Hemmung.
»Ja – eigens, um Ihnen das zu sagen, habe ich sie darum gebeten.«
Er lachte hohnvoll auf. »Ihre Grausamkeit ist selbst für mich zuviel! Das letzte hätten Sie mir ersparen können! – Wenn Sie sich stark genug fühlen, bitte ich Sie, mich aussteigen zu lassen.«
Da legte sie bittend die Hand auf die seine.
»Nein, Klaus Heimburg, ich bitte Sie, mich anzuhören! Ganz kurz will ich es machen. – Ich habe Ihre Kündigung noch nicht an meinen Vater weitergegeben – und bitte Sie, diese zurückzunehmen!«
Ein Glücksgefühl war urplötzlich über ihn gekommen. – War das möglich – sie bat ihn, zu bleiben?
»Was veranlaßt Sie dazu?« fragte er mit unsicherer Stimme. »Mein Schicksal sollte Ihnen doch gleichgültig sein!«
»Nein!« schrie sie fast heraus. »Es ist mir nicht gleichgültig, denn – –« Sie brach ab und ließ den Kopf auf die Brust sinken. –
Was hatte sie sagen wollen? –
Klaus Heimburg war, als fiele ihm eine Binde von den Augen – als wäre er plötzlich sehend geworden.
»Jutta!«
Es klang wie der Schrei eines Gefangenen nach Freiheit.
Im nächsten Augenblick riß er sie an seine Brust und bedeckte ihre Lippen mit heißen Küssen.
Wortlos, glücklich, ließ Jutta diesen Sturm der Leidenschaft über sich ergehen.
Da kam ihm jäh die Erinnerung, daß sie ja nicht frei war. – Er ließ bei diesem Gedanken von ihr und barg stöhnend das Haupt in den Händen.
»Vergebung!« murmelte er. »Ich war wahnsinnig – aber meine Liebe ist stärker als jede Vernunft. Nun muß ich erst recht die Dahlen-Werke meiden!«
Wieder trat der gehetzte Ausdruck in ihre Augen.
»Nein, nein! Nehmen Sie mir die Last von der Seele, Sie einem ungewissen Schicksal entgegengehen zu sehen!«
Er ließ die Hände sinken, schaute ihr lange in die geliebten Augen und lächelte nachsichtig.
»Ich bin nicht der, für den du mich hältst, Jutta. Ich kehre zurück in meine Heimat, nach Amerika. Dort herrsche ich dann wieder über viele Arbeiter, denen ich ein gerechter Herr sein will, wenngleich ich todeinsam sein werde.«
Jutta hörte nichts als das vertraute »Du«, das zum ersten Male über seine Lippen kam – und der ganze Jammer über die Aussichtslosigkeit ihrer Liebe überkam sie. – Nun rächte es sich, daß sie einem ungeliebten Mann ihr Jawort gegeben hatte.
Ihre Gefühle rissen sie hin und her – doch als unumstößliche Tatsache blieb nur ein Gedanke zurück: eine Jutta Dahlen hält ihr gegebenes Wort!
Laut sagte sie es auch zu Klaus:
»Eine Jutta Dahlen hält zu ihrem gegebenen Wort! – Morgen fahre ich nach Berlin, ich werde vermeiden, daß wir uns wieder begegnen! Nun halte ich Sie nicht mehr – noch heute soll mein Vater von Ihrer Kündigung erfahren.«
Klaus zog ihre Hand an seine Lippen, ließ sie lange in heißem Kampf darauf ruhen. Als er sich aufrichtete, war der Kampf in ihm beendet.
»Ich füge mich deinem Entschluß, Jutta – laß mich dich noch einmal so nennen –, es konnte ja nicht anders sein, wenn du dir treu bleiben willst! Aber unauslöschbar ist dein Bild in mein Herz gegraben!«
Wehmütig war ihr Lächeln, mit dem sie ihm den Schlag öffnete.
Fest ruhten ihre Hände noch einmal ineinander – dann trat Klaus Heimburg zurück.
Lebe wohl! grüßten seine Augen – seine Lippen waren fest zusammengepreßt.
Lebe wohl! grüßte sie schweigend.
*
Jutta hatte sich zurechtgefunden. Jetzt war zwischen ihr und Klaus alles geklärt, und Friede zog in ihr Herz.
Mit leuchtendem Blick legte Ullrich Andersen den Arm um ihre zarte Gestalt, als er am Abend des nächsten Tages in der Oper neben ihr saß.
Dann lag das Opernhaus im Dunkel.
Mit geschlossenen Augen trank Jutta die Musik. Sie drang ihr tief ins Herz und erfüllte es mit heiliger Andacht.
Wie aus einem schönen Traum erwachte Jutta, als rasender Beifall sie umtoste, der den Künstlern auf der Bühne galt.
Still führte Andersen sie davon, ließ die Empfindungen in ihr nachwirken.
Als er ihr den Mantel umlegte, sagte er leise zu ihr:
»Ich habe damit gerechnet, daß dir nach diesem herrlichen Genuß die große Gesellschaft nicht zusagt und deshalb ein Nachtessen bei mir vorbereiten lassen – du bist doch einverstanden?«
Dankbar lächelte sie ihm zu.
»Du denkst an alles, Ullrich – ich danke dir.«
Wie ein Bann lag es über ihm, der nicht weichen wollte.
Da kam ihm plötzlich der Gedanke: noch nicht einmal hat sie mir freiwillig den Mund zum Kuß geboten! – Warum ist das so anders bei uns als gewöhnlich zwischen Liebesleuten?
Streng ging er mit sich ins Gericht und konnte sich nicht frei von Schuld sprechen. – Hatte er sie wirklich um ihrer selbst willen zu seiner künftigen Frau erwählt – oder sah er in ihr nur die, die er einst sehr geliebt hatte: Melitta? –
Weit schob er diesen Gedanken von sich. Die Vergangenheit durfte keine Macht über ihn gewinnen; denn die Zukunft lag verheißungsvoll vor ihm, und sie hieß: Jutta!
Die Tage vergingen wie im Fluge.
Voll Wehmut dachte Andersen an die Trennung.
Er hatte in seinem Hotel zum Abschied ein Frühstück bestellt und ging in Erwartung Juttas in der Hotelhalle auf und ab.
Wenige Minuten später erschien sie reisefertig. – Keiner achtete auf die schlanke Frau, die den in den Speisesaal Verschwindenden nachstarrte.
Frau Heimburg, die für ein paar Tage nach Berlin gekommen war und in dem gleichen Hotel Wohnung genommen hatte, durchfuhr der Schreck des unverhofften Wiedersehens, daß sie wankte.
Mechanisch ließ sie sich in den nächsten Sessel nieder. Sie preßte die Zeitungen, die sie soeben gekauft hatte, fest an sich. Sie war wie gelähmt.
Nur das Mädchengesicht, das sie nahe vor sich gesehen, war ihr aufgefallen; von ihrem Begleiter hatte sie nicht viel wahrgenommen. Sie grübelte darüber nach.
Wer war es?
Lange saß sie da, auch dann noch, als Andersen und Jutta das Hotel wieder verließen. Sie ließ keinen Blick von ihnen.
Heiß stieg es hoch in ihr; ihr Blick verdunkelte sich – nur unklar erkannte sie den kraftvollen Mann. Jetzt legte er dem blonden Mädchen den Arm voller Blumen. –
Da war der Spuk vorbei – denn so kam ihr dieses Zusammentreffen vor. – Schwerfällig erhob sie sich, ging zum Pförtner und ließ sich die Post aushändigen.
Die wenigen Schritte zum Fahrstuhl und von dort in ihr Zimmer fielen ihr unendlich schwer.
Dann entdeckte sie einen Brief von Klaus unter ihrer Post.
Hastig erbrach sie ihn, und was sie las, trug nicht dazu bei, die schwere Erschütterung von ihr zu nehmen.
Schicksal, grausames Schicksal! – Jutta liebte ihren Klaus ebenfalls – aber sie war die Braut eines anderen und konnte ihr Wort nicht brechen!
Mit fiebrigen Augen suchte sie den Namen jenes anderen und fand ihn auch.
Ullrich Andersen!
War das der Mann, den sie soeben gesehen hatte? Aber nein –! Soviel sie sich erinnern konnte, war er doch viel älter als Jutta?
Und