst versichert habe, "in seiner Kritik der reinen Vernunft keinen Satz (!) niedergeschrieben, den er nicht zuvor seinem Green vorgetragen und von dessen unbefangenem und an kein System gebundenem Verstände hätte beurteilen lassen". Neben anderen Sonderlingseigenschaften besaß Green auch die, dass er nicht bloß gänzlich unmusikalisch war, sondern nicht einmal einen musikalischen Ton von einem sonstigen Geräusch, und Poesie von Prosa an nichts anderem als der verschiedenen Silbenstellung unterscheiden konnte. Das erzählte Kant selbst nach des Freundes Tode in einem Briefe (an Hellwag, 3. Januar 1791), in welchem er "den engl. Kaufmann Hr. Green" ausdrücklich "meinen besten Freund" nennt.
Wohl durch Green lernte er auch dessen Sozius Robert Motherby kennen, der schon als 14 jähriger um 1750 aus Hüll nach der Pregelstadt gekommen war. Seine noch heute in Königsberg lebenden Nachkommen nehmen ihn als den einen Helden jenes Wortgefechts, das beinah zu einem Zweikampf geführt hätte, in Anspruch. Allein auch ihn bezeichnet der Philosoph bereits in einem Briefe vom 28. März 1776 als seinen "sehr werten Freund". Vor allem aber war Motherby nach Jachmanns ausdrücklichem Bericht nicht Hauptbeteiligter,