Tatjana Kruse

Leichen, die auf Kühe starren


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Doppelzimmer nächtigte und auf seinem Handy versehentlich die Aus- statt der Schlummer-Taste betätigt hatte, ließen ihn die Jungs einfach liegen. Wobei er seinen Doppelbettpartner auch schlafend im Hotel zurückgelassen hatte, aber man sieht ja immer eher den Spreißel im Auge der anderen als den Balken im eigenen.

      Und warum wusste die Alte mehr als er? Merde! Wenn er sich ärgerte, kam der Franzose in ihm durch. Wobei natürlich kein einziger Partikel seines mittelalten, langsam erschlaffenden Männerkörpers französisch war, aber seit er sich in der Pubertät auf Schulausflug nach Paris in Land und Leute verliebt hatte, fühlte er sich innerlich seelenverwandt, trug seine Baskenmütze voller Stolz und buk in seiner Freizeit Brioche. Automatisch schob er die Rechte in Brusthöhe in seine geöffnete Windjacke. Wie es Napoleon immer zu tun gepflegt hatte.

      Dabei zählte er verstohlen die Schützentafeln an den Wänden, weil er wegen seines Zählfimmels nicht anders konnte.

      „Was sind das für Flecken?“ Beppi beugte sich zur Truhe. „Seht ihr das nicht? Da feuchtelt doch was.“

      „In so alten Gemäuern ist es immer etwas klamm. Das wird Kondenswasser sein“, erklärte Karl-Heinz, um auch mal was Fundiertes gesagt zu haben.

      „Ich finde die Luft hier sehr trocken.“ Frau Obermoser trat einen Schritt zurück. Sie sah zu Manni. Der fasste den Blick als Aufforderung auf. Er streckte den rechten Arm aus.

      „In einem Museum darf man nichts anfassen“, bellte Karl-Heinz. „Außer die interaktiven Präsentationen. Ist diese Truhe interaktiv?“

      Frau Obermoser hob eine Augenbraue. „Möglicherweise ist die Truhe feucht gereinigt, aber nicht getrocknet worden. Von einer Zwischensaisonaushilfsputzfrau. Wenn wir das nicht überprüfen, könnte Rost-Fraß einsetzen.“

      Mannis Arm hing einen Moment lang reglos in der Luft. Eigentlich hatte Karl-Heinz immer das Sagen, aber diese Frau Obermoser strahlte sowas Bestimmendes aus, sowas …

      „Lass mich!“ Beppi schob Manni beiseite und hob den Deckel an.

      Und natürlich handelte es sich nicht um die farblich fragwürdigen Restschlieren eines Reinigungsmittels, sondern um Blut.

      Das höchstwahrscheinlich zu dem abgetrennten Kopf gehörte, der in der Truhe lag. Und der sie aus weit aufgerissenen Augen verwundert anzuschauen schien.

      Beppi schrie auf – das war der Schreck, er war sonst kein Schrei-Typ.

      Rudi sah ihm über die Schulter, riss ebenso wie der Kopf die Augen auf, blieb aber stumm.

      „Hammer!“, lobte Manni. „Das nenn ich eine gelungene Halloween-Deko.“

      Es war Oktober, seine Vermutung war also nicht ganz abwegig. Aber leider falsch. Er beugte sich vor, um den Schädel zu tätscheln, fuhr mit den Fingern durch die brillantinierten Haare des Männerkopfes, zog die Hand wieder zurück, betrachtete seine Finger, schluckte schwer und sah – sekündlich bleicher werdend – zu Frau Obermoser.

      „Echt, oder?“, konstatierte sie nüchtern.

      Beppi schrie erneut auf, Manni knickte mittig ein und kotzte sich die Seele aus dem Leib, und Rudi lehnte sich gegen die Wand, an der er gleich darauf ohnmächtig zu Boden rutschte.

      Nur Karl-Heinz und Frau Obermoser bewahrten Ruhe.

      „Was ist denn hier los?“, fragte der Beckenbauer-Pilger, der es wider Erwarten tatsächlich bis hier oben geschafft hatte – vermutlich, weil er hoffte, noch ein in die Holzbalken geritztes Franzl was here von seinem Idol zu finden.

      Dann sah er den Kopf, hob seine Canon-EOS-Mark-IV-SLR-Digitalkamera und fotografierte sich den Bär.

      In der Geschichte des Frauenberuhigens hat es eine Frau noch nie beruhigt, wenn man ihr sagte, sie solle sich beruhigen.

      „Beruhige dich doch bitte!“, schwäbelte der Mann trotzdem.

      Manchmal konnte man wirklich glauben, Männer hätten die Evolutionsgeschichte nicht von Anfang an an der Seite von Frauen mitgemacht. Oder wären zumindest nicht lernfähig.

      Kitzbühel war zwar eine Tourismusmetropole, aber dennoch von überschaubarer Größe. Wenn in einem Museumsexponat der abgetrennte Schädel eines Menschen gefunden wurde, dann sprach sich das herum. Vielleicht nicht gerade mit Lichtgeschwindigkeit, aber auch nicht sehr viel langsamer.

      Die hiesige Polizei hatte gerade mal das Museum mit Tatortband abgesperrt und die Kollegen vom Ermittlungsbereich eins, genannt „Leib/Leben“, in Innsbruck verständigt, da raunte man es sich in der Vorder- und Hinterstadt schon zu und telefonierte und simste seine Lieben ab, ob einer fehlte.

      Es dauerte exakt 29 Minuten, bis sich die Kunde vom Kopffund vom Museum bis zum Marchwardushof verbreitet hatte. Und eine Gästin daraufhin verrücktspielte.

      „Ich will mich aber nicht beruhigen. Ich weiß, was ich gesehen habe! Wir wohnen mit Mördern unter einem Dach! Und zahlen dafür auch noch den vollen Preis!“ Es war nicht wirklich sicher herauszuhören, was für die Frau schlimmer war: dass sie vermeintlich mit Killern Wand an Wand geschlafen hatte oder dass sie auf die – ohnehin reduzierten – Zwischensaisonzimmerpreise keine weitere Ermäßigung bekommen hatte. Schwaben – die Schotten Deutschlands.

      Dachten zwei der drei, die vor der Infrarotkabine im Wellnessbereich standen.

      In der Kabine saß die Frau und hyperventilierte. Zuvor hatte sie noch das blaue Licht aktiviert, das angeblich tiefenentspannend wirken sollte, aber selbst wenn, dann nur bei geschlossener Kabinentür. Die Tür stand jedoch sperrangelweit offen. Ihr Ehemann hielt ihre Hand. Dass sie ihm die Hand nicht entzog, obwohl sie sich über ihn ärgerte, zeigte deutlich, wie sehr sie durcheinander war.

      „Ich kriege keine Luft mehr“, keuchte die Frau und hielt sich die schwer beringte Rechte an den Hals.

      Leo und Herr Neuveille, der welschschweizerische Geschäftsführer des Hotels, sahen sich an.

      „Sie müssen den Kopf zwischen die Knie stecken“, riet Herr Neuveille.

      Die Frau beugte sich vor.

      „Wie oft soll ich es Ihnen noch sagen?“, krähte sie in Kniehöhe. „Der Mann hatte ein blutiges Messer in der Hand! Im Zimmer gegenüber! Der Mörder logiert hier im Haus!“

      Leo war ihr im Flur begegnet. Als sie hysterisch über den weiß-roten Teppichboden im obersten Stockwerk an ihr vorbeigerannt war, die dort stehende Ritterrüstung umgeworfen hatte (anzunehmenderweise unabsichtlich) und anschließend mit den auf Hochglanz polierten Deko-Wachsäpfeln auf der Truhe neben dem Treppenkopf hinter sich geworfen hatte, als wolle sie einen Verfolger damit niederstrecken (vermutlich absichtlich). Dann war die Frau schreiend durch das komplette Treppenhaus bis ins Untergeschoss gelaufen, wo sie sich in der Infrarotkabine verkroch. Leo war ihr hinterhergerannt, nur der Ehemann hatte in aller Seelenruhe den Aufzug genommen.

      „Mörder! Mörder!“, gellte die Frau jetzt erneut.

      Neuveille machte beschwichtigende Gesten. „Madame, bitte, wir kümmern uns sofort darum. Aber es wäre sicher besser, wenn Sie … keine weitere Aufmerksamkeit auf uns lenken würden.“

      „Weil der Mörder dann kommt und mich zum Schweigen bringt?“ Sie legte den Kopf schräg und sah aus weit aufgerissenen Augen zum Direktor auf.

      Hercule Neuveille hatte eher gemeint, dass die anderen Gäste nicht in Panik versetzt werden sollten.

      Eigentlich hatte er ja den Hof der Eltern im Kanton Waadt übernehmen sollen. Aber schon früh wusste er, dass er sich lieber den Duft der großen weiten Welt um die ausgeprägte Adlernase wehen lassen wollte, als sich um trächtige Kühe und Hennen mit Legenot zu kümmern. Darum war er in die Hotellerie gegangen. Aber immer öfter in letzter Zeit dachte er mit einem inneren Seufzer, dass er immer noch eine Art Landwirt war und wie sein Namensvetter Herkules aus der griechischen Mythologie bemerkenswert oft die Ställe des Augias ausmisten musste. Anders ausgedrückt: Die Gäste waren das Vieh, und er,