Джек Лондон

Gesammelte Werke


Скачать книгу

es zu ei­ner un­um­stöß­li­chen Tat­sa­che, so­dass sie nur zit­ternd, in kal­ten Schweiß ge­ba­det und mit ei­nem lau­ten Schrei auf­wa­chen konn­te. Ihr Schlaf wur­de im­mer un­ru­hi­ger und im­mer mehr von bö­sen Träu­men ge­stört. Zu­wei­len war sie über­zeugt, dass sie gar nicht schlief, sie wuss­te, dass sie an Schlaf­lo­sig­keit litt, und an Schlaf­lo­sig­keit war ihre Mut­ter ge­stor­ben.

      Ei­nes Ta­ges kam sie in Dok­tor Hent­leys Sprech­zim­mer zu sich. Er sah sie an, als wüss­te er nicht recht, was er glau­ben soll­te.

      »Be­kom­men Sie auch ge­nug zu es­sen?« frag­te er.

      Sie nick­te.

      »Be­drückt et­was Ernst­haf­tes Sie?«

      Sie schüt­tel­te den Kopf.

      »Nein, es ist nichts, Herr Dok­tor – au­ßer –«

      »Nun, was denn?« sag­te er er­mu­ti­gend.

      Und jetzt wuss­te sie, warum sie ge­kom­men war. Klar und of­fen er­zähl­te sie ihm al­les. Er schüt­tel­te lang­sam den Kopf.

      »Das geht nicht, mein Kind«, sag­te er.

      »Doch, es geht!« rief sie. »Ich weiß, dass es geht.«

      »Ach, das mei­ne ich nicht«, ant­wor­te­te er. »Ich mei­ne nur, dass ich es Ih­nen nicht sa­gen kann. Ich darf es nicht. Es ist un­ge­setz­lich. Ein Arzt sitzt des­we­gen im Lea­ven­worth-Ge­fäng­nis.«

      Sie be­stürm­te ihn ver­geb­lich mit ih­ren Bit­ten. Er er­zähl­te, dass er selbst Frau und Kin­der hät­te und sich ih­ret­we­gen nicht in Ge­fahr brin­gen dürf­te.

      »Au­ßer­dem be­steht au­gen­blick­lich kei­ne Wahr­schein­lich­keit da­für«, sag­te er.

      »Aber es kommt, es kommt ganz si­cher«, be­harr­te sie ein­dring­lich.

      Aber er schüt­tel­te nur trau­rig den Kopf.

      »Wa­rum wol­len Sie es wis­sen?« frag­te er schließ­lich. Sa­xon schüt­te­te ihm ihr Herz aus. Sie er­zähl­te ihm von dem ers­ten glück­li­chen Jahr mit Bil­ly, von den schwe­ren Zei­ten, die in­fol­ge der Ar­bei­te­run­ru­hen ge­kom­men wa­ren, von der mit Bil­ly vor­ge­gan­ge­nen Ver­än­de­rung und von ih­rer ei­ge­nen wahn­sin­ni­gen Angst. Nicht, wenn es ster­ben soll­te, schloss sie. Das könn­te sie noch ein­mal er­tra­gen. Aber wenn es le­ben soll­te! Bil­ly wür­de bald aus dem Ge­fäng­nis kom­men, und dann sei die Ge­fahr da. Es sei­en ja nur ein paar Wor­te. Sie wol­le es kei­nem Men­schen er­zäh­len. Wil­de Pfer­de soll­ten es nicht aus ihr her­aus­zie­hen kön­nen.

      Aber Dok­tor Hent­ley schüt­tel­te nur wei­ter den Kopf.

      »Ich kann es Ih­nen nicht sa­gen, mein Kind. Es ist eine Schan­de, aber ich wage es nicht. Mir sind die Hän­de ge­bun­den. Es ist ein Feh­ler in un­sern Ge­set­zen. Ich muss an die den­ken, die mir teu­er sind.«

      Erst als sie auf­stand, um zu ge­hen, wur­de sein Ent­schluss wan­kend.

      »Kom­men Sie«, sag­te er. »Set­zen Sie sich dicht zu mir.«

      Er woll­te ihr et­was zu­flüs­tern, aber in über­trie­be­ner Vor­sicht stand er plötz­lich auf, schritt an das an­de­re Ende der Stu­be, öff­ne­te die Tür und sah hin­aus. Als er sich wie­der setz­te, zog er sei­nen Stuhl so dicht an den ih­ren, dass ihre Arme sich be­rühr­ten, und als er flüs­ter­te, kit­zel­te sein Bart ihr Ohr.

      »Nein, nein«, sag­te er ab­weh­rend, als sie ihre Dank­bar­keit aus­zu­drücken ver­such­te. »Ich habe Ih­nen nichts er­zählt. Sie sind bei mir ge­we­sen, um mich we­gen Ih­rer Ge­sund­heit im All­ge­mei­nen zu kon­sul­tie­ren. Sie sind sehr her­un­ter, sind nicht recht bei sich –«

      Im Spre­chen be­glei­te­te er sie zur Tür. Als er sie öff­ne­te, stand ein Pa­ti­ent im Vor­zim­mer. Dok­tor Hent­ley hob die Stim­me.

      »Sie brau­chen das stär­ken­de Mit­tel, das ich Ih­nen auf­ge­schrie­ben habe, ver­ges­sen Sie das nicht! Und über­fül­len Sie nicht Ihren Ma­gen, wenn Sie wie­der Ap­pe­tit be­kom­men. Aber es­sen Sie et­was Gu­tes, Nahr­haf­tes. Auf Wie­der­se­hen!«

      *

      Sie sah die See­leu­te auf den Schif­fen und dach­te an die lan­gen Rei­sen, die sie mach­ten, und die fer­nen Län­der, die sie be­such­ten, und das freie Le­ben, das sie füh­ren moch­ten. Oder wa­ren sie viel­leicht von ei­ner Welt um­ge­ben, die eben­so un­barm­her­zig und böse war wie die, wel­che Oa­k­land mit sei­nen Be­woh­nern um­gab? Es sah nicht so aus, und manch­mal wünsch­te sie, auf ei­nem der aus­fah­ren­den Schif­fe zu sein – und zu fah­ren, ei­ner­lei wo­hin, nur weit fort von der Welt, der sie ihr Bes­tes ge­ge­ben und die sie da­für mit Fü­ßen ge­tre­ten hat­te.

      Sie wuss­te es nicht im­mer, wann sie aus­ging oder wo ihre Füße sie hin­tru­gen. Ein­mal kam sie zu sich in ei­ner Ge­gend von Oa­k­land, die sie gar nicht kann­te. Die Stra­ße war breit, und zu bei­den Sei­ten wa­ren Rei­hen schat­ti­ger Bäu­me und sam­met­wei­che Ra­sen­flä­chen, die nur von ze­men­tier­ten Bür­ger­stei­gen un­ter­bro­chen wur­den, die Häu­ser la­gen et­was aus­ein­an­der und wa­ren groß – sie be­zeich­ne­te sie in Ge­dan­ken als Pa­läs­te. Was sie wie­der ins Be­wusst­sein riss, war ein jun­ger Mann auf dem Füh­rer­sitz ei­nes großen Tou­ren­au­to­mo­bils, das vor ei­nem der Häu­ser hielt. Er sah sie neu­gie­rig an, und sie er­kann­te ihn. Es war Roy Blan­chard, der jun­ge Mann, dem Bil­ly vor dem Forum Prü­gel an­ge­droht hat­te. Ne­ben dem Au­to­mo­bil stand bar­haupt ein an­de­rer jun­ger Mann. Auch sei­ner er­in­ner­te sie sich. Es war der, der – an dem Sonn­tag, als sie Bil­ly das ers­te­mal ge­trof­fen – dem Läu­fer den Stock zwi­schen die Bei­ne ge­steckt und da­durch das all­ge­mei­ne Hand­ge­men­ge ver­ur­sacht hat­te. Wie Blan­chard, sah auch er sie neu­gie­rig an, und ihr wur­de plötz­lich klar, dass sie Selbst­ge­sprä­che ge­führt hat­te. Ihre ei­ge­ne un­zu­sam­men­hän­gen­de Rede klang ihr noch im Ohr. Sie wur­de heiß vor Scham und be­schleu­nig­te ih­ren Gang. Blan­chard sprang vom Auto her­un­ter und ging ihr ent­ge­gen.

      »Ist Ih­nen et­was?« frag­te er.

      Sie schüt­tel­te den Kopf, und ob­wohl sie ste­hen blieb, gab sie doch deut­lich zu er­ken­nen, dass sie wei­ter­zu­ge­hen wünsch­te.

      »Ich ken­ne Sie gut«, sag­te er und sah ihr for­schend ins Ge­sicht. »Sie wa­ren mit dem strei­ken­den Ar­bei­ter zu­sam­men, der mir eine Tracht Prü­gel ver­sprach.«

      »Das