allen Anwesenden "wie von einer himmlischen Kraft begeistert erschienen wäre und ihr Herz auf immer an sich gefesselt hätte". Auch die Geschichte mit der allzu pünktlichen Wagenfahrt erzählt die Familienüberlieferung der Motherby von ihrem Ahnen; allein sie paßt besser zu dem, was auch sonst von der Grillenhaftigkeit des alten Junggesellen Green berichtet wird, als zu dem taktvollen Wesen des überdies im Lebensalter um zwölf Jahre hinter Kant zurückstehenden Motherby. Von der Fortsetzung beider Freundschaften bis ins Alter hinein wird noch zu reden sein.
Durch beide Freunde wurde der Philosoph ferner mit dem ebenfalls eingewanderten schottischen Kaufmann Hay bekannt, der neben seinem Beruf eine gründliche klassische Bildung besaß; weiter mit dem Inhaber der französischen Handelsfirma Toussaint und Laval, mit denen Motherby durch seine Gemahlin, eine geborene Toussaint, verschwägert war. Den Kommerzienrat Toussaint empfiehlt Kant 1796 dem Elberfelder Kaufmann Plücker, der ihn wegen eines Königsberger Handelshauses um Rat gefragt, bei seiner eigenen "Unkunde" in Geschäften, als "wichtigen und wohldenkenden Mann", durch den er ihm auch weitere Briefe zugehen lassen könne. Er selbst hatte bis 1798, wie sein Testament vom 26. Februar d. J. zeigt, sein ganzes bewegliches Vermögen – damals in beinahe 43 000 Gulden bestehend – zu sechs Prozent bei der Firma Green, Motherby & Comp. angelegt.
Natürlich verkehrte er daneben auch mit deutschen Kaufleuten: so mit dem gleichfalls seiner Bildung wegen hochgeachteten Hüge, dessen durch seinen schönen Park berühmtes Gut Prilacken zwischen Königsberg und Pillau er öfters besucht hat. Weiter mit dem aus Pillau stammenden Kaufmann und späteren "Bancodirektor" W. L. Ruffmann (geb. 1737, gest. 1794), in dessen Haus, als er jung verheiratet war (um 1766), auch Hippel verkehrte. Von Ruffmann, der ihn in kaufmännischen Angelegenheiten gleichfalls beriet, stammte der einzige Bilderschmuck in Kants Wohnung: ein Porträt Rousseaus.
Ob und wieweit der nähere und entferntere Umgang mit allen diesen Kaufherren in Kants Magisterjahre zurückreicht, läßt sich im einzelnen nicht mehr genau nachweisen, ist ja auch unerheblich. Sicher verkehrte er aber schon in den 6oer Jahren, und zwar ziemlich intim, in einem der vornehmsten Kaufmannshäuser der Stadt, dem des Geheimen Kommerzienrats Johann Conrad Jacobi. In diesem Hause hatte sich eine von den Königsbergern als die "Gelehrte Gesellschaft" bezeichneter privater Zirkel gebildet, dessen Hauptmitglieder, außer dem Ehepaar Jacobi selbst, der Oberstleutnant von Lettow, eine Baronin von Thile, Magister Kant und Münzmeister Göschen bildeten, während die außerordentlichen oder gelegentlichen Teilnehmer, wie Hippel, zahlreich waren. Kants Fürsprache bei dem einflußreichen Kaufherrn verdankte u. a. Hamann seine Anstellung als Sécrétaire-Traducteur beim Akzise-Amt. Den Hauptanziehungspunkt dieses Patrizierhauses jedoch bildete, vielleicht auch für Kant, die bewunderte und elegante Frau des Hauses, Maria Charlotta geb. Schwink. Damit kommen wir auf ein besonderes, bisher noch wenig durchforschtes Kapitel: Kant und die Frauen .
Kant und die Frauen
Die Frauen haben keine bestimmende oder auch nur bedeutende Rolle im Leben unseres Denkers gespielt, geschweige denn, dass sie sein Schaffen befruchtet hätten, wie es bei anderen großen Menschen seines Zeitalters: bei Goethe, Schiller, Herder, und von Philosophen bis zu einem gewissen Grade doch auch bei Fichte und Schelling der Fall war. Er ist Junggeselle geblieben wie Plato und Leibniz, Descartes und Hobbes, Locke und Hume. Aber er ist anderseits doch kein galliger Feind des weiblichen Geschlechtes gewesen, wie Schopenhauer, oder vollkommen gleichgültig dagegen, wie Winckelmann. Er beschäftigt sich in seinen populären Schriften, besonders den anthropologischen Vorlesungen und den Entwürfen dazu, sogar recht häufig mit "dem Frauenzimmer". Welche Erlebnisse bestimmten ihn dazu?
Das schöne Verhältnis zwischen ihm und seiner Mutter, die er nie vergaß, haben wir schon kennengelernt. Zu den Schwestern bestanden keine näheren Beziehungen. Sie wurden – wie es noch heute öfters in ärmeren Familien zu gehen pflegt —, damit die Brüder studieren konnten, hintangesetzt, mußten sich als Dienstmädchen verdingen und haben später Handwerker geheiratet. Dass er während seiner Studienzeit Liebesaffären nachgegangen, ist bei seinem Temperament, seinen Neigungen und seiner finanziellen Dürftigkeit wohl völlig ausgeschlossen. Einen gewissen Ton uns heute etwas altfränkisch anmutender Galanterie allerdings hat er sich wohl schon auf der Universität angewöhnt, von der er noch später rühmte, dass sie dem jungen Manne "Schliff" verleihe. So schreibt er, gelegentlich einer leichten Polemik gegen die gelehrte Marquise von Chastelet in seiner Erstlingsschrift: "Die Anmerkung, die ich hier mache, würde gegen eine jede andere Person ihres Geschlechtes das Ansehen eines ungesitteten Betragens und einer gewissen Aufführung, die man pedantisch nennt, an sich haben; allein der Vorzug des Verstandes und der Wissenschaft an derjenigen Person, von der ich rede, der sie über alle übrige ihres Geschlechtes und auch über einen großen Teil des andern hinweg setzet, beraubet sie zugleich desjenigen, was das eigentliche Vorrecht des schönen Teiles der Menschen ist, nämlich der Schmeichelei und der Lobsprüche, die dieselbe zum Grunde haben" (a. a. O., § 113a, II). Aus seinen Hauslehrerjahren in Judtschen und Gr. Amsdorf wissen wir nichts. Anders wäre es, wenn die Nachrichten über seine dritte Hauslehrerstelle bei der Gräfin Keyserling zu Rautenburg eine festere Grundlage hätten. Denn es existiert in der Tat eine von der Gräfin hergestellte, ansprechende Kreidezeichnung unseres Philosophen, die ihn so jugendlich wie sonst kein Büd, d. h. etwa dreißigjährig, darstellt,[31] während sie selbst damals (um 1753/54) 24—25 Jahre zählte. Und sie, die mit 25 Jahren ein philosophisches Werk Gottscheds ins Französische übersetzte, könnte zu diesen Studien durch ihren philosophischen Hauslehrer angeregt worden sein. Doch das beruht alles auf bloßen Vermutungen. Ebenso lassen sich aus dem Verschen, das er am 16. Juli 1757 einem unbekannten Freunde ins Stammbuch schrieb:
Großen Herren und schönen Frauen
Soll man wohl dienen, doch wenig trauen
keine anderen Schlüsse ziehen, als dass er jedenfalls kein abgesagter Feind des weiblichen Geschlechts gewesen ist.
Etwas festeren Boden betreten wir erst mit den 60er Jahren. Zwar aus seinem bekannten, mehr als fünf Druckseiten zählenden Briefe vom 10. August 1763 an eine der "gnädigen Dames aus dem von mir äußerst verehrten Schulkeimschen Hause", denen er durch Borowski das Trostschreiben an Frau von Funk (s. 88 f.) hatte zugehen lassen, und der er nun auf ihren Wunsch einen ausführlichen Bericht über die angeblichen Geistererscheinungen Swedenborgs übersandte, das 23 jährige Fräulein Charlotte von Knobloch, läßt sich auch nur auf seine liebenswürdige Galanterie gegen Damen überhaupt schließen: wenn er von "der Ehre und dem Vergnügen" spricht, "dem Befehl einer Dame" nachzukommen, "die die Zierde ihres Geschlechts ist", durch die Abstattung eines Berichts, der freilich "von ganz anderer Art" sei, "als diejenigen gewöhnlich sein müssen, denen es erlaubt sein soll, mit allen Grazien umgeben, in das Zimmer der Schönen einzudringen". Höchstens noch darauf, dass er dem Bildungsstreben junger Damen gern entgegen kam, wie er denn der nämlichen ältesten Tochter des Generals von Knobloch auch Wielands "Erinnerungen an eine Freundin" zuschickte, wofür sie sich ihm noch nach Jahren dankbar erwies. Denn nachdem sie bereits seit acht Jahren die Gattin eines Hauptmanns von Klingspor und Mutter von vier Kindern geworden war, dankt sie in einem zwar fürchterlich unorthographischen, aber von naturwüchsigem Gefühl zeugenden Briefe (1772), in dem sie den "hochedelgeborenen, hochgelehrten Herrn Professor und werten Freund" um Besorgung eines Hofmeisters bittet, für seine "Gütige Absicht, ein Junges Frauenzimmer durch angenehmen Unterhalt zu Bilden"; obwohl "bei denen möresten Menschen eine Lange Abwesenheit die Freundschaft erkalten Läst", sei sie "von der angenehmen gewißheit geschmeychelt, das Sie mein Freund sind: so wie Sie es ehe mahls waren" (Ak. Ausg. X, S. 122 f.).
Das beste Bild von Kants damaligen – und im wesentlichen sich gleich gebliebenen – Anschauungen über das weibliche Geschlecht gibt uns der dritte Abschnitt der 'Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen' (1764). Der 40 jährige Verfasser hebt hier die Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern sehr stark hervor, zum Teil allerdings infolge seines Themas, das den Gegensatz zwischen dem Erhabenen und Schönen in diesem Abschnitt auch auf die Charakteristik der Geschlechter anwendet. Das "Frauenzimmer" hat ein angeborenes stärkeres Gefühl für das Schöne und Zierliche, Hebt Scherz und Heiterkeit, Sittsamkeit und feinen Anstand, zieht das Schöne dem Nützlichen vor, hat einen "schönen" (wie wir einen "tiefen") Verstand. Er macht sich etwas