Johanna Spyri

Gesammelte Werke von Johanna Spyri


Скачать книгу

kommt etwas Schreckhaftes zum Vorschein, wenn die Frau Amtsrichter kommt?« fragte Mäzli mit lauter Stimme.

      Mea stand schnell auf und zog das Mäzli zur Tür hinaus; sie wolle die Mutter holen, sagte sie, um ihren eiligen Rückzug ein wenig zu erklären. Sie musste doch das schreckliche Mäzli entfernen; man konnte ja nicht wissen, was es noch alles sagen würde. Gerade wo es am wenigsten am Platze war, brachte es seine ärgsten Einfälle an. Die Mutter war schon auf dem Wege und trat eben ein, als Mea mit Mäzli hinauslief. Jetzt huschte ihnen auch Bruno schnell nach; er hatte nur gewartet, bis die Erscheinung der Mutter auch ihm die Flucht erlaubte.

      »Ihre Kinder sind wirklich ein wenig sonderbar, Frau Pfarrer«, begann die Frau Amtsrichter, »ich muss es jedesmal wieder denken, wenn ich mit ihnen zusammenkomme. Was hilft’s, dass Sie so viel Ermahnungen geben? So wie die Art ist, kommt sie doch heraus. Keines meiner Kinder hat sich je so überfrei, um kein stärkeres Wort zu gebrauchen, ausgedrückt, wie Ihr kleines Töchterchen jetzt schon.«

      »Es tut mir sehr leid, dass Sie mir das sagen müssen«, erwiderte Frau Maxa, »sollte nicht das Kind, ohne es zu wissen ein überfreies Wort gesprochen haben? Ich hoffe, von den grösseren Kindern haben Sie so etwas doch noch nie erfahren.«

      »Nein, das will ich nicht sagen«, entgegnete die Frau Amtsrichter; »aber das Predigen haben sie alle ein wenig geerbt, besonders Ihre Tochter Mea. Kinder können doch auch mal ungleicher Ansicht sein, ohne dass das eine das andere immer abzukanzeln braucht.«

      »Auch meine Kinder sind öfters ungleicher Ansicht; aber ich könnte nicht sagen, dass sie einander gerade in Predigtform widerlegen«, sagte Frau Maxa.

      »Mea hat wirklich die Art, sie wird darum immer mit ihren Freundinnen in Zerwürfnisse geraten. Von unserem Herrn Pfarrer werden Sie ja auch den Absagebrief erhalten haben?« Hier ging die Frau Amtsrichter in einen weniger gestrengen Ton über.

      Frau Maxa bejahte die Vermutung.

      »So ist ja die vorausgesehene Veränderung nun wirklich da«, fuhr die Frau Amtsrichter fort, »und mein Mann war einig mit mir, dass gleich gehandelt werden sollte. Er reist nun morgen nach der Stadt, eben ist er fort; denn er will auf dem Wege noch seine Schwester besuchen. In der Stadt wird er dann gleich ein gutes Haus aussuchen, wo die drei Kameraden im Herbst einziehen können.«

      »Sie wollen doch nicht sagen, dass der Herr Amtsrichter gleich auch für Bruno Quartier bestellen wird!« sagte Frau Maxa mit Schrecken.

      »Doch ja, darum schickt mich mein Mann zu Ihnen, um Ihnen zu sagen, dass er das gern für Sie tut«, erwiderte beruhigend die Frau Amtsrichter; »er ist ja natürlich überzeugt, dass Sie froh sind, wenn er alles gut in Ordnung bringt, so wie es ihm und Ihnen gefallen kann.«

      »Aber ich bin ja noch gar nicht vorbereitet, Frau Amtsrichter, noch habe ich gar nicht darüber mit meinem Bruder gesprochen, und Sie wissen ja, er ist der Vormund der Kinder.« Frau Maxa konnte ihre Aufregung nicht verbergen.

      »Sie können ganz ruhig sein, auch daran haben wir gedacht«, sagte die Frau Amtsrichter mit überlegenem Lächeln. »Die Schwester meines Mannes wohnt ja nicht weit weg von Herrn Falk in Sils; mein Mann nahm sich darum vor, auch ihn zu besuchen und alles mit ihm zu besprechen.«

      Ein wenig wurde Frau Maxa beruhigt durch diese Mitteilung; ihr Bruder wusste ja, wie es jetzt schon zwischen den zusammengezwungenen Studiengenossen stand, und auch, wie wenig sie ein Zusammenleben der drei wünschen konnte. Aber es stieg doch wieder in ihr auf: Warum sollte doch ein solches erzwungen werden?

      »Eigentlich begreife ich nicht, warum die drei Jungen zusammenwohnen sollen«, sagte sie lebhaft, »ihre Freundschaft ist nicht so gross, dass sie selbst diesen Wunsch hatten; denn sie suchen sich gegenseitig niemals auf, und Sie selbst, Frau Amtsrichter, haben von der Art meiner Kinder keinen so besonders günstigen Eindruck, dass Sie das stete Zusammenleben mit einem von ihnen für Ihre Jungen wünschen sollten.«

      »Es schickt sich nicht anders«, entgegnete die Frau Amtsrichter, »das findet auch mein Mann. Was würde man auch in der Stadt sagen, wenn die Söhne der beiden angesehensten Familien hier, und dazu Studiengenossen, nicht einmal zusammenwohnen würden. Man müsste ja denken, da sei etwas Besonderes zwischen die Familien gekommen, anstatt dass beim Zusammengehören beide Teile im Ansehen gewinnen werden.«

      »Ich glaube kaum, dass es in der Stadt Aufsehen machen wird, was die drei Jungen tun«, sagte Frau Maxa ein wenig lächelnd.

      In diesem Augenblick wurde die Tür weit aufgeschlagen, und mit frohlockendem Gesicht, ganz so, als wollte es sagen: »Seht, wen ich euch da bringe«, stand Mäzli auf der Schwelle, die Apollonie an der Hand führend. Diese wich eilig wieder zurück.

      »Nein, nein, Mäzli«, sagte sie erschrocken, »du hättest mir sagen sollen, dass Besuch da ist!«

      Die Frau Amtsrichter hatte sich erhoben, um sich zu verabschieden. »Es scheint, derartige Besuche werden von Ihren Kindern mit besonderer Freude herbeigeführt! Es ist ein eigener Geschmack«, sagte sie, der Tür zugehend.

      »Apollonie ist eine alte Bekannte unseres Hauses. Die Kinder sind ihr wirklich alle sehr zugetan, vielleicht ist dies auch ein Erbteil«, erwiderte Frau Maxa lächelnd.

      »Das eine will ich doch noch bemerken«, sagte die schon auf der Schwelle Stehende, sich noch einmal umwendend. »Was Ihr Kurt heute mit seiner Bande wenig auserlesener Mitschüler vor dem Hause der Apollonie aufgeführt hat, kann man doch nicht anders als einen Spektakel nennen.«

      Noch wusste Frau Maxa nicht, was Kurt verübt hatte; sie bat um Aufklärung. Aber die Frau Amtsrichter wandte sich nun zum Gehen; sie meinte, soviel darüber zu sprechen wäre nicht der Mühe wert. Sobald das Feld frei war, schoss Mäzli aus einem Hinterhalt hervor, die Apollonie nach sich ziehend, die sich nun sehr entschuldigte, dass sie so an die offene Tür herangekommen war. Sie hatte eben Mäzli gesagt, sie möchte zur Mutter, und es hatte sie ohne weiteres dahin gebracht. Sie sei gekommen, um der Frau Pfarrer etwas mitzuteilen, was diese gewiss kaum glauben werde; aber es sei wirklich geschehen.

      Frau Maxa fand für gut, hier die Apollonie zu unterbrechen. Denn das Mäzli horchte schon mit beiden Öhrlein auf, was kommen werde.

      »Mäzli, geh hinüber«, sagte die Mutter, »Lippo soll mit dir spielen, bis ich komme.«

      »Sag mir’s dann nachher auch, Apollonie«, ordnete Mäzli noch an, da es doch jetzt fort musste, um zu spielen.

      Die Mitteilungen der Apollonie dauerten lange. Es war später als gewöhnlich, als man sich zum Abendessen setzen konnte, erst jetzt hatte sie sich entfernt.

      Kurt verschlang sein Essen mit allen Zeichen der Ungeduld. Sobald es anging, stürzte er fort; noch hatte er der Mutter versprechen müssen, nicht spät heimzukehren. Nun galt es erst, die guten Freunde zu treffen, die sich alle zu dem Streifzug verbündet hatten. Als Kurt sich dem Sammelplatz näherte, war er ein wenig enttäuscht. Schon war die Dämmerung eingetreten; aber er konnte deutlich erkennen, dass nur eine geringe Anzahl von den Verbündeten sich eingefunden hatte; das war durchaus nicht die Schar von heute mittag, und doch hatten sich fast alle als Teilnehmer gemeldet, wenigstens die Buben.

      »Sie fürchten sich! Sie fürchten sich!« schrien alle Stimmen miteinander dem Kurt entgegen, und nun wurde ihm berichtet, indem immer einer den anderen überschrie, dass viel mehr Buben dagewesen seien und auch Mädchen; aber wie es zu dunkeln angefangen habe, sei einer nach dem anderen entwichen und alle Mädchen bis auf vier.

      »Das tut nun nichts, wir sind noch genug Leute«, sagte Kurt, »wer sich fürchtet, soll nur laufen! Nun können wir gleich gehen; denn es ist weit. Wir gehen nicht den bekannten Schlossweg hinan, dort passt natürlich der Herr Trius bis um Mitternacht allen Apfeljägern auf. Aber das ist nun gerade recht für uns, der darf nichts hören. Wir gehen auf die hintere Seite des Schlosses und steigen dort zum Wäldchen hinauf. Dort singen wir unsere Herausforderung erst einmal - dann Pause, dass der Geist Zeit hat, dann noch einmal - dann Pause, dann zum dritten und letzten Mal. Nun wäre natürlich der Geist erschienen, wenn es einen gäbe; denn er liesse sich nicht von uns hänseln, das begreift ihr; wenn er nun aber nicht erschienen ist, dann wollen wir