Джек Лондон

Gesammelte Werke


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den Kopf.

      »Wenn – wenn Sie mir nur er­klä­ren wol­len, wo ich die Stra­ßen­bahn nach der Ach­ten Stra­ße fin­de. Ich kom­me nicht oft in die­se Ge­gend.«

      Er sag­te ihr, wo die Stra­ßen­bahn war, und wo sie um­zu­stei­gen hat­te, und sie war er­staunt, wie weit sie ge­gan­gen war.

      »Dan­ke«, sag­te sie. »Auf Wie­der­se­hen!«

      »Und Sie sind ganz si­cher, dass ich nichts für Sie tun kann?«

      »Ganz si­cher.«

      »Nun ja, auf Wie­der­se­hen denn!« Er lä­chel­te gut­mü­tig. »Und sa­gen Sie Ihrem Mann, er soll se­hen, dass er in Form bleibt. Er wird sei­ne Kräf­te brau­chen, wenn wir bei­de auf­ein­an­der los­ge­hen.«

      »Aber Sie dür­fen nicht mit ihm kämp­fen«, warn­te sie ihn. »Sie dür­fen es nicht tun. Sie ha­ben nicht die ge­rings­te Chan­ce.«

      »So hab’ ich es gern«, sag­te er be­wun­dernd. »So müs­sen Frau­en an ihre Män­ner glau­ben! Eine ge­wöhn­li­che Frau wür­de fürch­ten, dass ihr Mann Prü­gel be­käme –«

      »Ja, ich fürch­te mich nicht – sei­net­we­gen. Nur Ihret­we­gen. Er ist ein glän­zen­der Bo­xer. Sie hät­ten nicht die ge­rings­te Chan­ce – es wäre wie – wie –«

      »Wie wenn man ei­nem Säug­ling den Schnul­ler stäh­le?« be­en­de­te Blan­chard den Satz für sie.

      »Ja«, nick­te sie. »Genau so wür­de er sa­gen. Und des­halb sage ich, neh­men Sie sich in acht. Aber jetzt muss ich ge­hen. Auf Wie­der­se­hen, und noch­mals vie­len Dank.«

      Sie ging den Bür­ger­steig ent­lang, wäh­rend sein freund­li­ches »Auf Wie­der­se­hen« ihr noch in den Ohren klang. Er war gut – das ge­stand sie sich ganz ehr­lich – und doch war er ei­ner der klu­gen Leu­te, ei­ner der Gro­ßen, die nach Bil­lys Mei­nung ver­ant­wort­lich wa­ren für all das Böse, das den Ar­bei­tern wi­der­fuhr, für die Lei­den der Frau­en und die Stra­fen, die die Män­ner er­tru­gen, die in ih­rer ge­streif­ten Ge­fäng­nis­tracht in San Quen­tin her­um­gin­gen oder in der To­des­zel­le dar­auf war­te­ten, das Scha­fott zu be­stei­gen. Und doch war er freund­lich, lie­bens­wür­dig, rein und gut. Sie konn­te ihm den Cha­rak­ter vom Ge­sicht ab­le­sen. Wie aber konn­te das sein, wenn er für das vie­le Böse ver­ant­wort­lich war? Sie schüt­tel­te müde den Kopf. Es gab kei­ne Er­klä­rung, nichts, das ihr zum Ver­ständ­nis ei­ner Welt ver­hel­fen konn­te, die klei­ne Kin­der ver­nich­te­te und Frau­en­brüs­te miss­han­del­te.

      Es er­staun­te sie nicht, dass sie sich zwi­schen all die­se fei­nen Häu­ser ver­irrt hat­te, das ent­sprach gut all den an­de­ren selt­sa­men Din­gen, die sie tat. Sie tat so vie­les, ohne es zu wis­sen. Aber sie muss­te vor­sich­tig sein. Es war bes­ser, bei den Sümp­fen und dem Rock Wall zu blei­ben.

      Na­ment­lich den Rock Wall lieb­te sie. Hier drau­ßen war es frei, weit und groß, und das ver­such­te sie in­stink­tiv ein­zuat­men, in­dem sie die Arme aus­brei­te­te, um es zu um­fas­sen und zu ei­nem Teil ih­rer selbst zu ma­chen. Es war eine na­tür­li­che­re Welt, eine ver­nünf­ti­ge­re Welt. Sie ver­stand sie – ver­stand die grü­nen Krab­ben mit den ver­bli­che­nen Klau­en, die we­geil­ten, wenn man sich nä­her­te, und die sie bei Ebbe auf Fels­stücken mit grü­nen See­gras­wei­den se­hen konn­te. Wenn auch der große Deich si­cher von Men­schen­hän­den ver­fer­tigt war, so schi­en doch nichts Künst­li­ches dar­an zu sein. Es gab kei­ne Men­schen hier, kein Ge­setz, kei­nen Kampf zwi­schen Men­schen. Das Meer stieg und sank, je nach­dem Flut oder Ebbe war. Die Son­ne ging auf und un­ter; re­gel­mä­ßig je­den Nach­mit­tag kam der star­ke West­wind durch das Gol­de­ne Tor her­ein­ge­tanzt, ver­dun­kel­te das Was­ser, setz­te Schaum­wip­fel auf die win­zi­gen Wel­len und ließ die Se­gel­boo­te über das Was­ser flie­gen. Al­les war frei. Hier lag Brenn­holz, das man nur auf­zu­le­sen brauch­te. Klei­ne Kna­ben fisch­ten mit Ru­ten von den Fel­sen aus, denn nie­mand ver­jag­te sie, und sie fin­gen Fi­sche, wie Bil­ly als Kna­be Fi­sche ge­fan­gen hat­te.

      Und hier war Nah­rung, Nah­rung, die je­der neh­men konn­te. Sie sah die klei­nen Kna­ben ei­nes Ta­ges bei Ebbe Mu­scheln auf den Fel­sen sam­meln und sie an der Glut ei­nes Feu­ers bra­ten, das sie auf dem Deich an­zün­de­ten. Sie schmeck­ten glän­zend. Sa­xon lern­te, die klei­nen Aus­tern von den Fels­blö­cken bre­chen, und ein­mal fand sie ein klei­nes Bün­del frisch­ge­fan­ge­ner Fi­sche, das ein Kna­be ver­ges­sen hat­te.

      Aber auch hier trie­ben Zeug­nis­se von den bö­sen Ta­ten der Men­schen an Land – aus den fer­nen Städ­ten. Ei­nes Ta­ges bei Hoch­was­ser war der gan­ze Was­ser­spie­gel von Me­lo­nen be­deckt. Tau­sen­de und aber Tau­sen­de von Me­lo­nen hüpf­ten und tanz­ten im Del­ta. Wenn sie an die Fel­sen trie­ben, konn­te sie sie auf­fi­schen. Aber alle wie eine – und sie ver­such­te es ge­dul­dig mit Dut­zen­den – wa­ren durch einen tie­fen Schnitt, in den das Salz­was­ser hin­ein­drang, ver­dor­ben. Sie konn­te es nicht ver­ste­hen und frag­te eine alte Por­tu­gie­sin, die Treib­holz auf­fisch­te.

      »Das tun die Leu­te, die zu viel ha­ben«, er­klär­te die alte Frau und reck­te ih­ren Rücken, der steif von der Ar­beit war, mit sol­cher Mühe, dass Sa­xon ihn fast knir­schen hör­te. Die schwar­zen Au­gen der al­ten Frau leuch­te­ten zor­nig, und ihre runz­li­gen Lip­pen, die sich straff über den zahn­lo­sen Gau­men spann­ten, wa­ren vor Zorn ganz ver­zerrt. »Die Leu­te, die zu viel ha­ben. Um die Prei­se hoch­zu­hal­ten. Sie wer­fen sie in San Fran­zis­ko ins Was­ser.«

      »Aber warum ge­ben sie sie denn nicht den Ar­men?« frag­te Sa­xon.

      »Sie müs­sen die Prei­se hal­ten.«

      »Aber die Ar­men kön­nen sie ja doch nicht kau­fen«, wand­te Sa­xon ein. »Das könn­te doch den Prei­sen nichts scha­den.«

      Die alte Frau zuck­te die Ach­seln.

      »Ich weiß es nicht. So ma­chen sie es nun ein­mal. Sie zer­schnei­den jede Me­lo­ne, so­dass die Ar­men sie nicht auf­fi­schen und es­sen kön­nen. Eben­so ma­chen sie es mit Ap­fel­si­nen und Äp­feln. Auch mit Fi­schen. Ja, es ist ein Trust. Wenn die Boo­te zu vie­le Fi­sche fan­gen, wirft der Trust sie beim Fi­scher­kai ins Was­ser. Boot auf Boot voll von all den herr­li­chen Fi­schen. Die herr­li­chen Fi­sche sin­ken und ver­schwin­den. Nie­mand be­kommt sie. Ja, und das, ob­wohl sie tot sind und nur zum Es­sen tau­gen.«

      Und Sa­xon konn­te eine Welt nicht ver­ste­hen, die der­lei tat – eine Welt, wo ei­ni­ge Men­schen so viel zu es­sen hat­ten, dass sie es weg­war­fen, Leu­te be­zahl­ten, um es zu ver­nich­ten, ehe sie es weg­war­fen. Wäh­rend in der­sel­ben Welt so vie­le Men­schen wa­ren, die nicht ge­nug zu es­sen hat­ten, de­ren Kin­der star­ben, weil die Milch ih­rer Müt­ter nicht nahr­haft ge­nug war, de­ren jun­ge Män­ner kämpf­ten und ein­an­der tot­schlu­gen, um Ar­beit zu be­kom­men, de­ren alte Män­ner und Frau­en ins Ar­men­haus wan­dern muss­ten, weil es nicht ge­nug in den elen­den klei­nen Lö­chern zu es­sen gab, die sie wei­nend ver­lie­ßen. Und so war es in der gan­zen Welt. Hat­te Mer­ce­des nicht zehn­tau­send Fa­mi­li­en im fer­nen In­di­en ver­hun­gern se­hen, ob­wohl, wie sie selbst ge­sagt hat­te, die Ju­we­len, die sie trug, sie alle vom Hun­ger­to­de hät­te er­ret­ten kön­nen?

      Eine Wei­le saß Sa­xon zer­schmet­tert, hilf­los da. Dann aber be­gann in ihr ein Drang nach Pro­test, nach Aufruhr zu schwe­len. Sie frag­te sich ver­ge­bens, warum Gott so mit ihr um­ge­sprun­gen