Augenblick.
»Hier, zähl du das Geld«, sagte er, die anstrengende Arbeit aufgebend, und reichte es ihr. »Wie viel kriegst du heraus?«
»Neunzehn Dollar und fünfunddreißig Cent.«
»Das stimmt – soviel kriegt der Besiegte – zwanzig Dollar. Ich trank ein paar Glas und traktierte auch die anderen, und dann die Straßenbahn. Hätte ich gewonnen, so würde ich hundert gekriegt haben. Dafür hatte ich gekämpft. Dann wären wir jetzt aus dem Dreck heraus – vorläufig jedenfalls. Aber nimm das Geld und behalte es. Es ist doch jedenfalls besser als gar nichts.«
Als er ins Bett kam, konnte er nicht schlafen, so schmerzten ihm alle Glieder, und Stunde auf Stunde war sie um ihn bemüht, legte ihm frische warme Umschläge auf die geschwollenen Stellen und verschaffte ihm Linderung, indem sie die Risse so behutsam wie möglich mit Coldcream einrieb. Und unterdessen schwatzte er, hin und wieder von einem klagenden Stöhnen unterbrochen, und durchlebte wieder den ganzen Kampf, klagte über das Geld, das ihm entgangen war, und grollte über die Kränkung, die sein Stolz erlitten hatte. Denn schlimmer als alles, was er körperlich litt, war die Kränkung, die seinem Stolz zugefügt war.
Schließlich, als der Tag anbrach, schlief Billy ein. Er stöhnte und jammerte, sein Gesicht war von Schmerz verzerrt, und er warf sich hin und her in seinen vergeblichen Versuchen, Ruhe und Linderung zu finden.
Also das ist Boxen, dachte Saxon. Es war viel schlimmer, als sie es sich gedacht hatte. Sie hatte nicht geahnt, dass man mit Boxhandschuhen solchen Schaden anrichten konnte. Er durfte nie wieder boxen. Dann lieber Radau auf der Straße. Sie dachte darüber nach, wie viel von seiner Seide wohl verloren gegangen sein mochte, als er etwas murmelte und die Augen aufschlug.
»Was ist?« fragte sie, aber im selben Augenblick erkannte sie, dass seine Augen nichts sahen, und dass er im Fieber sprach.
»Saxon! – Saxon!« rief er.
»Ja, Billy. Was ist?«
Er tastete mit der Hand dorthin, wo er sie unter normalen Verhältnissen gefunden hätte.
Dann rief er sie wieder, und sie rief ihm ins Ohr, dass sie bei ihm wäre. Er seufzte erleichtert und murmelte mit gebrochener Stimme:
»Ich musste es tun – wir brauchten das Geld.«
Er schloss die Augen und schlief jetzt ruhiger, wenn er auch immer noch im Schlafe murmelte. Sie hatte von Gehirnerschütterungen gehört und war sehr ängstlich. Da fiel ihr ein, dass er ihr erzählt hatte, Billy Murphy hätte ihm Eis auf den Nacken gelegt.
Sie warf einen Schal über und lief in die Wirtschaft an der Ecke. Der Kellner hatte gerade aufgemacht und fegte aus. Er gab ihr soviel Eis, wie sie tragen konnte, und zerhieb es ihr in kleine Stücke. Als sie zurückkam, legte sie Billy das Eis in den Nacken und ein warmes Plätteisen unter die Füße und rieb ihm das Gesicht mit Coldcream, die sie auf Eis gelegt hatte, um sie abzukühlen.
Er schlief bei heruntergelassenen Gardinen bis spät am Nachmittag, dann aber wollte er zu Saxons großer Sorge aufstehen.
»Ich muss mich zeigen«, erklärte er. »Ich will nicht, dass sie mich auslachen.«
Sie half ihm beim Anziehen, was ihm furchtbare Qualen verursachte, und in furchtbaren Qualen verließ er sein Heim, damit die Männer, die seine Welt ausmachten, mit eigenen Augen sehen konnten, dass die Prügel, die er gekriegt hatte, ihn nicht ans Bett zu fesseln vermochten.
Es war ein anderer Stolz als der eines Weibes, und Saxon musste darüber nachdenken, ob er deshalb weniger bewundernswert war.
*
In den folgenden Tagen gingen die Schwellungen an Billys Körper mit erstaunlicher Schnelligkeit zurück. Dass die Risse so schnell heilten, bewies, wie gesund sein Blut war. Das einzige, was noch blieb, waren die »blauen Augen«, die doppelt auffielen in einem so hellen Gesicht wie dem seinen. Es dauerte vierzehn Tage, bis die Umgebung seiner Augen ihre normale Farbe wieder annahm, und in diesen vierzehn Tagen traten verschiedene bedeutungsvolle Begebenheiten ein.
Otto Frank wurde in größter Eile verhört, und, nachdem er von einer, hauptsächlich aus Geschäftsleuten und Angestellten bestehenden Jury für schuldig erklärt worden war, zum Tode verurteilt und nach San Quentin geschafft, wo die Hinrichtung erfolgte.
Der Prozess gegen Chester Johnson und die vierzehn anderen hatte längere Zeit gedauert, war aber auch vor Ablauf der vierzehn Tage beendet. Chester Johnson wurde zum Tode verurteilt, zwei erhielten lebenslängliches Zuchthaus, drei je zwanzig Jahre. Nur zwei wurden freigesprochen, die anderen sieben erhielten je zwei bis sieben Jahre.
Diese Entscheidung versenkte Saxon in tiefe Melancholie. Billy ging es auch nahe, aber sein Kampfeifer war nicht unterdrückt.
»In einer Schlacht sterben immer welche«, sagte er. »Darauf muss man gefasst sein. Aber die Art, wie sie abgeurteilt werden, kann ich nicht in den Kopf kriegen. Sie waren doch alle verantwortlich für die Mordtaten, die schuldig Erklärten genau wie die anderen. Oder es war keiner verantwortlich. Waren sie es aber alle, so hätten sie doch alle verurteilt werden müssen. Sie mussten alle gehängt werden wie Chester Johnson, oder es durfte keiner gehängt werden.«
»Ich habe so oft mit Chester Johnson getanzt«, sagte Saxon. »Und ich habe seine Frau, Kittie Brady, vor vielen, vielen Jahren gekannt. Sie saß neben mir in der Kartonagenfabrik. Sie erwartet auch ein Kind. Sie war sehr hübsch und hatte immer eine ganze Schar junger Burschen hinter sich her.«
Die Wirkung, die die harten Urteile auf die Gewerkschaftler ausübten, war sehr ungünstig. Statt ihren Mut zu knicken, machten sie sie nur noch erbitterter. Billys Reue über den Boxkampf und alles Gute und Liebe, das in den Tagen, als Saxon ihn pflegte, bei ihm zum Vorschein gekommen war, war jetzt wie ausgetauscht. Zu Hause brütete er über seinen finsteren Gedanken, und wenn er sprach, tat er es im selben Geist, wie Bert in den letzten Tagen gesprochen hatte, ehe er, der brave Mohikaner, starb. Er war auch länger fort und trank jetzt wieder anhaltend.
Saxon wollte schon alle Hoffnung aufgeben. Sie war schon fast auf die unvermeidliche Tragödie vorbereitet, die ihre krankhaft gereizte Fantasie ihr unter tausend Formen vorgaukelte. Meistens stellte sie sich vor, dass man ihr Billy auf einer Bahre heimbrachte, oder sie wurde ans Telefon beim Krämer an der Ecke gerufen und hörte eine fremde Stimme, die ihr kurz mitteilte, dass ihr Mann ins Hospital oder ins Leichenschauhaus gebracht wäre. Und als die mystischen Vergiftungen von Pferden vorkamen und einem der großen Fuhrleute sein Haus von Dynamit halb zerstört wurde, sah sie