Hermine zeigte keine Lust, länger im Haus der Eltern zu bleiben, und da machte ihr Bernhard den Vorschlag, sie möchte doch zu uns ziehen.
Hermine sah eine Weile gedankenvoll vor sich hin – ich schickte heimlich ein Gebet gen Himmel, sie möchte das Anerbieten ausschlagen. – Aber zu meiner Überraschung sagte sie zu. Ich aber gab mir Mühe, meines Gatten Vorschlag ehrlich zuzustimmen.
Kurze Zeit später hielt Hermine ihren Einzug in mein Heim.
Es ergab sich von selbst, daß sich Hermine etwas um den Haushalt kümmerte, da ich genug mit Jutta beschäftigt war und der Arzt mir Ruhe verordnet hatte.«
Melitta machte eine Pause, strich sich eine Locke aus der Stirn und, ohne einen Blick auf Andersen zu werfen, sprach sie weiter:
»Hermine hatte sich eingelebt bei uns. Die Hausordnung war dieselbe geblieben – und doch war es anders geworden. – War es das strenge Regiment, das sie führte – oder war es, weil mein Lachen verstummt war? – Denn nur selten fand ich meine frühere Fröhlichkeit wieder.
Mir kam es vor, als sei die Sonne aus unserem Haus gewichen. Äußerte ich derlei Gedanken zu Bernhard, lachte er mich aus und meinte: ›Man kann nicht nur lachen! Das Leben ist ernst‹.
Ich nahm mir vor, nicht alles so sehr zu Herzen zu nehmen, fühlte aber mitunter, daß zwischen Bernhard und mich etwas getreten war, dem ich keinen Ausdruck zu verleihen vermochte.
Bernhard gab mir das Wirtschaftsgeld nach wie vor, und ich händigte es Hermine aus. Früher waren wir damit ausgekommen – jetzt geschah es nicht selten, daß Hermine etwas nachverlangte. Ich vertraute ihr grenzenlos. – Zuerst gab ich von meinem Taschengeld, später war ich jedoch gezwungen, Bernhard darum zu bitten. Dabei war unsere Lebensführung dieselbe geblieben.
Ich begann Hermine heimlich zu beobachten.
Fast zwei Monate weilte sie nun im Hause.
Es war mir aufgefallen, daß sie in dieser Zeit mehrmals verreist war. Früh fuhr sie fort, nachts kam sie wieder; und den folgenden Tag ging sie mit verweinten Augen einher. – Trug die Schwester ein heimliches Leid?
Daß sie mehr Post als sonst empfing, fiel mir weiter auf.
Eines Tages kam ich hinter ihr Geheimnis.
Mit meiner kleinen Jutta suchte ich den hinteren Teil unseres Gartens auf.
Schon von weitem sah ich Hermine auf meinem Lieblingsplätzchen sitzen. Kaum war sie meiner ansichtig geworden, erhob sie sich hastig und eilte verstört an mir vorüber dem Haus zu.
Kopfschüttelnd sah ich ihr nach. Merkwürdig war ihr Benehmen! Ob ich nicht Bernhard davon Mitteilung machte? Hermine schien ernstlich krank zu sein.
Noch während ich darüber nachdachte, fiel mein Blick auf ein Stück Papier Ich bückte mich danach: es war ein Brief an meine Schwester.
Schon wollte ich ihn ihr nachbringen, als mir eine innere Stimme zuflüsterte öffne ihn – lies –!
Ich tat es. Und war wie gelähmt vor Entsetzen!
Hermine besaß einen Jungen, ungefähr fünf Jahre alt! Ich geriet in große Aufregung und ließ im Geist die verflossene Zeit an mir vorüberziehen. – Alles erklärte sich nun von selbst! Aber was sollte ich tun? Bernhard Mitteilung davon machen? Nein, lieber nicht! – Zu Hermine gehen? –
Ich nahm Jutta und eilte ins Haus. Dort übergab ich sie dem Mädchen und zog mich in mein Zimmer zurück.
Da öffnete sich die Tür und Hermine erschien!
Kein Blutstropfen war in ihrem Gesicht.
›Melitta‹, bat sie mich fast demütig, ›kannst du mir etwas Geld geben?‹
Also darum hatte sie soviel Geld gebraucht: – für das Kind!
Als Antwort legte ich den Brief vor sie hin. – Ihre Augen wurden immer größer, schließlich stieß sie hervor ›Du hast ihn gelesen?‹
Ich nickte nur.
Da lachte sie hohnvoll! Ich erschrak bis ins Herz
»Ja da staunst du! Hahaha – du unschuldsvoller Engel! Nicht nur du kannst dich dessen rühmen – auch ich besitze einen Jungen! Warum blickst du so vorwurfsvoll? Du hast kein Recht, mich über die Schultern anzusehen! – Freilich, wem das Glück in den Schoß fällt, unverdient, wie dir, braucht man keine dunklen Wege zu gehen! Oder glaubst du, daß du besser bist als ich? Du mit deiner scheinheiligen Larve, die die Männer betört – und über das Herz der Schwester hinwegschreitet!«
›Hermine!‹ schrie ich auf. ›Du weißt nicht, was du sprichst!‹
Ganz vernünftig sprach ich dann mit ihr; vor allem wollte ich Bernhard Mitteilung davon machen. Da wurde sie fast wild.
›Nein!‹ schrie sie. ›Nur das nicht!‹
Erst dachte ich, die Scham verschlösse ihr den Mund. Später sollte ich jedoch den Grund erfahren – er hat mir fast das Herz gebrochen.
Lange saßen wir zusammen. Als ich mich erhob, taumelte ich. – Nicht nur ihr Geständnis, ihre ganze leidenschaftliche Art, ließ mich erschauern.
›Schwöre mir!‹ – sie hielt mich mit derbem Griff zurück –, ›daß nie ein Wort darüber zu Bernhard kommt!‹
Wie unter fremdem Willen tat ich es.
›Ich werde Bernhard heute noch um Geld bitten.‹
›Denk an deinen Schwur!‹ erinnerte sie mich.
Beruhigend nickte ich ihr zu.
›Von mir wird er nichts erfahren. Ein Grund wird sich finden – noch weiß ich nicht, wie es geschehen soll. Aber ich verspreche dir, du sollst das Geld haben – ich werde zu den Leuten fahren, die dein Kind in Pflege haben.‹
Heftig riß sie mir den Brief aus der Hand.
›Nie erfährst du, wo sich das Kind aufhält!‹
Und dann bat sie wieder, gänzlich verändert
›Tu mir den Gefallen und rühre nicht daran! Mir gehört es mir ganz allein!‹
Ich gab wieder nach, nahm mir jedoch vor, meinen Plan auszuführen die Adresse hatte ich mir gemerkt
So trennten wir uns. Wie im Traum verbrachte ich die nächsten Tage Argwöhnisch bewachte sie jeden meiner Schritte. Das Geld hatte ich mir von meinem Mann verschafft. – Es war ein bitterer Gang für mich; auch konnte ich schlecht lügen.
Er fragte mich, wozu ich es benötige – und ich log, sprach von der Schneiderin und Anschaffungen für das Kind.
Er schien mißtrauisch zu sein. – Doch mir war alles gleichgültig. Nur ein Gedanke beherrschte mich: ich mußte Hermine helfen!
Von diesem Tag an reihte sich Lüge an Lüge. – Ich log für die Schwester – mich band ja mein Schwur.
Ich wurde immer elender dabei. Heimlich nahm ich mir vor, ich wollte Hermines Kind ins Haus holen. Schlimmer konnte es auch nicht werden als jetzt.
Zwischen Bernhard und mir war alles anders geworden. Immer seltener hängte ich mich an seinen Hals, wie ich es früher getan hatte! – Und ich sehnte mich gerade jetzt so sehr nach Liebe!
Hermine dagegen war es gelungen, sich immer unentbehrlicher bei Bernhard zu machen. Sogar um die Werke schien sie sich zu sorgen und heuchelte größtes Interesse.
Ich war nur noch ein Schatten meiner selbst. War es schon viel, was ich bisher ertragen hatte – das Schlimmste kam erst! Durch die seelischen Erschütterungen kam mein zweites Kind früher zur Welt, und ich glaubte, zwischen Bernhard und mir würde nun alles wieder gut werden.
Er war auch gut zu mir – aber der stille Vorwurf in seinen Augen drückte mir fast das Herz ab. Immer stiller wurde ich – immer gedrückter. Mein ganzes Glück war mein Kind.
Und Hermine bohrte weiter bei