Ödön von Horváth

Die wichtigsten Dramen von Ödön von Horváth


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sich eine Zigarette an: Nur geritzt.

      EMANUEL

      Blut bleibt Blut.

      MAX

      schwätzt wieder: Chrysantheme bleibt Chrysantheme. Gong. Zwote Runde. Der blonde Neger fightet los. Mörderisch. Serie. Serienmörderisch. Das Favoritenauge schließt sich, achte Runde, obwohl er klar nach Punkten führt. Jedoch ein geschlossenes Auge kostet den blauen Gürtel der Meisterschaft, der Vereinsweltmeisterschaft, obzwar es ja auch ein lila Gürtel gewesen sein mag – überhaupt diese Weltmeisterschaft! Eins, zwo, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf! Er hebt den Strauß.

       Christine wimmert; zuckt; schlägt mit den Armen auf das Parkett.

       Emanuel, Karl, Müller zogen sich etwas zurück, ins Halbdunkle.

       Strasser steht hinter Christine.

      CHRISTINE

      stützt sich schwerfällig empor, kauert und sieht scheu, verstört um sich; sie blutet über dem linken Auge: Wer, wer hat mich niedergeschlagen? Wer? Sie erblickt Max mit dem Blumenstrauß

       Max verbeugt sich tief.

       Christine entsetzt, will schreien, kann aber nicht; schnellt auf, flieht, erblickt Strasser, stürzt auf ihn zu, stolpert, bricht in die Knie, kriecht zu ihm und küßt seine Hand.

       Strasser läßt sie sich küssen.

      CHRISTINE

      leise: Mein bist du – du mein du, mein höchstes Glück –

      STRASSER

      dumpf: Es dürfte zu furchtbar sein, die Nichtigkeit des höchsten Glückes zu sehen.

      EMANUEL

      souffliert: Es ist zu furchtbar!

      STRASSER

      Ist es auch. Richtig.

      CHRISTINE

      Nicht so, nicht so sein – nicht du so sein –

      STRASSER

      Wie?

      CHRISTINE

      Du bist nicht so, so wie du denkst. Ich kenne dich ja, wie mich – wenn ich nur wieder denken könnte – Wo? Wann? Wie? Was? Sie klammert sich an sein Bein und schreit verzweifelt. Strasser! Wo bin ich? Ha, ich bin auf der Flucht! Die Polizei! Rette mich! Rette mich! Die Polizei behauptet ja, ich, ich hätte unser Kind zur Seite, ich hätte unser Kind erwürgt, zerstückelt und in Zeitungspapier –

       Strasser hält ihr den Mund zu.

       Stille.

      MAX

      Großer jüdischer Gott!

       Stille.

      EMANUEL

      leise: Das ändert die Situation.

      KARL

      ebenso: Jetzt bin ich aus der Rolle gefallen.

      MAX

      Das Stichwort, das Stichwort –

       Stille.

      MÜLLER

      Na gute Nacht!

      CHRISTINE

      hat sich beruhigt; tonlos: Es war keine gute Nacht. Dieser Traum, dieser entsetzliche Traum –

      STRASSER

      atmet auf: Traum?

      CHRISTINE

      Nur ein Traum. Aber es hätte Wirklichkeit werden können –

      MAX

      Psychoanalytisch hochinteressant.

      CHRISTINE

      Ich war unschuldig, aber alles schwor gegen mich, vor allem die Not. Und dann hatte ich auch kein Alibi, ich war immer allein – und dann überschlug ich mich. Stürzte. Kopfüber! Schneller und schneller! Drehte mich, wand mich – Oh, ich glaube, ich drehe mich noch! Drehe mich, drehe mich – Ich bin das Drehen! Strasser! Wo schlag ich auf?!

      STRASSER

      Ich bin kein Prophet.

      CHRISTINE

      Kopfüber!

      STRASSER

      Fasse dich! Du warst lediglich in Ohnmacht gefallen und bist vierundzwanzig Stunden ohne Besinnung gelegen.

      EMANUEL

      Bravo!

      STRASSER

      Du hast das Bewußtsein verloren, weil du ausnahmsweise der Wahrheit begegnet bist.

      CHRISTINE

      Was ist die Wahrheit? Sie erblickt Max; starrt ihn ängstlich an.

      STRASSER

      Ach, könnte man nur so in Ohnmacht fallen! Nur einmal so sich drehen, hindrehen, herdrehen, herumdrehen – Ich bin verdammt, alles bei Bewußtsein zu verdauen, zu sehen und hören, wie die eigenen Gedärme arbeiten.

      EMANUEL

      kichert unterdrückt; zu Müller: Der absolute Hölderlin?

      MÜLLER

      Wer ist Hölderlin?

      CHRISTINE

      erhebt sich scheu: Wer? Wer ist das? Du, wer ist das dort mit den Blumen?

      STRASSER

      Du kennst ihn.

      CHRISTINE

      Nein.

      STRASSER

      So kennt er dich!

      CHRISTINE

      Nein!

      MAX

      Christine!

      CHRISTINE

      Wir kennen uns nicht, mein Herr!

      STRASSER

      zu Christine: Du kannst es ruhig zugeben, daß er dich kennt. Es ist alles an den Tag gekommen.

      MAX

      Durch die Sonne, wahrscheinlich.

      CHRISTINE

      schreit: Nein, nein! Wir kennen uns nicht! Der irrt sich, verwechselt mich, täuscht sich! Der lügt ja! Lügt! Lügt!

       Emanuel gibt Max Zeichen, daß er sprechen soll.

      STRASSER

      zu Christine: Still!

      MAX

      ist noch immer unsicher: Christine. Laßt also Chrysanthemen sprechen. Blumen lügen nämlich nie. Auch Chrysanthemen lügen bekanntlich nie. – Die Liebe ist eine Blume, und unsere Chrysantheme blühte im Verborgenen, war gewissermaßen ein Gewächs der Nacht. Mond und so. Aber über Nacht, da schien die Sonne mitten in der Nacht. Man kann es gar nicht erfassen. Kaum glaublich, schier unglaublich, aber ich habe um eine Chrysantheme mein Brot verloren. Nun ziehe ich dahin. Ach, wohin? Woher, wohin?

      CHRISTINE

      Träume ich?

      MAX

      Chrysantheme. Trockne und presse diesen Strauß zum Gedenken an deinen dich liebenden Emil Krause aus Chemnitz.

      EMANUEL

      für sich; grimmig: Das auch noch! Gott, wie blöd!

      MÜLLER

      ebenso: Wenn Emil improvisiert –