Джек Лондон

Gesammelte Werke


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Li­dern konn­te Sa­xon se­hen, dass er zu viel ge­trun­ken hat­te. Er warf Har­mon einen ge­reiz­ten Blick zu und stell­te sich, ohne ihn oder Sa­xon zu be­grü­ßen, an die Wand.

      Har­mon fühl­te das Drücken­de der Si­tua­ti­on und ver­such­te zu tun, als be­mer­ke er nichts.

      »Ich er­zähl­te Ih­rer Frau ge­ra­de –«, be­gann er, aber Bil­ly un­ter­brach ihn wü­tend.

      »Es ist mir gleich­gül­tig, was Sie ihr er­zähl­ten. Aber ich will Ih­nen et­was sa­gen. Mei­ne Frau hat Ih­nen Ihr Bett viel öf­ter ge­macht, als mir ge­fällt.«

      »Bil­ly!« rief Sa­xon, von Zorn und Krän­kung flam­mend.

      Bil­ly tat, als hör­te er sie gar nicht. Har­mon sag­te:

      »Ich ver­ste­he nicht –«

      »Nun ja, ich kann Ihre Frat­ze nicht aus­ste­hen«, er­klär­te Bil­ly. »Ma­chen Sie, dass Sie weg­kom­men! Hin­aus! Ver­stan­den?«

      »Ich weiß nicht, was mit ihm ist«, sag­te Sa­xon schnell und atem­los zu dem Hei­zer. »Er ist nicht bei Sin­nen. Ach, wie ich mich schä­me, ach, wie ich mich schä­me.«

      Bil­ly wand­te sich zu ihr.

      »Willst du ge­fäl­ligst das Maul hal­ten! Es geht dich gar nichts an.«

      »Aber Bil­ly!« wand­te sie ein.

      »Und dann mach, dass du weg­kommst! Geh nach drin­nen.«

      »Hö­ren Sie«, sag­te Har­mon. »Das ist kein Be­neh­men.«

      »Ich habe Ih­nen schon zu viel Frei­heit ge­las­sen«, lau­te­te Bil­lys Ant­wort.

      »Ich habe wohl mei­ne Mie­te re­gel­mä­ßig be­zahlt, nicht wahr?«

      »Und ich soll­te Ih­nen den Kopf zer­schla­gen. Ja, und ich kann ei­gent­lich nicht ein­se­hen, warum ich es nicht tun soll­te.«

      »Wenn du das ver­suchst, Bil­ly –«, be­gann Sa­xon.

      »Bist du noch da? Wenn du nicht nach drin­nen gehst, dann hel­fe ich dir.«

      Sei­ne Hand um­press­te ih­ren Arm. Ei­nen Au­gen­blick ver­such­te sie, Wi­der­stand zu leis­ten, und in dem Au­gen­blick, als ihr Fleisch von sei­nen Fin­gern zer­quetscht wur­de, wur­de sie sich sei­ner un­er­mess­li­chen Kraft be­wusst.

      Im Vor­der­zim­mer konn­te sie sich nur wei­nend in den großen Ses­sel wer­fen und hö­ren, was in der Kü­che vor­ging.

      »Ich blei­be je­den­falls bis Ende der Wo­che«, sag­te der Hei­zer. »Ich habe vor­aus­be­zahlt.«

      »Dass du dich nur nicht irrst«, er­tön­te Bil­lys Stim­me, so lang­sam, dass sie schlep­pend wirk­te, und doch zit­ter­te sie vor Wut. »Wenn dir dei­ne Ge­sund­heit lieb ist, kannst du nicht schnell ge­nug weg­kom­men – mit Sack und Pack. Ich kann je­den Au­gen­blick plat­zen.«

      »Ja, ich weiß, dass Sie ein Rauf­bold sind –«, be­gann der Hei­zer.

      Dann hör­te Sa­xon einen Schlag – ein Irr­tum war nicht mög­lich; eine Schei­be wur­de zer­schla­gen. Dann wur­de an der Hin­ter­tür ge­run­gen und end­lich ein schwe­rer Kör­per die Trep­pe hin­ab­ge­wor­fen. Da­nach hör­te sie Bil­ly in die Kü­che zu­rück­kom­men und um­her­ge­hen – sie wuss­te, dass er die Glas­scher­ben zu­sam­men­feg­te. Dann wusch er sich am Aus­guss und be­gann zu pfei­fen, wäh­rend er sich Ge­sicht und Hän­de ab­trock­ne­te, und kam dann ins Vor­der­zim­mer. Sie sah ihn nicht an – dazu war sie zu elend und trau­rig. Er blieb un­ent­schlos­sen ste­hen, als könn­te er nicht recht mit sich ei­nig wer­den.

      »Ich muss in die Stadt«, sag­te er schließ­lich. »Wir ha­ben Ver­samm­lung in der Ge­werk­schaft. Wenn ich nicht wie­der­kom­me, hat der Schwach­kopf mich bei der Po­li­zei an­ge­zeigt.«

      Er öff­ne­te die Hin­ter­tür, blieb aber wie­der ste­hen. Sie wuss­te, dass er sie an­sah. Dann schloss sich die Tür, und sie hör­te ihn die Trep­pe hin­un­ter­ge­hen.

      Sa­xon war voll­kom­men be­täubt. Sie konn­te nicht den­ken. Sie wuss­te nicht, was sie den­ken soll­te. Al­les war so un­fass­bar, so un­glaub­lich. Sie lehn­te sich mit ge­schlos­se­nen Au­gen im Ses­sel zu­rück, ohne einen ein­zi­gen kla­ren Ge­dan­ken im Kopf, und zu Bo­den ge­drückt von dem bleischwe­ren Ge­fühl, dass jetzt al­les aus war.

      Die Kin­der, die auf der Stra­ße spiel­ten, rie­fen sie in die Wirk­lich­keit zu­rück. Es war Abend ge­wor­den. Sie such­te tas­tend nach ei­ner Lam­pe und zün­de­te sie schließ­lich an. In der Kü­che blieb sie ste­hen und starr­te mit be­ben­den Lip­pen auf das kar­ge, halb­zu­be­rei­te­te Es­sen. Das Feu­er war aus­ge­gan­gen, das Was­ser von den Kar­tof­feln ver­kocht. Als sie den De­ckel ab­nahm, stieg ein brenz­li­ger Ge­ruch aus dem Topf auf. Metho­disch wie im­mer, rei­nig­te und wusch sie den Topf, brach­te al­les in Ord­nung und schnitt die Kar­tof­feln in Schei­ben, so­dass sie sie am nächs­ten Tage bra­ten konn­te. Und eben­so me­tho­disch ent­klei­de­te sie sich und ging zu Bett. Ihre voll­kom­me­ne Ruhe war un­na­tür­lich, so un­na­tür­lich, dass sie so­fort die Au­gen schloss und fast im sel­ben Au­gen­blick ein­ge­schla­fen war.

      Es war seit ih­rer Ver­hei­ra­tung die ers­te Nacht, die sie ohne Bil­ly ver­brach­te. Sie war ganz ver­blüfft, dass sie nicht wach ge­le­gen und sich um ihn ge­ängs­tigt hat­te. Mit weit of­fe­nen Au­gen, fast ohne Ge­dan­ken in ih­rem Hirn, blieb sie lie­gen, bis sie be­merk­te, dass ihr Arm schmerz­te. Dort hat­te Bil­ly sie ge­packt. Als sie die schmer­zen­de Stel­le un­ter­such­te, sah sie, dass sie ganz schwarz und blau war. Sie war über­rascht, nicht dar­über, dass der Mensch, den sie über al­les auf der Welt lieb­te, ihr die­sen Scha­den zu­ge­fügt hat­te, son­dern über das rein Phy­si­sche, dass ein Druck, der nur einen Au­gen­blick dau­er­te, sol­chen Scha­den an­rich­ten konn­te. Die Kraft ei­nes Man­nes war et­was Fürch­ter­li­ches. Sie er­tapp­te sich da­bei, wie sie, ganz un­per­sön­lich, dar­über nach­dach­te, ob Char­ley Long wohl eben­so stark wie Bil­ly sei.

      Erst als sie sich an­ge­klei­det und Feu­er ge­macht hat­te, be­gann sie, an Nä­her­lie­gen­des zu den­ken. Bil­ly war nicht wie­der­ge­kom­men – also war er ver­haf­tet wor­den. Was soll­te sie tun? Ihn im Ge­fäng­nis las­sen, ih­rer Wege ge­hen und ein neu­es Le­ben be­gin­nen? Selbst­ver­ständ­lich war es un­mög­lich, wei­ter mit ei­nem Mann zu­sam­men­zu­le­ben, der sich so wie er be­nom­men hat­te. Dann aber tauch­te ein an­de­rer Ge­dan­ke auf – war es wirk­lich un­mög­lich? Trotz al­lem war er ja ihr Mann. In gu­ten und schlech­ten Ta­gen – den Satz wie­der­hol­te sie sich im­mer wie­der, als mo­no­to­ne Beglei­tung zu ih­ren Ge­dan­ken, im Hin­ter­grund ih­res Be­wusst­seins. Ihn zu ver­las­sen, hieß, al­les auf­zu­ge­ben. Sie brach­te die Sa­che vor den Richter­stuhl der Erin­ne­rung an ihre Mut­ter. Nein, Dai­sy hät­te nie auf­ge­ge­ben. Dai­sy hat­te Kampf­blut in den Adern. Also muss­te auch sie, Sa­xon, kämp­fen. Und zu­dem – das gab sie wil­lig, wenn auch kalt und tot, zu – zu­dem war Bil­ly bes­ser als die meis­ten Ehe­män­ner. Und sie er­in­ner­te sich sei­nes Fein­ge­fühls und Tak­tes bei so vie­len frü­he­ren Ge­le­gen­hei­ten und na­ment­lich sei­nes ewi­gen Kehr­reims: Nichts ist zu gut für uns.

      Um elf Uhr kam Be­such. Es war Bud Stro­ters, Bil­lys Ka­me­rad bei der Streik­wa­che. Er er­zähl­te ihr, dass Bil­ly sich ge­wei­gert hät­te, Kau­ti­on zu stel­len, sich ge­wei­gert hät­te, einen Rechts­an­walt zu neh­men,