Gast zur nächsten Tür, die sie ganz vorsichtig öffnete. Sie nahm den Mann bei der Hand und zog ihn in ein kleines, reizend eingerichtetes Kinderzimmer. In einem rosa Himmelbettchen schlief ein kleines dunkelhaariges Mädchen.
»Das ist Rosita«, sagte Eva leise. »Sie ist zwei Jahre und sechs Monate alt und unsere Tochter.«
Alexander fuhr herum, er wollte etwas sagen, doch Eva machte »Psst« und legte den Zeigefinger auf ihre Lippen. »Wir wollen sie nicht aufwecken«, sagte sie leise. »Komm, wir reden drüben im Wohnzimmer.«
Wortlos folgte ihr der Mann, blieb dann aber in der Mitte des Wohnzimmers stehen und sagte deutlich reserviert: »Ich gehe davon aus, daß es die Wahrheit ist, womit du mich hier völlig unvorbereitet überrascht hast. Warum habe ich von dieser Vaterschaft nicht schon viel früher erfahren, und warum bin ich heute hier?«
»Verzeih mir, Alexander«, sagte die junge Frau bittend. »Ich weiß, daß ich dir viel zumute. Ich will dir alles erklären und alle deine Fragen beantworten. Komm, setzen wir uns. Reden wir in Ruhe miteinander, während Blanka, meine alte Kinderfrau, uns in der Küche eine kleine Mahlzeit zubereitet. Und bitte, schau nicht so böse.«
»Ich weiß nicht, ob ich böse bin«, sagte Alexander, während er sich in dem angebotenen hellen Rattansessel niederließ. »Zunächst aber bin ich natürlich völlig überrumpelt. Und dann, ja… dann bin ich natürlich auch verärgert. Du hättest mir deine Schwangerschaft nicht verheimlichen dürfen. Denn selbstverständlich hätte ich mich dazu bekannt und dir beigestanden. Warum hast du mir dieses Kind verheimlicht, Eva? Warum hast du dir nicht helfen lassen? Und vor allem… warum hast du es mir verwehrt, mich über das unverhoffte Glück einer Vaterschaft freuen zu können?«
»Weil ich mir nicht so ganz sicher war, ob du dich wirklich freuen würdest, Alexander«, antwortete Eva leise und goß aus einer schönen Karaffe Cognac in zwei bauchige Gläser, die sie aus einem Glasschrank genommen und auf den Tisch gestellt hatte. »Nein, da konnte ich mir wohl nicht so sicher sein. Vor allem aber«, fuhr sie rasch fort, als Alexander Werth etwas sagen wollte, »vor allem wollte ich dieses Kind für mich haben. Für mich ganz allein, verstehst du? Ich habe die Schwangerschaft nämlich als großes Glück empfunden, und dieses Glück wollte ich mit niemandem teilen, auch nicht mit dir.«
»Das ist aber sehr egoistisch gedacht.«
»Ja, ich weiß. Aber so habe ich nun einmal empfunden, und ich habe meine Entscheidung nie bereut. Zu keiner Stunde. Ich habe mein Muttersein so total ausgekostet und tue es noch, als sei jeder Tag ein kostbares Geschenk.«
»Das freut mich für dich, Eva. So bist du jedenfalls nicht unglücklich geworden meinetwegen. Aber wie ist dann jetzt dein Sinneswandel zu erklären? Wieso sollte ich heute unbedingt kommen, wieso erfahre ich heute, daß ich Vater einer Tochter bin?«
Eva hatte sich in den anderen Sessel gesetzt und ließ nun den Cognac in ihrem Glas kreisen. »Weil ich dich jetzt doch brauche, Alexander«, sagte sie leise. »Ich brauche deine Hilfe. Ich weiß, ich mute dir da einiges zu, zumal ich dich vorher von allem ausgeschlossen habe, aber nach reiflicher Überlegung habe ich mich zu diesem Schritt entschlossen. Es ist nämlich so«, fuhr sie fort, nachdem der Mann keine Anstalten machte, etwas zu sagen, »es ist so, daß ich heiraten will. Ja, Alexander, ich habe jetzt meine ganz große Liebe gefunden und bin unendlich glücklich. Du mußt das verstehen. Auch das, was zwischen uns einmal war, war wohl Liebe, aber das jetzt ist doch etwas ganz anderes.«
»Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen, Eva«, sagte Alexander Werth lächelnd.
»Nein, das will ich auch nicht. Ich will es nur erklären. Und du kennst den Mann auch, den ich heiraten will. Es ist Hernando Cardoso.«
»Der bekannte Politiker?« fragte Alexander verdutzt.
»Ja«, strahlte Eva. »Genau der. Wir haben uns bei Freunden kennengelernt und wußten sofort, daß wir füreinander bestimmt sind. Im nächsten Monat wollen wir heiraten.«
»Da kann ich dir nur von ganzem Herzen Glück wünschen, Eva.«
»Danke, Alexander, ich bin wirklich sehr glücklich. Nur ein einziges Problem habe ich.«
»Rosita?«
Die junge Frau nickte. »Hernando weiß noch nichts von ihr. Versteh mich nicht falsch, Alexander, an unserer Beziehung würde das nichts ändern, da bin ich mir völlig sicher. Aber ich habe einfach den richtigen Zeitpunkt verpaßt, mit Hernando darüber zu reden. Und jetzt erscheint es mir immer schwieriger. So bin ich zu dem Entschluß gekommen, es erst nach der Hochzeit zu tun. Irgendwann, wenn ich den Zeitpunkt für richtig erachte.«
»Hältst du das für einen guten Entschluß, Eva?« fragte Alexander Werth skeptisch.
»Ob er richtig ist, weiß ich nicht, aber ich halte ihn für richtig. Vielleicht ist es auch ganz einfach so, daß ich Rosita mit niemandem teilen will. Ich wollte sie nicht mit dir teilen, und jetzt auch nicht mit dem Mann, den ich heiraten will. Noch nicht. Also, ich halte den Entschluß für richtig, habe aber einsehen müssen, daß ich ihn allein doch nicht durchführen kann. Und darum bitte ich dich um Hilfe, Alexander.«
»Wie soll diese Hilfe aussehen?«
»Ich möchte dich bitten, daß du dich in der nächsten Zeit etwas um Rosita kümmerst. Blanka, meine Kinderfrau, ist bei ihr und wird auch bei ihr bleiben. Sie können hier in dieser Wohnung leben wie bisher, auch wenn ich nicht mehr hier wohnen werde. Hernando war niemals in dieser Wohnung, er hält sehr auf gute Sitten. Selbstverständlich will ich mein Kind nicht verstecken. Nach der Hochzeitsreise werde ich wieder für Rosita da sein, und ich nehme an, daß bis dahin auch mit meinem Mann alles geregelt sein wird, aber inzwischen, Alexander, bitte ich dich, dich etwas um Rosita und Blanka zu kümmern. Blanka ist eine treue Seele, und ich weiß das Kind bei ihr in den besten Händen, aber dem Alltagsleben gegenüber ist sie leider doch ein wenig unbeholfen. Sie braucht Anweisungen, weißt du, jemanden, der nach dem Rechten sieht. Und da ist mir außer dir wirklich niemand eingefallen, Alexander. Sei mir nicht böse.«
»Ich bin dir natürlich nicht böse, Eva. Immerhin bin ich ja der Vater und sollte als solcher auch Pflichten haben und übernehmen. Wenn du mich schon bisher davon ausgeschlossen hast. Du kannst dich also ganz auf mich verlassen. Brauchst du eigentlich finanzielle Hilfe?«
Die junge Frau schien etwas verlegen. »Bisher hatte ich da keine Probleme. Ich habe immer gut verdient und es war alles in Ordnung. Ob das aber ohne Wissen meines Mannes so weitergehen kann, kann ich jetzt noch nicht übersehen. Und ich weiß ja auch nicht…«
»Darüber mach dir nun wirklich keine Sorgen, Eva. Die Wohnung hier samt Kinderfrau übernehme ich ab sofort, und auch für alle Kosten komme ich auf, das ist doch selbstverständlich. Ich bin ja richtig froh, daß ich endlich etwas tun kann für dich und meine… meine Tochter.« Er verzog in Selbstironie ein wenig das Gesicht. »Kommt mir noch etwas schwer über die Lippen, dieses Wort, aber ich werde mich schnell daran gewöhnen. Und vor allem werde ich mich gern daran gewöhnen. Ja, Eva, ich fühle mich richtig beschenkt. Und dafür danke ich dir von Herzen.«
*
Es war Sonntagabend, die Kinder schliefen, und Dorothee und Gudrun hatten es sich in ihrem Wohnzimmer gemütlich gemacht. Sie sahen sich gemeinsam im Fernsehen einen Film an, und während der Werbepause blätterte Dorothee in einer Illustrierten, die Gudrun mitgebracht hatte.
Plötzlich hielt sie inne, schlug ein Blatt zurück, betrachtete ein Foto genauer, das während des Durchblätterns ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. »Das ist doch…«, sagte sie betroffen, »ja, tatsächlich, ich habe mich nicht geirrt. Das ist Eva! Eva Martinez.«
Halblaut las sie dann die Bildunterschrift: »Hernando Cardoso, der über die Grenzen seines Landes hinaus bekannte chilenische Politiker, ist tödlich verunglückt. Er befand sich zusammen mit seiner jungen Frau Eva an Bord einer Privatmaschine, die aus bisher noch unbekannter Ursache abstürzte. Es gab keine Überlebenden. Hernando Cardoso und seine Frau befanden sich auf der Hochzeitsreise.«
Dorothee ließ die Illustrierte sinken. »Ich kenne diese junge Frau«, sagte sie erschüttert zu Gudrun, die