hat dadurch die Möglichkeit, ihr Studium zu beenden, und ich… nun ja, ich bin nicht so allein.«
»Bei uns in Santiago warst du schließlich auch nicht allein, Mutter.« Hannos Stimme klang etwas bitter.
»Ja, das ist schon richtig«, nickte Dorothee. »Aber dieses Leben hier gefällt mir besser. Hier kann ich ich selbst sein, ich nehme am echten Leben teil, ich muß mich nicht mehr verbiegen und mit Leuten, die mich herzlich wenig interessieren, belanglose Konversation machen. Ich war dieses öde Leben, dieses leere Repräsentieren so herzlich leid, Hanno. Erst hier bin ich wieder lebendig geworden. Und es ist wunderbar, noch einmal so junges Leben um mich zu haben. Komm, ich zeige dir unser Baby, die kleine Leila.«
Sie wartete Hannos Antwort nicht ab, sondern ging aus dem Raum und zur Treppe, die zum Kinderzimmer führte. Der junge Mann folgte ihr widerstrebend.
Leila schlief in ihrem Bettchen. Sie war ein reizendes Baby mit dunklen Löckchen und vom Schlaf geröteten Pausbäckchen. »Ist sie nicht süß?« fragte Dorothee strahlend.
»Ja, ja, ganz nett«, nickte Hanno unbeholfen. Für ihn sah ein Baby wie das andere aus.
»Dann komm, wir wollen sie schlafen lassen.«
Als sie wieder im Wohnzimmer waren, fragte Hanno fast widerstrebend, und es war schon mehr eine Feststellung: »Dann fühlst du dich also wirklich wohl in deinem neuen Leben?«
»Ja, mein Junge, ich fühle mich sehr wohl. Ich kann sogar sagen, daß ich richtig glücklich bin.«
»Das hatte ich nicht erwartet«, sagte Hanno ehrlich.
»Du hattest wohl damit gerechnet, eine verbitterte, enttäuschte Frau anzutreffen?
»Ja, eigentlich schon. Ich habe es jedenfalls nicht verstanden, daß du Vater und mich verlassen hast, und wir dachten, du kämest bald zurück.«
»Reumütig und zerknirscht, nicht wahr?«
»Ja, so ungefähr.«
»Gut, daß du dir jetzt ein anderes Bild machen kannst.«
»Ja, ja, stimmt schon. Und ich freue mich natürlich für dich, Mutter. Und ich sehe ja auch, wie gut dir dieses Leben zu bekommen scheint. Du bist viel jünger geworden. Aber…«
Erst jetzt schien ihm der eigentliche Grund seines Kommens wieder eingefallen zu sein. »Ich wollte doch, daß du mich nach München begleitest, Mutter. Kannst du dich bitte ein wenig beeilen? Ich möchte Yvonne nicht gern warten lassen.«
Dorothee wurde nun wieder ernst. »Du wirst wohl allein nach München fahren müssen, mein Junge. Wenn du mir deine Braut vorstellen willst – mein Haus steht euch beiden jederzeit offen. Aber daß du mich dieser jungen Frau vorstellen willst, Hanno… das ist doch wohl schlechter Geschmack, findest du nicht auch? Und daß dieser Vorschlag von der jungen Dame kam… nun ja, das ist deine Sache, Hanno. Jedenfalls mußt du allein nach München fahren.«
»Ist das dein letztes Wort, Mutter?« fragte Hanno gepreßt und angestrengt.
»Natürlich.«
»Aber es geht doch um mein Glück, Mutter. Ich habe mich so auf dich verlassen und darauf, daß du alles tun wirst, um mir zu meinem Glück zu verhelfen.«
»Natürlich will ich das tun, Hanno. Und ich werde deinem Glück selbstverständlich auch nicht im Wege stehen. Aber ob dieser Weg und so, wie du ihn eingeschlagen hast, tatsächlich zu deinem Glück führt… Das erscheint mir doch etwas zweifelhaft. Aber, wie gesagt, das ist deine Angelegenheit.«
»Und wenn ich dich wirklich noch einmal herzlich bitte, Mutter?«
»Nein, nein, keine Chance, Hanno. Wenn deine zukünftige Braut mich kennenlernen will, dann muß sie sich schon selbst herbemühen.«
»Aber das kann ich Yvonne doch unmöglich sagen.«
»Warum denn nicht? Eigentlich sollte man so etwas ja auch gar nicht erst sagen müssen. So etwas sollte man wissen und fühlen. Aber ich will jetzt nicht bewerten, Hanno. Vielleicht hast du nun das Gefühl, vergeblich zu mir gekommen zu sein. Aber ich, Hanno, ich habe mich gefreut. Ich habe mich sehr gefreut, dich zu sehen. Und natürlich wünsche ich dir Glück. Auch wenn ich deinem Wunsch nicht nachkommen kann.«
Der Abschied von Mutter und Sohn fiel dann recht kühl aus. Hanno ließ sich seine Enttäuschung deutlich anmerken. Aber vielleicht war da auch schon ein ganz kleines Schuldbewußtsein. Vielleicht war ihm doch klar geworden, daß seine Mutter im Grunde ja recht hatte. Auch wenn er das noch nicht wahrhaben wollte. Denn damit würde ein Schatten auf das strahlende Bild seiner Braut fallen. Und einen solchen Schatten wollte Hanno Werth auf keinen Fall zulassen.
Auch Dorothee blieb mit zwiespältigen Gefühlen zurück, als ihr Sohn gegangen war. So glücklich sie in ihrem neuen Leben auch war – Hanno und ihr Heim in Südamerika waren ja auch noch ein Teil ihres Lebens, von dem sie sich noch nicht ganz gelöst hatte. Das spürte sie jetzt zu ihrer eigenen Überraschung.
*
Yvonne de Veron war nicht im Hotel, als Hanno zurückkam. Dann hat sie wenigstens nicht warten müssen, dachte Hanno erleichtert. Das wäre ihm unangenehm gewesen. War es doch schon unangenehm genug, daß er ohne seine Mutter kam.
Flüchtig kam ihm der Gedanke, wie wichtig es für ihn war, alles zu Yvonnes Zufriedenheit zu regeln. Und da tauchte auch im Hinterkopf die Frage auf, ob das eigentlich gut und richtig sei. Aber solche lästigen Gedanken verdrängte er dann sofort wieder. Ihnen wollte er erst gar keinen Raum geben. Und sich schon gar nicht fragen müssen, ob etwa das Gespräch mit seiner Mutter dazu einen Anstoß gegeben hatte.
Nein, nicht einmal den Anflug eines solchen Gedankens erlaubte Hanno Werth sich.
Und er erlaubte sich auch nicht, ungeduldig zu werden, als er dann noch ziemlich lange auf Yvonnes Erscheinen warten mußte. Eine Nachricht hatte sie ihm nicht hinterlassen. Und wenn er jetzt zusammen mit seiner Mutter warten müßte…
Aber nein, für Hanno gab es am Verhalten von Yvonne de Veron nichts zu tadeln.
Und als sie dann endlich kam, war ohnehin alles vergessen.
Yvonne de Veron war tatsächlich eine atemberaubend schöne Frau. Sie erinnerte etwas an die junge Liz Taylor mit den klassisch edlen Gesichtszügen, den großen, strahlendblauen Augen und der üppigen dunklen Lockenpracht. Sie war schlank und grazil und wirkte eigentlich zerbrechlich und schutzbedürftig, aber das war wirklich nur ein erster äußerer Eindruck. Yvonne de Veron war voller Energie und Tatkraft, und sie besaß einen eisernen Willen. Was allerdings auch mit außerordentlicher Tüchtigkeit gepaart war.
Yvonne hielt es nicht für nötig, ihr Spätkommen zu entschuldigen. In ihrer gewohnt energischen Art riß sie die Tür zum elegant eingerichteten Salon auf, der zu der Hotelsuite gehörte, welche sie beide gemeinsam bewohnten. Sie warf ihre Handtasche auf das hübsche Empire-Sofa, fuhr sich mit beiden Händen durch die Lockenpracht und schüttelte diese wie eine Löwin. »Ich war beim Friseur. Guter Mann, kann ich dir sagen. Ich überlege, ob ich ihm nicht zu einer internationalen Karriere verhelfen soll. Eigens für deine Mutter habe ich ihn aufgesucht. Wo ist sie überhaupt, deine Mutter? Du wolltest sie doch herholen.«
Hanno war herangetreten und gab seiner Braut einen vorsichtigen Kuß auf die Wange. Er mußte ja auf das perfekte Make-up achten. »Tut mir leid, Liebling. Mutter konnte nicht mitkommen. Sie bedauert das außerordentlich, aber…«
»Sie ist nicht mitgekommen?« Yvonne trat einen Schritt zurück. Sie war sichtlich ungehalten. »Das ist ärgerlich. Sehr ärgerlich. Du weißt, wie schwierig es war, die Zeit für diesen Besuch einzuplanen.«
»Mutter meinte, ob wir nicht vielleicht zu ihr kommen könnten.« Hannos Stimme klang ganz vorsichtig, doch Yvonne lachte nur kurz auf. »Du machst wohl einen Scherz, Amigo? Einen Besuch auf dem Land kann ich mir ja nun wirklich nicht leisten. Diese vergeudete Zeit hier ist ärgerlich genug. Hast du deiner Mutter denn nichts von meinen internationalen Verpflichtungen gesagt? Morgen muß ich in Mailand sein. Nur deinetwegen habe ich mich auf diesen Abstecher nach München eingelassen.