Tatjana Kruse

Leichen, die auf Kühe starren


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Brüder ein ereignisloses Leben als Kleinverbrecher führten, strebte Arno nach Höherem. Er wurde Auftragskiller. Wobei er sich selbst lieber als Hitman bezeichnete. Das klang cooler.

      Deswegen trug Arno auch immer Maßanzüge. Und Sonnenbrillen mit Spiegelgläsern. Selbst an grauen Tagen, an denen er hinter der Sonnenbrille so gut wie nichts sehen konnte. So wie jetzt.

      Arno Gümpel war der bestgekleidete hauptberufliche Auftragsmörder. Weltweit. Insoweit er das beurteilen konnte – Auftragskiller hatten ja keinen Newsletter mit Modeseiten und auch keine Jahrestreffen mit Catwalk. Es war einfach nur seine Einschätzung nach fast 20 Jahren im Job.

      Er fuhr am Ortsschild von Kitzbühel vorbei, im schnittigen Cabrio sitzend, den linken Ellbogen lässig über die Fahrertür drapiert. Arno liebte Frauen – und wie! –, aber sollte er jemals die Seiten wechseln – weil beispielsweise durch einen Asteroideneinschlag sämtliche Frauen dieser Erde ausgelöscht wurden –, dann würde er auf Kerle stehen, die so waren wie er selbst: nicht schön, aber mit Muskeln und Grazie.

      Der Fahrtwind blies ihm um die Nase. Er kam gerade vom Golfplatz.

      Golfen – auch so ein cooler Sport.

      Arno frönte allerdings keiner organisierten körperlichen Ertüchtigung, da hielt er es mit Churchill. No sports! Wobei er natürlich unglaublich viel Gymnastik betrieb. Horizontalgymnastik, um genau zu sein. Gewisse Kreise – also die Frauen dieser Welt – nannten Arno nur „die Fleischwurst“. Warum, lag auf der Hand. Und man sah es auch sofort bei jeder Begegnung mit Arno, denn er trug – zur kontinuierlichen Konsternation seines Maßschneiders – ausnahmslos Hosen, die eine Nummer zu klein waren. Damit sein Gemächt besonders prall zur Geltung kam. Das er stets links trug. Denn Arno Gümpel war bekennender Linksträger. Und stolz darauf.

      Im Sitzen war das nicht immer bequem, also hatte er den Knopf seiner Hose geöffnet, um freier atmen zu können.

      Er musste sich konzentrieren. Arno war zum ersten Mal in Kitzbühel und wollte die Ausfahrt zur Hütte nicht verpassen.

      Das ständige Klopfen aus dem Kofferraum nervte. Wie sollte er sich dabei konzentrieren?

      „Scheiße“, brummte Arno, als ihm klar wurde, dass er rechts hätte abbiegen müssen. Die Weichei-Lusche vom GPS hatte noch gesagt „an der nächsten Kreuzung rechts abbiegen“, aber wenn er sich aufregte, gab sein Bleifuß immer Gas, und so war er vorbeigebrettert.

      „Wenn möglich, bitte wenden“, verkündete die sonore Männerstimme. Es war ein Leihwagen. Wenn Arno die Wahl hatte, bevorzugte er weibliche Stimmen. Von Kerlen ließ er sich nämlich nicht gern was sagen, da war er Alpha-Rüde.

      Tock-tock-tock, machte es im Kofferraum.

      „Ruhe!“, brüllte Arno. Eben noch so glücklich, jetzt angefressen.

      Es klopfte ununterbrochen weiter. Arno hätte mehr Chloroform verwenden sollen, aber er hatte nicht überdosieren wollen. Der Doktor wurde noch gebraucht. Da hatte die Chefin keinen Zweifel aufkommen lassen. Er musste den Typ im Kofferraum lebend in der Hütte abliefern.

      Was ein eher ungewöhnlicher Auftrag für ihn war. Normalerweise killte er die Leute – und gut. Tote Menschen waren ihm am liebsten, Lebende machten immer nur Stress.

      Auch der hinten im Kofferraum. Lästig wie ein Furunkel am Arsch.

      „Gib endlich Ruhe!“, brüllte Arno.

      Es klopfte trotzig weiter.

      Waren das Morsezeichen?

      In Arno köchelte es. Wenn das noch lange so weiterging, würde er anhalten und seine Faust sprechen lassen.

      Er würde den Doktor auf jeden Fall lebend abliefern – schließlich war Arno „die Fleischwurst“ Gümpel Profi. Ja, lebend – aber mit Veilchen!

      „Wo hat sich hier der Beckenbauer verewigt?“ Der Tourist mit dem bayrischen Zungenschlag knüllte die Eintrittskarte zu einem Mikro-Papierball und starrte die junge Frau hinter der Empfangstheke auffordernd an.

      „Wie bitte?“

      „Der Beckenbauer. Der soll doch hier irgendwo sein.“

      Sie nickte unverändert freundlich. Manche zerbrachen an diesem Job, andere machte er stärker. „Geradeaus und rechts. Dann sehen Sie die Namen unserer Förderer im Boden eingelassen.“

      Der Mann bedankte sich nicht, sondern stapfte einfach los. Und schnipste dabei die frisch gerollte Papierkugel an die Wand.

      Die Kassenwartin seufzte.

      Das Museum Kitzbühel im ehemaligen Getreidekasten und Teilen der Stadtbefestigung bot heimatkundliche und wintersportgeschichtliche Exponate sowie Werke des Künstlers Alfons Walde. Vom Dach des Museums, erreichbar über eine knarzige Holztreppe, hatte man zudem einen einzigartigen Blick über die Dächerlandschaft von Kitzbühel vor dem Hintergrund der markanten Kalkgipfel des Wilden Kaisers, dessen schroffe Formationen in reizvollem Kontrast zu den sanften Grasbergen, dem steil aufragenden Hahnenkamm im Westen und dem Kitzbüheler Horn im Osten standen. Was man alles nicht wissen musste, das erklärte eine Tafel oben auf der Dachplattform. Auf der maximal acht Personen Platz fanden. Was kein Problem werden sollte: Mehr befanden sich an diesem altweibersommersonnigen Spätoktobervormittag auch nicht im Museum. Für das Gros der Touristen galt ohnehin, dass man wegen anderer Attraktionen nach Kitzbühel kam, nicht wegen des Stadtmuseums. Wobei … Ausnahmen bestätigten die Regel.

      Für jeden, der sich für Geschichte und Kunst interessierte, war das Museum ein absolutes Muss. Aber ganz ehrlich, wie viele Kitzbühel-Touristen interessierten sich schon für Geschichte und Kunst. Zwar deutlich mehr, als man dachte, aber doch überschaubar viele. Vielleicht bei richtig Schlechtwetter, oder wenn es sonst gerade nichts gab, was einen reizte, und man nicht auch noch den zehnten Cappuccino vor dem Praxmair trinken wollte.

      Manche – wie dieser Tourist mit den nicht zu seinem Körperbau passenden Bermuda-Shorts, dem roten FC-Bayern-München-Käppi und der riesigen Digitalkamera um seinen Hals – kamen nur wegen der Pflastersteine im Erdgeschoss, auf denen die Sponsoren namentlich verewigt worden waren, unter anderem eben auch Franz und Heidi Beckenbauer.

      Kopfschüttelnd sahen ihm Rudi, Beppi, Manni und Frau Obermoser nach.

      Nicht-der-Hinterseer und Karl-Heinz schliefen noch. Rudi, Beppi und Manni wären jetzt auch gern woanders, aber sie hatten den Fehler begangen, zu frühstücken – und waren von ihrer nächtlichen Anhalterin zwangsverpflichtet worden.

      „Vier Erwachsene, bitte“, sagte Frau Obermoser zu der jungen Frau hinter der Empfangstheke und fischte ihren Geldbeutel aus dem Seitenfach der übergroßen Gobelintasche. Bei ihr waren offenbar alle Gepäckstücke XXL. „Für das volle Programm. Und ihr lasst eure Börsen stecken, ich lade euch ein.“

      Rudi, Beppi und Manni trugen dasselbe wie in der Nacht zuvor, Karohemden und Jeans. Ihr Gepäck bestand ja auch nur aus Herrenhandtaschen, in denen sich jeweils gerade mal eine Zahnbürste und eine Wechselunterhose befanden.

      Frau Obermoser hatte aus den unendlichen Weiten ihres Schrankkoffers an diesem Morgen ein türkisfarbenes Wickelkleid gezogen. Aus Jerseystoff, der sich wie eine zweite Haut um ihren Körper schmiegte. Dazu eine korallenrote Holzkugelkette und Pumps, die farbidentisch mit der Kette waren. Und darunter bestimmt Spanx. Oder gar nichts. Jedenfalls zeichnete sich unter dem Stoff nichts ab. Das modische Statement war aber tendenziell ähnlich wie ihr roter Lederoverall. Hatte sie in der Nacht allerdings noch ausgesehen wie eine Senioren-Domina, wirkte sie nun wie eine hochklassige Escort-Prostituierte für Männer mit reiferem Geschmack. Rudi, Manni und Beppi, deren Erfahrung mit richtig alten Frauen sich auf altbackene Familienangehörige und auf Nachbarinnen beschränkte, die wie tüttelige Omas aus einer Nachmittagskindersendung wirkten, reagierten ratlos. Vielleicht hatten die drei auch deswegen klein beigegeben, als Frau Obermoser beim Frühstück sagte: „So, was machen wir jetzt? Ich schlage vor, wir gehen ins Museum.“

      Einer Escort-Domina widerspricht