da ein gegebenes Wort zwischen ihnen stand?!
In fliegender Hast kleidete sie sich um.
Dann stieg sie wieder die Treppe hinunter und begann in der Hotelhalle ein endloses auf und ab. Ein Gefühl sagte ihr, daß sie den Mann wiedertreffen würde.
*
»Auf Wiedersehen, Liebes!« flüsterte Andersen Jutta zu. »Heute bestelle ich das Aufgebot – und in vier Wochen – –«
»Auf Wiedersehen, Ullrich!« gab Jutta zurück. Und solange sie in seine voll Liebe auf sie niederschauenden Augen blickte, hatte das ihr Bevorstehende alles Entsetzen für sie verloren.
Dann entführte der Zug Jutta.
Langsam wandte sich Andersen zum Gehen. In Gedanken versunken, schritt er seinem Wagen zu und ließ sich zum Hotel fahren.
Kaum hatte er die Hotelhalle betreten, blieb er wie angewurzelt stehen. – Träumte er? – Jutta – die er soeben hatte fortfahren sehen – stand nur wenige Schritte von ihm entfernt?!
»Jutta!« rief er erstaunt.
Da kam Bewegung in die regungslos stehende Frau. Und jetzt sah er deutlich: es war nicht Jutta – aber konnten Tote zum Leben erwachen?
Nun stand die Frau vor ihm, starrte ihn aus entsetzten Augen fassungslos an. Und jetzt hörte er auch ihre Stimme – Juttas Stimme –
»Ullrich!«
Er trat einen Schritt vorwärts und faßte nach den Händen der Frau.
»Melitta!«
Ein wehmütiges Lächeln schwebte um den Mund der Frau; ihre Hände zitterten in den seinen.
Andersen merkte, daß sie bereits Aufsehen erregten; er legte den Arm um die Schultern der Frau und führte sie davon.
Im Lesezimmer saßen sie sich gegenüber. Melitta Heimburg in fieberhafter Aufregung – Ullrich Andersen erschüttert und aufgewühlt.
Lange sahen sie sich in stummem Schweigen in die Augen.
Das war nun die Frau, die er nicht vergessen konnte! – Schöner denn je sah sie aus, mit dem Leidenszug m dem feinen Gesicht.
Ja – das war Ullrich Andersen! – Gemeinsame Erinnerungen verbanden sie mit ihm – und jetzt war er der Verlobte Juttas! Ihre erste Ehe zog an ihr vorüber.
Es war ein stilles Glück gewesen, bis zu jenem Tag, da alles zusammengebrochen war und Heimburg sie in sein Haus holte und ihr den Frieden wiedergegeben hatte.
Schmerzlich ruhte Andersens Blick auf ihr. Je länger sie in seine Augen blickte, desto mehr schwand die Erregung in ihr – merkwürdig ruhig wurde sie.
Ihr war mit einem Male, als hätte sie ihr ganzes Leben auf diesen Mann gewartet – um an seinem Herzen all ihr Leid zu vergessen.
»Melitta!« Zaghaft haschte er nach der schlanken Frauenhand. »Noch kann ich es nicht fassen, dich vor mir zu sehen – dich, die – –« Hastig brach er ab. Er hatte sagen wollen: die Totgeglaubte
»Sprich es ruhig aus, Ullrich. Längst gehörte ich nicht mehr zu den Lebenden – einfach totgeschwiegen hat man mich. – Doch nicht von mir wollen wir sprechen, sondern von dir – und Jutta.«
Maßloses Erstaunen war in ihm
»Das weißt du?«
»Ja«, erwiderte sie nur.
In tiefem Mitgefühl blickte er auf die schmale Gestalt. – Da konnte der Mensch doch den Verstand verlieren. Sein ganzes Leben hatte er für diese Frau gearbeitet, sie zu vergessen versucht, als sie dem anderen gefolgt war, und sie tief betrauert, als man ihm erzählt, daß sie gestorben sei!
»Melitta – und dein Kind?« fragte er aus seinen Gedanken heraus.
»Weiß nichts von ihrer Mutter, sie ist für sie tot. Inwieweit er das Andenken an mich gepflegt hat – hätte ich gern von dir gewußt.«
Flehend sah sie ihn an Andersen mußte wegsehen – Was gäbe er jetzt darum, könnte er der Frau auch nur ein beruhigendes Wort sagen.
Doch in geheimer Furcht, sein Inneres preiszugeben, hatte er jede Frage nach Melitta unterlassen – und das Übergehen ihrer Person im Hause Dahlen mußte sie bis ins Herz treffen.
Er schwieg – und das war ihr Antwort genug. Zwei Tränen liefen über ihre Wangen, tropften auf seine Hand, die noch immer die ihre umschloß.
»Melitta, wir können nicht hierbleiben! Laß mich Einblick in dein Leid gewinnen!«
Unter Tränen nickte sie.
»Ja – Ullrich, du sollst alles erfahren.«
Während sie im Wagen Andersens Villa zufuhren, sagte sie:
»Ullrich, du siehst noch so jung aus und bist doch fast zehn Jahre älter als ich.«
»Mich hat das Glück verjüngt
und – –«
Der erschrockene Ausdruck ihrer Augen ließ ihn nicht weitersprechen.
»Du liebst wohl Jutta sehr?« fragte sie mit zu Boden geschlagenen Augen.
Er antwortete nicht gleich.
Lauf nicht am Glück vorbei! rief es in ihm. – Laß nichts Unausgesprochenes zwischen euch – es könnte dir mehr Leid als Freude bringen!
Da hielt der Wagen, und er wurde vorläufig einer Beantwortung der Frage enthoben.
Teilnahmslos ließ sie sich von ihm führen. Vor sich hin träumend saß sie dann im Sessel.
»So, Melitta«, sagte Andersen in ihre Träume hinein, »nun habe ich unbeschränkt Zeit.«
Wie ein Rausch war es über ihn gekommen. – Sein tiefer Ernst hatte einer stillen Freudigkeit Platz gemacht.
War es nicht ein Glück zu wissen, daß Melitta lebte? Alles andere sank in Vergessenheit, die traumhaft schöne Stimmung spann ihn ein, und er gab sich dem Zauber der Stunde hin.
Und Melitta erzählte, zuerst stockend, später immer leidenschaftlicher werdend.
»Es war vor neunzehn Jahren«, begann sie mit geistesabwesendem Blick. »Ich war Bernhard Dahlens Weib geworden. Er liebte mich und ich ihn, mit der ganzen Hingabe, der ich fähig war.
Hatte es mir vor unserer Ehe schon manch bittere Stunde eingebracht, daß ich meine Liebe ihm gar zu offen zeigte, so wurde das nachher nicht anders. Am meisten zog meine Schwester mich damit auf: Hermine von Erlstett. Sie tat es in einer spöttischen, rohen Art, so daß ich mir ernstlich vornahm, in Zukunft keinen mehr Einblick in mein Inneres tun zu lassen.
Immer sehnlicher wünschte ich den Tag herbei, der mich aus dem Elternhaus bringen sollte. Fast hatte ich mich vor dem Blick meiner Schwester fürchten gelernt, der, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, drohend auf mir ruhte.
Und dann zog ich als glückstrahlende Braut in die Villa Dahlenburg.
Vollkommen wurde das Glück aber erst, als unser erstes Kind geboren wurde: Jutta nannten wir es.
Nie wird es eine zärtlichere, sorgendere Mutter gegeben haben! So selten trennte ich mich von dem Kind, daß mein Mann scherzend meinte, er käme in Vergessenheit.
Ich lachte ihn aus. Er wußte doch genau: mein Kind und er waren meine ganze Welt!
Von meiner Schwester hörte ich außer kurzen Mitteilungen sehr wenig. – Das erste Leid trat an mich heran, als sie mir kurz und schonungslos mitteilte, daß meine Mutter gestorben sei.
Ich ließ mich nicht zurückhalten, zur Beerdigung zu gehen.
Zwei Jahre hatte ich meine Schwester nicht gesehen und war entsetzt über ihr Aussehen. Fast mager war sie geworden, die Augen glühten in einem unheimlichen Feuer. Ängstlich drückte ich mich an meinen Gatten.
Ich fragte nach dem Grund ihres