ging ihr seine Stimme, die so seltsam weich klang. – Wie konnte sie auch ahnen, daß er Abschied von ihr nahm – daß er sie im gleichen Augenblick betrog.
»Reinhold!« Aus ihren Augen brach ein Schein mütterlicher Liebe. »Falls Dahlen weiter Geld für die Erfindung an dich zahlt – dann gib mir nichts. Du sollst nicht mit dem Pfennig rechnen müssen – ich werde in Zukunft alles haben, was ich brauche.«
In Pegaus Gesicht begann es zu zucken; hastig trat er ans Fenster. Was war nur mit ihm los? Lauter Regungen kamen ihm, die ihm bisher fremd gewesen waren. – Nein, er wollte sich nicht davon unterkriegen lassen! – Sollte alles umsonst gewesen sein? Nein! Er ging einer neuen Zukunft entgegen, hatte darum alle Brücken hinter sich abgebrochen – und sich damit auch von ihr gelöst! – In wenigen Stunden würde sie ihn vergessen haben – wenn sie alles erfuhr – wenn man in den Werken hinter seinen Betrug kam!
Pegau drehte sich um; er war wieder ruhig.
»Ich danke dir, Mutter; mein Gehalt langt für mich. Sobald mir Dahlen das Geld gibt, erhältst du, wie verabredet, die Hälfte – du sollst nicht um deinen Anteil kommen.«
»Ich will es aber nicht haben! Warte mal.« – Sie trat an ihren Schreibtisch und öffnete ein Geheimfach, dessen Schlüssel sie um den Hals trug. Ein Bündel Banknoten brachte sie zum Vorschein. Ohne den Schreibtisch abzuschließen, kam sie auf ihn zu. »Hier, Reinhold, ich habe es mir während meiner Tätigkeit im Hause vom Wirtschaftsgeld weggenommen – für alle Fälle. Jetzt habe ich es nicht mehr nötig.« – Sie drückte es ihm in die Hand. »Behalte es. Damit kannst du dir später eine Existenz schaffen und brauchst nicht immer abhängig zu sein.«
Seine Hand, die sich um die Banknoten krampfte, zitterte. – Gib es zurück! – riet eine Stimme in ihm – aber da drängte sie schon wieder.
»Schnell, steck es ein, und laß uns zu den anderen gehen.«
Da verstaute Pegau das Geld in seine Rocktasche, küßte ihr die Hand und sagte nur:
»Ich danke dir.«
Da klopfte es und Bernhard Dahlen trat ein.
Er ließ sich nichts von der Aufregung, die in ihm tobte, anmerken. »Herr Direktor Pegau, grüß Gott – darf ich Sie bitten, mich einige Minuten mit meiner Braut allein zu lassen?«
»Natürlich, Herr Dahlen«, sagte er höflich, und dann zu seiner Mutter: »Auf Wiedersehen, gnädige Frau!«
Hermine wollte ihn zurückrufen, da war er schon zur Tür hinaus.
Dahlen hatte sie noch nie in ihrem Salon aufgesucht. Sie war neugierig, was er von ihr wollte.
»Bitte, Bernhard!« Sie wies auf einen Stuhl. »Du kommst mir so eigenartig vor.«
»So?« fragte er und blickte finster auf sie hinab. »Ich will Abrechnung mit dir halten!«
»Abrechnung?« Langsam verfärbte sie sich. »Was soll das heißen?«
»Daß ich dich in deiner Lügenhaftigkeit erkannt habe und dich bitte, sofort mein Haus zu verlassen!«
»Bernhard!« schrie sie auf. »Bist du von Sinnen? – Lügenhaftigkeit wirfst du mir vor – und die langen Jahre, die ich dir treu gedient habe? Ist das gar nichts?«
»Doch – das bedeutet, daß du die langen Jahre verstanden hast, mich zu täuschen! Oder willst du weiterhin leugnen, daß du dem Jungen das Leben schenktest?«
In ihren Augen flackerte es irr auf. – War alles Lügen und Betrügen umsonst gewesen? – Noch konnte sie nicht daran glauben. Sie lachte plötzlich unnatürlich auf.
»Du willst mich auf eine Probe stellen, Bernhard; ich glaube, sie bestanden zu haben.« Sie wollte den Arm um ihn legen. »Bernhard – sei wieder vernünftig!«
Er stieß sie von sich.
»So leugnest du immer noch?«
»Ja – ich behaupte, daß du nicht weißt, was du sprichst – du bist wahnsinnig geworden!«
Er machte einige Schritte rückwärts und rief laut:
»Melitta!«
Jetzt glaubte sie wirklich, er habe den Verstand verloren. Doch – wer war die schlanke Frau, die dort auf der Schwelle stand? Waren die Toten auferstanden?
Abwehrend hob sie die Hände.
»Was willst du von mir?« schrie Hermine außer sich. »Willst du mir abermals das Glück entreißen!«
Melitta kam langsam näher, sah auf die am ganzen Körper zitternde Frau – und nicht ein Funken Mitleid regte sich in ihr.
»Ein Glück darf nie auf Lügen aufgebaut sein, sonst zerrinnt es – du hast dich selbst genug gestraft. – Ich empfinde keinen Triumph über deinen Zusammenbruch, denn du wirst nie deine Ruhe wiederfinden!«
Dann ging blitzschnell eine Veränderung mit Hermine vor. Sie wankte auf Melitta zu und sagte:
»Verzeih mir, Melitta, du hast recht – ich habe mein Leben selbst zerstört – du bist Siegerin über mich geblie-ben –! Noch heute werde ich das Haus verlassen und mich dir nicht wieder nähern! Versuche, an mich wie an eine Verirrte zu denken – ich habe selbst sehr unter meiner unglücklichen Veranlagung gelitten! Und nun laßt mich allein – ich will packen!«
Leise kam es von Melittas Lippen: »Ich fluche dir nicht.« – Dann verließ sie das Zimmer.
Hermine war unnatürlich ruhig geworden. Bittend sagte sie zu Vahlen, der mit verschränkten Armen vor ihr stand:
»Bernhard, ich konnte nicht Herr werden über meine Liebe zu dir – verzeih mir, und bitte, laß es meinen Sohn nicht entgelten, wieviel Schuld ich auf mich geladen habe.«
Schonungslos erwiderte Dahlen:
»Um deinen Sohn brauchst du nicht zu bitten, er wird heute noch der Staatsanwaltschaft übergeben!«
»Bernhard!« Alle Verzweiflung legte sie in dieses eine Wort. »Was hat Reinhold getan?«
»Er hat die Erfindung, die du mir so warm empfahlst, erlogen – und mit dem Geld wollte er heute abend das Weite suchen. Aber das ist noch nicht alles – er hat einen großen Schwindel mit Aktien betrieben, der mich zweihunderttausend Mark kostete – das Geld floß in seine Tasche! Systematisch wollte er mich zugrunde richten. Er ist in jeder Beziehung dein gelehriger Sohn!«
Wie Hammerschläge sausten seine Worte auf sie nieder.
Mühsam schleppte sie sich zu einem Stuhl. Dort brach sie zusammen und schlug die Hände vor das Gesicht.
Leise schloß sich die Tür hinter Dahlen. – Nein, er kannte kein Mitleid! Was sie ihm angetan, konnte sie auch durch das schwerste Opfer nicht gutmachen! –
Hermine war wie versteinert. – Aus – alles aus! Und vor wenigen Minuten noch hatte Reinhold so weich ›Mutter‹ zu ihr gesagt! Es war ein Abschied für immer gewesen! So wie sie einst gelogen und betrogen hatte, handelte nun der eigene Sohn an ihr – er, dem sie rückhaltlos vertraute!
Sie stöhnte auf – das konnte sie nicht ertragen!
Sie schleppte sich zu ihrem Schreibtisch, wühlte unter den Papieren – bis sie ein Fläschchen spürte.
Es war ganz ruhig in ihr geworden. Sie legte sich auf den Diwan – und trank das Fläschchen aus.
Ach – das tat gut! Nun kam – der Frieden!
*
Jutta lag abgespannt in ihrem Bett.
Mit geschlossenen Augen, ohne zu schlafen, drückte sie den Kopf tief in die Kissen.
Leise ging die Tür auf.
Weit aufgerissen hingen ihre Augen an dem Mann, der sich langsam ihrem Lager näherte.
»Jutta!«
Was war das? Ein Traum? – Nein – das war Wirklichkeit!