Джек Лондон

Gesammelte Werke


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an­de­re Fa­mi­li­en­streit, nicht wahr?« sag­te Sa­xon mit ru­hi­gem Lä­cheln.

      Sa­rah wur­de so wü­tend, dass sie im ers­ten Au­gen­blick kein Wort her­vor­brin­gen konn­te.

      »Und das will ich dir nur sa­gen«, fuhr Sa­xon fort. »Eine Frau muss stolz sein, wenn Män­ner sich um sie schla­gen. Und ich bin stolz dar­auf, hörst du? Ich bin stolz dar­auf, das kannst du gern all dei­nen Nach­barn, al­len Men­schen er­zäh­len. Ich bin kei­ne Kuh, Män­ner lie­ben mich, Män­ner schla­gen sich mei­net­we­gen, Män­ner ge­hen mei­net­we­gen ins Ge­fäng­nis. Und jetzt kannst du ge­hen, Sa­rah, und zwar so­fort, und den Leu­ten er­zäh­len, was du zwi­schen den Zei­len ge­le­sen hast. Er­zähl ih­nen, dass Bil­ly ein Zucht­haus­kan­di­dat ist, und dass ich eine schlech­te Frau bin, hin­ter der alle Män­ner her sind. Ruf es von den Dä­chern her­un­ter, und möch­test du Freu­de dar­an ha­ben. Und nun geh, und set­ze nie wie­der dei­nen Fuß in mein Haus. Du bist eine zu acht­ba­re Frau, um hier­her­zu­kom­men. Dein gu­ter Ruf könn­te dar­un­ter lei­den. Und denk an dei­ne Kin­der. Aber jetzt geh! Geh!«

      Erst als die ver­blüff­te und ent­setz­te Sa­rah zur Tür hin­aus war, warf Sa­xon sich hef­tig wei­nend aufs Bett. Sie hat­te sich bis­her nur über Bil­lys Bru­ta­li­tät und Un­ge­rech­tig­keit ge­schämt. Jetzt aber wuss­te sie, wie an­de­re die Sa­che an­sa­hen. Das war Sa­xon bis­her nicht ein­ge­fal­len. Sie war über­zeugt, dass es auch Bil­ly nicht ein­ge­fal­len war. Sie kann­te sei­ne Hal­tung von An­fang an. Er war im­mer da­ge­gen ge­we­sen, einen Zim­mer­herrn zu neh­men, weil er zu stolz war, sei­ne Frau ar­bei­ten zu las­sen. Nur die har­te Not hat­te ihm sei­ne Ein­wil­li­gung ab­ge­zwun­gen. Und jetzt, da sie zu­rück­sah, dach­te sie dar­an, wie sie ihm die­se Ein­wil­li­gung fast mit List ab­ge­run­gen hat­te.

      Aber al­les das konn­te die An­schau­ung der Nach­barn und al­ler, die sie ge­kannt hat­ten, nicht än­dern. Und das war auch Bil­lys Schuld. Das war furcht­ba­rer als al­les, was er sonst ge­tan. Sie konn­te nie wie­der ei­nem Men­schen ins Auge se­hen. Mag­gie Do­na­hue und Frau Ol­sen wa­ren bei­de sehr freund­lich ge­we­sen, aber was moch­ten sie wohl ge­dacht ha­ben, als sie mit ihr spra­chen? Und was moch­ten sie wohl mit­ein­an­der ge­spro­chen ha­ben? Ja, was sag­ten die Leu­te über­haupt – an Gar­ten­pfor­ten und auf Hin­ter­trep­pen? Und die Män­ner an Stra­ßen­e­cken und in Wirt­schaf­ten?

      Als sie spä­ter vom Wei­nen völ­lig er­schöpft war und kei­ne Trä­nen mehr hat­te, wur­de sie un­per­sön­li­cher und dach­te an das Un­glück, das so vie­le Frau­en seit Aus­bruch des Streiks be­trof­fen hat­te – Otto Franks Frau, Hen­der­sons Wit­we, die hüb­sche Kit­tie Bra­dy, all die Frau­en an­de­rer Män­ner, die jetzt in ih­rer Ge­fäng­nis­klei­dung in San Quen­tin wa­ren. Ihre Welt woll­te zu­sam­men­stür­zen. Nie­mand ging frei aus. Aber ihre Schan­de war grö­ßer als die al­ler an­de­ren. Sie klam­mer­te sich ver­zwei­felt an die Ein­bil­dung, dass sie schlie­fe, dass al­les ein bö­ser Traum sei, dass der We­cker im nächs­ten Au­gen­blick läu­ten, und dass sie auf­ste­hen wür­de, um Bil­lys Früh­stück zu be­rei­ten. Sie stand an die­sem Tage gar nicht auf. Sie schlief auch nicht. Ihre Ge­dan­ken ar­bei­te­ten un­auf­hör­lich mit ra­sen­der Schnel­lig­keit, ver­weil­ten zu­erst aus­führ­lich, an­hal­tend bei dem Un­glück, das sie be­trof­fen hat­te, um dann den fan­tas­ti­schen Verzwei­gun­gen des­sen, was sie für ihre Schan­de an­sah, zu fol­gen und end­lich zu den Ta­gen der Kind­heit zu­rück­zu­keh­ren. In Ge­dan­ken ver­rich­te­te sie in all den Be­ru­fen, die sie je ge­habt hat­te, die un­zäh­li­gen me­cha­ni­schen Be­we­gun­gen, die für jede ein­zel­ne Ar­beit ei­gen­tüm­lich wa­ren – das For­men und Zu­sam­menkle­ben der Schach­teln in der Kar­to­na­gen­fa­brik, die We­b­ar­beit in der Ju­te­fa­brik, das Plät­ten in der Plät­te­rei, die Be­hand­lung von Obst in der Kon­ser­ven­fa­brik. In Ge­dan­ken er­leb­te sie wie­der alle die Bäl­le und Wald­aus­flü­ge, an de­nen sie je teil­ge­nom­men hat­te; sie durch­leb­te ihre Schul­ta­ge und er­in­ner­te sich je­des ih­rer Klas­sen­ka­me­ra­den, wie sie aus­sa­hen, wie sie hie­ßen und wo sie sa­ßen; er­litt die grau­en, trü­ben Jah­re im Kin­der­heim, zog jede Erin­ne­rung, jede Ge­schich­te von der Mut­ter her­vor und durch­leb­te wie­der ihre Ehe mit Bil­ly. Aber im­mer wie­der – und das war das Quä­len­de – wur­den ihre Ge­dan­ken, wenn sie noch so weit flo­gen, zu­rück­ge­führt zu der Pein des Au­gen­blicks, zu dem bren­nen­den Ge­fühl in der Keh­le, zu dem dump­fen Schmerz in der Brust und dem na­gend-lee­ren Ge­fühl, dass al­les vor­bei war.

      *

      Die gan­ze Nacht lag Sa­xon schlaf­los da, ohne sich zu ent­klei­den, und als sie mor­gens auf­stand, wusch sie sich das Ge­sicht und mach­te sich das Haar. Ihr war selt­sam zu­mu­te, sie war wie be­täubt und hat­te ein Ge­fühl, als sei ihr Kopf von ei­nem schwe­ren ei­ser­nen Reif zu­sam­men­ge­presst. Das war der An­fang ei­ner Krank­heit, die sie nicht bei Na­men nen­nen konn­te. Sie wuss­te nur, dass ihr selt­sam zu­mu­te war. Es war kein Fie­ber. Es war kei­ne Er­käl­tung. Kör­per­lich fehl­te ihr nichts, und als sie ein we­nig nach­ge­dacht hat­te, kam sie zu dem Er­geb­nis, dass es nur die Ner­ven wa­ren – die Ner­ven, die nach ih­rer Vor­stel­lung und der ih­rer Klas­se kei­ne Ver­bin­dung mit phy­si­schem Un­wohl­sein hat­ten.

      Sie hat­te das merk­wür­di­ge Ge­fühl, dass sie sich selbst fremd ge­wor­den war, und dass die Welt, in der sie sich be­weg­te, eine wie in einen Ne­bel­schlei­er ein­gehüll­te un­kla­re Welt war, die kei­ne schar­fen Kon­tu­ren hat­te, und de­ren sons­ti­ge Klar­heit ver­schwun­den war. Ihr Ge­dächt­nis wies große Lücken auf, und sie er­tapp­te sich im­mer wie­der da­bei, wie sie Din­ge tat, die sie gar nicht hat­te tun wol­len. So kam sie zu ih­rem großen Er­stau­nen plötz­lich zur Be­sin­nung, als sie auf dem Hin­ter­hof stand und die Wä­sche der Wo­che zum Trock­nen auf­häng­te. Sie er­in­ner­te sich nicht, die Ar­beit ge­tan zu ha­ben, und doch war es ge­nau das, was sie tun soll­te. Sie hat­te La­ken, Kis­sen­be­zü­ge und Tischwä­sche ge­kocht; Bil­lys Woll­wä­sche war in war­mem Was­ser ge­wa­schen, mit selbst­ver­fer­tig­ter Sei­fe, de­ren Re­zept Mer­ce­des ihr ge­ge­ben hat­te. Bei nä­he­rem Nach­se­hen ent­deck­te sie, dass sie ein Ko­te­let­te zum Früh­stück ge­ges­sen hat­te. Das hieß, dass sie beim Schläch­ter ge­we­sen war, und doch er­in­ner­te sie sich des­sen nicht. Neu­gie­rig ging sie ins Schlaf­zim­mer. Das Bett war ge­macht und al­les in Ord­nung. In der Däm­me­rung kam sie zu sich. Sie saß im Vor­der­zim­mer am Fens­ter und wein­te vor über­strö­men­der Freu­de. An­fangs wuss­te sie nicht, wes­halb sie sich so freu­te, dann aber tauch­te plötz­lich das Be­wusst­sein in ih­rem Kop­fe auf, dass es da­her kam, weil sie ihr Kind­chen ver­lo­ren hat­te. »Es ist ein Se­gen, ein Se­gen!« sang sie laut und rang die Hän­de, aber aus Freu­de – sie wuss­te, dass sie ihre Hän­de aus Freu­de rang.

      Die Tage ka­men und gin­gen. Sie hat­te nur einen va­gen Be­griff von der Zeit. Zu­wei­len kam es ihr vor, als sei­en Jahr­hun­der­te ver­gan­gen, seit Bil­ly ins Ge­fäng­nis ge­kom­men war. Dann wie­der war es, als sei al­les am Abend zu­vor ge­sche­hen. Im­mer wie­der aber tauch­ten die bei­den Ge­dan­ken auf: sie durf­te Bil­ly nicht im Ge­fäng­nis be­su­chen, und es war ein Se­gen, dass sie ihr Kind ver­lo­ren hat­te.

      Ein­mal kam Bud Stro­ters, um nach ihr zu se­hen. Er saß im Vor­der­zim­mer und sprach mit ihr, und es be­schäf­tig­te sie sehr, als sie sah, dass sei­ne Ho­sen un­ten aus­ge­franst wa­ren. Wie­der ei­nes Ta­ges kam der Ge­schäfts­füh­rer der Ge­werk­schaft. Sie sag­te ihm, wie sie Bud Stro­ters