Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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Teppich stellen, dreimal die Arme heben und dann rufen: »Teppich, erhebe dich!« Ich versuchte das auf dem Kloteppich, aber der flog nicht.

      Am zweiten Adventssonntag gab es Spritzgebäck zum Tee und Spekulatiuskekse mit Windmühlenmuster. Volker durfte die zweite Kerze am Adventskranz anzünden.

      Auf der Matschwiese vorm Wäldchen war Uwe Strack zugange. Durchs Eßzimmerfenster konnten wir sehen, wie er ein Taschentuch in eine Pfütze tauchte, auswrang, wieder eintauchte und wieder auswrang.

      »Ijasses«, sagte Mama, und Papa sagte, es sei kein Wunder, daß ich mich mit diesem ausgemachten Dreckschwein zusammengetan hätte.

      Vor Bonanza war im Fernsehen Weihnachtssingen. Weihnachtlich glänzet der Wald. Freue dich, Christkind kommt bald! Es waren aber noch zwei Wochen bis Weihnachten.

      Am Vogelhäuschen auf der Terrasse hatte Papa einen Meisenring aufgehängt. Die Meisen setzten sich kopfüber dran, pickten sich die Körner raus und flogen weg, wenn man an die Wohnzimmerscheibe klopfte.

      Es hatte geschneit, und wir wollten rodeln. Renate holte ihren Schlitten aus dem Keller. Auf der Straße vorm Haus waren auch andere Kinder mit Schlitten, aber man kriegte keinen Schwung. Der Schnee war nicht glatt genug, und man kam immer an Stellen, wo die Kufen auf der Straße kratzten und der Schlitten stehenblieb, und von hinten kamen welche und schrien: »Bahn frei!«

      Im Garten bauten wir einen Schneemann. Die Kopfkugel mußte Papa draufsetzen. Als Hut kriegte der Schneemann einen Persilkarton auf.

      Wir warten aufs Christkind konnten wir nicht bis zum Ende kucken, weil Mama im Wohnzimmer den Weihnachtsbaum schmücken wollte.

      Alle paar Minuten riefen wir von oben runter: »Dürfen wir jetzt kommen?« Aber wir durften noch nicht. »Ihr macht einen ja ganz hibbelig!«

      Dann sagte Mama, daß der Weihnachtsmann gleich kommen werde, und wir sollten in Renates Zimmer gehen. Da war die Jalousie runtergelassen. Wenn wir auch nur einen Mucks machten, würde der Weihnachtsmann wieder weggehen, ohne Geschenke dazulassen.

      Wiebke nuckelte am Daumen. Volker linste durchs Schlüsselloch auf den Flur.

      Dann kam jemand an die Haustür gestapft und klingelte. Wir hörten, wie Mama aufmachte und sagte: »Guten Abend, lieber Weihnachtsmann! Hast du uns auch was mitgebracht?«

      »Ja, viele Geschenke«, sagte der Weihnachtsmann. »Aber sind die Kinder denn auch brav und artig gewesen?«

      »Meistens schon, lieber Weihnachtsmann«, sagte Mama.

      »Na gut«, sagte der Weihnachtsmann. »Dann sollen sie auch ein paar Geschenke bekommen.«

      Der Weihnachtsmann kam rein, und ich wollte auch mal durchs Schlüsselloch kucken, aber Volker ließ mich nicht. Wir hörten, wie der Weihnachtsmann über die Flurtreppe nach unten ins Wohnzimmer ging, und als er wieder raufkam, sagte Mama: »Vielen Dank, lieber Weihnachtsmann! Auf Wiedersehen!«

      Volker und ich trommelten an die Tür und wollten raus, aber Mama sagte, wir sollten uns noch einen Moment gedulden.

      Als wir rausdurften, mußte ich erst noch aufs Klo. Im Treppenhaus war das Licht aus, und im Wohnzimmertürspalt war helles Kerzenlicht zu sehen.

      An der Wohnzimmergardine hing ein großer Weihnachtsstern aus Buntpapier. Die redlichen Hirten stehn betend davor.

      Ich kriegte einen G.I.-Joe mit Uniform und Stiefeln, bei dem man die Arme und die Beine bewegen konnte, ein Bilderbuch, Eßbesteck mit Pluto, Micky Maus und Donald auf den Griffen, eine Pudelmütze, einen Pullover, schwarze Gummistiefel und fünf Mark von Tante Dagmar.

      Die Paranüsse kriegte nicht mal Papa mit dem Nußknacker auf. Es lag auch eine Apfelsine im bunten Teller, in dünnes Papier verpackt.

      Auch Volker hatte einen G.I.-Joe gekriegt. An der Backe hatte er die gleiche Narbe wie meiner. Dazu hatte Volker noch einen Taucheranzug mit Taucherhelm für seinen G.I.-Joe gekriegt, eine Armbanduhr, einen Colt, einen Sheriffstern, Skistiefel, ein Quartett und von Tante Jutta ein Buch über einen Jungen, der ein Eichhörnchen hat.

      Renate hatte vom Weihnachtsmann einen neuen Faltenrock, eine Kittelschürze, einen weißen Pulli, ein dunkelblaues Stirnband und einen Fotoapparat gekriegt und Wiebke eine Schippe und einen Puppenwagen. Renate holte ihre Barbiepuppe, damit Wiebke die G.I.-Joes und die Barbiepuppe zusammen im Puppenwagen spazierenfahren konnte, aber ich wollte meinen G.I.-Joe dafür nicht hergeben und Volker seinen auch nicht.

      Vom Apfelsinenpellen hatte ich weiße Pelle unter den Nägeln. Die braunen Haribos, die ich nicht mochte, konnte ich bei Volker tauschen. Haribo macht Kinder froh.

      Unter Papas Aufsicht durften wir die Weihnachtsbaumkerzen auspusten. Für Notfälle stand ein Eimer Wasser hinterm Baum.

      An den Weihnachtsfeiertagen spielte Wiebke draußen mit ihrer Schippe im Schnee. Viel war nicht mehr da. Unser Schneemann war kleiner und ganz schief geworden, und der Persilkarton war ihm vom Kopf gefallen.

      Papa bastelte im Keller ein großes Segelflugzeug aus Holz. Die Flügel bestrich er mit Spannlack. Renate mußte helfen und wurde oft angeschnauzt.

      Mit dem Flugzeug fuhren wir im VW auf die Schmidtenhöhe, um es fliegen zu lassen. Papa suchte eine Stelle, wo der Wind blies, hob das Flugzeug an einer Hand hoch über den Kopf, holte Anlauf und warf es in den Wind.

      Das Flugzeug segelte über einen Hügel. Wir liefen hinterher, aber das Flugzeug war nicht mehr zu sehen. Wir suchten den Waldrand ab, und wir fragten auch andere Leute, ob sie unser Segelflugzeug gesehen hätten, aber das war weg.

      Am nächsten Tag fuhren wir wieder hin, aber das Flugzeug konnten wir nicht mehr finden. Das sei vermutlich schon in der Erdumlaufbahn, sagte Papa.

      Mit dem Geld von Tante Dagmar lief ich zum Spielzeuggeschäft im Ladenviertel, um mir eine Cowboyfigur zu kaufen, aber die Frau, der das Spielzeuggeschäft gehörte, schloß gerade die Ladentür ab. »Morgen ist auch noch ein Tag«, sagte die Frau.

      Bei der doofen Kuh wollte ich nie wieder was kaufen.

      Oben wackelte ein Milchzahn. Ich konnte ihn mit der Zunge nach vorne und nach hinten drücken, und beim Teetrinken fiel er mir raus. Ausgefallene Zähne mußte man auf die Fensterbank legen, dann kam über Nacht das Mäuschen, nahm den Zahn mit und ließ Süßigkeiten da.

      Mir brachte das Mäuschen eine Tüte Karamelbonbons. Ich wollte alle auf einmal essen, aber sie pappten mir im Mund zusammen, und ich kriegte keine Luft mehr. Auch die Seitenzähne klebten zusammen. Mama ging mit mir zum Klo und sagte, ich soll durch die Nase atmen.

      Mit den Fingern holte Mama mir die Bonbons aus dem Mund. Ich mußte weinen. Als ich wieder durch den Mund atmen konnte, klebte mir noch immer was von den Bonbons an den Zähnen, und mein Mund war innen oben ganz rauh geworden.

      Die Bonbons schwammen im Klowasser, und Mama spülte sie weg. »Das hast du nun davon, du Gierschlund!«

      Nach Silvester pflanzte Papa den Weihnachtsbaum in den Garten. Es war kalt draußen, aber als der Polsterer kam, der die Sessel im Wohnzimmer neu beziehen sollte, wollte Mama, daß die Terrassentür offenblieb, weil der Polsterer so nach Schweiß stank. An dem grauen Pepitamuster hatte Mama sich satt gesehen.

      Papa half dem Polsterer beim Beziehen. Der Stoff mußte an den Sesseln strammgezogen und dann hinten und unten festgetackert werden, wobei Papa die Zunge im Mundwinkel hatte.

      Ich ging mit Uwe auf die Schmidtenhöhe. Wir suchten das Flugzeug. Es mußte ja noch dasein. Oder jemand hatte es gestohlen. Oder es war immer weitergeflogen, bis Amerika oder bis zum Mond.

      Das Flugzeug konnten wir nicht finden. Dafür ging mir auf der Schmidtenhöhe mein Schal verloren. Als ich wiederkam, sagte Mama, daß der Schal ganz teuer gewesen sei. Ich sollte ihn gleich am nächsten Morgen suchen gehen.

      Volker kam mit. Er nahm auch seinen Colt mit. Im Haus durfte er damit nicht knallen. Kalli hatte Volker einen roten Munitionsring geschenkt, der noch für drei Schüsse