hatte bereits einige Male geklopft. Doch sie hatte es überhört. Jetzt öffnete sich die Tür. – Jutta meinte, der Vater käme zurück. Ohne den Kopf zu wenden, sagte sie leise:
»Ullrich hat geschrieben.«
Sie erhielt keine Antwort. Da blickte sie auf und sah – Klaus Heimburg! Ihr Herz begann wild zu schlagen. Nur mit Mühe beherrschte sie sich.
Seit ihrem Verlobungstag war sie jeder Begegnung mit ihm ausgewichen – wie sehr hatte er sich verändert!
Sein Gesicht war noch markanter geworden, tief lagen die Augen in ihren Höhlen.
»Verzeihung«, sagte er nun mit heiserer Stimme. »Ich habe mehrmals – – ich möchte Herrn Dahlen sprechen.« Dann machte er eine Bewegung, als wollte er das Zimmer wieder verlassen.
»Sie wünschen, Herr Heimburg?« fragte Jutta mit ihr selbst fremder Stimme.
Er zögerte, dann straffte er sich: »Ich wollte um meine Entlassung bitten.«
Langsam erhob sich Jutta, die Hand auf das rasend klopfende Herz gedrückt.
Schweigend senkte sie den Kopf, was Klaus als Bestätigung seiner Kündigung ansah.
»Dann kann ich wohl damit rechnen, gnädiges Fräulein, daß Sie Ihren Herrn Vater von der Angelegenheit unterrichten?« preßte er heiser hervor. »Sollten Sie inzwischen Ersatz für mich gefunden haben, wäre ich sehr dankbar, schon einige Tage früher gehen zu können.«
Es treibt ihn fort! dachte Jutta, und das Herz krampfte sich ihr zusammen. – Nicht einmal ein gutes Wort kann ich ihm sagen, viel weniger ihn halten! – Warum kam der Vater nicht und bereitete dieser Szene ein Ende? Da wurde sie sich plötzlich bewußt, wie sehr sie sich gehen ließ. – Es genügte doch, wenn sie unglücklich war – mochte er ruhig glauben, daß er ihr gleichgültig wäre.
Ja, nur so konnte er sich die Liebe zu ihr aus dem Herzen reißen! Und er würde vergessen und durch die Liebe einer anderen Frau gesunden. Nein, sie durfte ihn nicht halten!
So quälte sie sich die Worte ab:
»Sie werden es lange genug erwogen haben, ehe Sie zu diesem Entschluß gekommen sind. Vater wird Ihnen nicht hinderlich sein, obwohl die Werke dadurch viel verlieren.«
»Ich habe es mir reiflich überlegt«, antwortete er, während ein wahrer Sturm in seinem Innern tobte.
Schweigend wandte er sich zum Gehen – und sie hielt ihn nicht zurück.
Kaum hatte sich jedoch die Tür hinter Klaus geschlossen, fiel Jutta fast in den Sessel, und überließ sich ihrem Schmerz.
So fand Bernhard Dahlen seine Tochter.
Bestürzt hob er ihr tränenfeuchtes Antlitz empor.
»Jutta! Was ist geschehen?«
Wirr sah sie um sich und preßte die Hände zusammen. – Dabei fühlte sie Andersens Brief.
Lieber Gott, verzeih mir die Lüge! dachte sie. Dann lächelte sie zum Vater auf.
»Lies, Vater!« Sie reichte ihm den Brief. »Andersen drängt auf baldige Hochzeit; der Gedanke, daß ich euch bald verlassen soll, hat mich überwältigt.«
Bernhard Dahlen las und gab ihr kopfschüttelt den Brief zurück.
»Ich kann es Ullrich nicht verdenken, Jutta. – Aber dich verstehe ich nicht. Mir scheint, dir fällt es sehr schwer.«
»Nein, Vater!« wehrte sie leidenschaftlich ab. »Es ist die erste Trennung von dir. – Für immer! – Da muß dir mein Schmerz begreiflich sein.«
Dahlen gab sich den Anschein, als glaube er ihren Worten.
Zärtlich strich er Jutta über das Haar.
»Und welche Antwort erhält Andersen von dir?«
»Ich fahre nach Berlin!« sagte sie entschlossen.
Dahlen atmete auf.
»Das ist recht, Jutta. Und da du sicher Vorbereitungen zu dieser Reise zu treffen hast, entlasse ich dich für heute aus meinen Diensten«, scherzte er.
Lebhaft stimmte sie seinem Vorschlag zu.
Jutta ließ sich ihren Wagen fahrbereit machen.
Danach fuhr sie planlos in der Umgegend umher.
Ah – wie wohl das tat, mit dem Wind um die Wette zu fahren!
Plötzlich fuhr sie erschrocken auf. Sie hatte ja ganz vergessen, Vater von Klaus Heimburgs Kündigung zu unterrichten.
Und dann kamen wieder die Gedanken an all das Traurige, dem sie hatte entfliehen wollen.
Um ihretwillen verließ Klaus seine Stellung!
Wieder trug sie Schuld! Heimburg litt, weil er sie liebte – und Ullrich Andersen würde noch um sie leiden, weil sie ihm nicht ihr ganzes Herz schenken konnte.
Plötzlich ging ihr ein Gedanke durch den Kopf. – In vier Wochen war sie Andersens Weib – und in vier Wochen wollte Heimburg die Werke verlassen – noch wußte der Vater nichts von seiner Kündigung. – – Wenn sie Heimburg nun bat, zu bleiben?
Sie war ein tüchtiges Stück von Narbach entfernt; doch wenn sie sich beeilte, konnte sie noch vor Arbeitsschluß in den Werken sein. – Nein, nicht dort wollte sie ihn sprechen – vor seinem Haus wollte sie ihn erwarten!
In scharfem Tempo fuhr sie zurück.
Fünf Uhr! – Gott sei Dank – nicht zu spät gekommen!
Der Wagen hielt. Aufatmend lehnte Jutta sich zurück.
Aber was war das?
Jutta hatte gerade noch soviel Kraft, daß sie den Schlag öffnen konnte um auszusteigen – da brach sie auf dem Trittbrett zusammen. – –
Klaus Heimburg kehrte gerade nach Hause zurück – als er den Wagen mit geöffnetem Schlage stehen sah.
Er glaubte an ein Autounglück und eilte hinzu.
Da sah er Jutta auf dem Trittbrett liegen.
Den Schreck, der ihn durchfuhr, überwand er schnell. Vorsichtig nahm er Jutta in seine Arme und setzte sie neben den Fahrersitz. Er selbst nahm am Steuer Platz, um sie heimzubringen.
Nur wenige Meter war Klaus gefahren, da erwachte Jutta.
Erstaunt sah sie um sich. – Da fiel ihr Blick auf den Mann, dem alle ihre Gedanken gegolten hatten.
Ohne ihr den Kopf zuzukehren, sagte er:
»Verzeihen Sie meine Eigenmächtigkeit – ich fand Sie und da ich nicht verantworten kann, Ihnen das Steuer zu überlassen, müssen Sie sich schon gefallen lassen, daß ich Sie heimfahre.«
»Ja, bitte«, sagte sie leise, »ich danke Ihnen.«
Dann herrschte Schweigen zwischen ihnen.
Hinter Juttas Stirn kreisten die Gedanken. – Nun saß er neben ihr – das Schicksal hatte es so gefügt – und sie fand nicht den Mut, zu sprechen! – Aber sie mußte es – ihre Fahrt sollte nicht umsonst gewesen sein!
»Herr Heimburg, ich bitte Sie, fahren Sie dem Jagdhaus zu, da ich etwas mit Ihnen zu besprechen habe, was mich sehr beschäftigt.«
»Bitte«, sagte er kurz, sein Erstaunen geschickt verbergend.
In langsamer Fahrt fuhr er dahin.
Jutta ließ seine beglückende Nähe voll auf sich wirken. Vergessen war, was sie ihm sagen wollte. –
»Warum sprechen Sie nicht, gnädiges Fräulein?« stieß er endlich hervor.
Auf ihrem Gesicht lag noch das verträumte Lächeln, als sie, ohne ihn anzusehen, sagte:
»In vier Wochen findet meine – Hochzeit statt.«
Sein Kopf fuhr herum. Bitterkeit wallte in ihm