Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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auf einem Weg im Wäldchen. Dann kamen Leute, die sahen, daß ich nackig war, und ich mußte mich verstecken.

      Mama hatte neue Batterien gekauft, und die grüne Taschenlampe ging wieder. Damit wollten Volker und ich zum Bunker vor der Müllkippe. Die Taschenlampe mußten wir aus der Küchenschublade holen. Volker machte das, als Mama telefonierte.

      Im Bunker war es kühl. Es ging steil runter, und dann kam eine Stahltür, die zu war, und es roch nach Pisse. Vor dem Schlüsselloch hing ein Scheibchen, das man zur Seite schieben konnte. Wir leuchteten durchs Schlüsselloch. Sehen konnte man nichts.

      Neben dem Weg, wo ich Volker und Kalli nachgeschlichen war, wuchsen kleine Erdbeeren, aber ich aß lieber keine, weil ich nicht wußte, ob die giftig waren.

      Zwischen den Bäumen stand ein Zelt. Vorne war es offen, und innen lagen Decken. Ich kroch in das Zelt und fand einen blauen Kugelschreiber, bei dem man die Mine rausknipsen konnte. Den nahm ich mit.

      Mama sagte, daß irgendwelche Halbstarken einen von den Müllcontainern vor dem Haus die Straße hochgezogen und dann runterrollen gelassen hätten. Der Container sei unten gegen ein Auto gedonnert, und die Eltern müßten jetzt den Schaden bezahlen. Wenn mich jemals einer auffordere, bei solchen dummen Streichen mitzumachen, dann solle ich den einfach stehenlassen und weggehen. »Versprich mir das in die Hand!«

      Sonst würde ich mein blaues Wunder erleben.

      Mit dem Kugelschreiber pauste ich für Wiebke zum Geburtstag ein Bild ab. Reinhold, das Nashorn. Das war jede Woche im Stern. Das Pauspapier hatte Mama mir gegeben.

      Renate wollte auch ein Bild für Wiebke malen. Dafür sollte ich eine Laterne hochklettern. Als ich oben war, stand Renate unten und malte mich ab. Ich mußte ganz lange oben bleiben und winken. Hinterher fand ich aber, daß Renate meine Segelohren zu groß gemalt hatte.

      Zum Geburtstag kriegte Wiebke Lakritze, ein Dreirad, einen gelben Ball mit bunten Punkten und einen weißen Stoffhasen mit goldenen Schellen an den Pfoten. Am Rücken hatte der Hase eine Schraube. Wenn man die drehte, klapperte er mit den Schellen.

      Mama sagte, daß Wiebkes Ball für mich tabu sei. Als ob ich freiwillig der ihren Babyball angefaßt hätte.

      Dann starb Waldi. Das sei der Lauf der Dinge, sagte Kalli. Waldi sei eben schon alt gewesen, aber man konnte sehen, daß Kalli geheult hatte.

      Waldi wurde im Wald begraben, an einem Platz, wo man nicht so leicht hinkam. Man mußte erst weit hoch, und dann mußte man noch zwischen den Tannen durchgehen.

      Bei Waldis Beerdigung waren Kallis Vater, Kalli, Volker und ich dabei. Kalli hatte den Spaten getragen und Kallis Vater den toten Waldi in einer Plastiktüte. Mit dem Spaten grub Kallis Vater ein Loch für Waldi. Als Kallis Vater Waldi in das Loch gelegt hatte und das Loch zuschippte, mußte Kalli wieder heulen. Volker heulte auch. Ich heulte schon fast die ganze Zeit.

      Auf dem Rückweg sagte Kallis Vater zu Kalli, daß zuhause eine Überraschung auf ihn warte. Volker und ich durften mitkommen. Die Überraschung war ein neuer Dackel, der Ina hieß.

      Jetzt sei das Rudel wieder komplett, sagte Kalli, und Kallis Mutter gab uns Cola zu trinken.

      Volker und ich fragten Mama, ob wir nicht doch einen Dackel haben könnten, aber Mama war immer noch strikt dagegen. Eine Töle komme ihr nicht ins Haus. Ende der Diskussion.

      Volker fragte mich, ob ich Lust zu einer Wanderung hätte. Wir kriegten Äpfel und Schnitten mit, damit wir nicht schon mittags wieder umkehren mußten.

      Bei der Wanderung kamen wir zu einem Bahndamm, wo Volker sein Ohr auf die Schienen legte, um zu horchen, ob ein Zug kommt. Ich horchte auch, aber dann kam ein wütender Mann, der schrie, daß wir uns verziehen sollten, und wir liefen weg.

      Auf dem Rückweg kamen wir an einem Fluß vorbei und fanden einen glipschigen toten Fisch am Ufer. »Der hat das Zeitliche gesegnet«, sagte Volker.

      Mit Uwe vertrug ich mich wieder. Er sagte, daß er ehrlich nicht gelogen habe mit der Höhle. Heinz und Kurt hätten die von alleine gefunden. Zur Rache sei er dann aber zusammen mit seinem Vater zu der Höhle gegangen, um sie einzutrampeln, und die Pistole hätten sie weggeschmissen, weil die zur Hälfte noch meine gewesen war.

      Wir wollten jetzt für immer Freunde bleiben. Wenn man sich stritt, hatte man keine Höhle und keine Pistole mehr.

      Ich wollte Uwe Waldis Grab zeigen. Als wir ankamen, schwirrten da Tausende von Fliegen rum. Irgendeiner hatte Waldi wieder ausgebuddelt und die Leiche neben das Grab gelegt.

      Waldi war ganz grau geworden. In den Augenhöhlen ringelten sich Würmer, und überall saßen Fliegen.

      Wir standen da und starrten Waldi an. Die Würmer waren weiß und wimmelten übereinander weg. Das mußte jemand gemacht haben, der was gegen Waldi hatte oder gegen Kalli oder gegen Kallis Vater. Ein Drecksack, der gewußt hatte, wo Waldi begraben lag.

      Uwe sagte, wir sollten Hilfe holen, und wir rannten durch den Wald nach unten und klingelten bei Kasimirs. Kalli war mit Volker im Wäldchen, aber Kallis Vater kam sofort mit. Wir liefen ins Wäldchen, um Kalli und Volker zu alarmieren.

      Dann gingen wir zu Waldis Grab hoch, und da war immer noch alles mit Fliegen voll. Kalli sagte, wenn er die Sau erwischt, die das getan hat, macht er sie kalt.

      Kallis Vater grub Waldi wieder ein. Volker sagte, er habe schon einen Verdacht, wer das gewesen sei, und zeigte mit dem Daumen auf Uwe und mich.

      Das war gemein, und ich ging auf Volker los, aber Kallis Vater sagte, wir sollten nicht verrückt spielen. Das habe einer ohne Grütze im Kopf gemacht, irgendein Dummkopf halt, und wir sollten uns nicht weiter streiten.

      Uwe und ich überlegten noch lange, was wir mit dem Scheißer tun würden, der Waldi wieder ausgebuddelt hatte. Uwe war dafür, den Kerl gefesselt in die Schlucht zu stoßen und dann unten verhungern zu lassen. Ich hätte gewollt, daß er rotglühende Schuhe angekriegt hätte wie in Grimms Märchen oder einen Kessel voll Pech über den Kopf.

      Gut war es, ins Wohnzimmer zu schleichen, wenn die anderen schon frühstückten, und plötzlich um die Ecke zu springen und alle zu erschrecken.

      »Mann Gottes!« rief Mama dann, wenn es geklappt hatte, und faßte sich ans Herz.

      Im Kriechkeller fand Papa eine tote Katze, die ganz ausgedörrt war und sensationell stank. Wie die da wohl reingekommen war. Verhungert und verdurstet.

      Papa begrub die Katze neben dem Komposthaufen. Überall waren jetzt Katzen und Hunde begraben, Waldi im Wald und die Katze im Garten.

      Als ich wieder mit Uwe auf der Müllkippe war, hielten uns Große an, die uns nicht durchlassen wollten. Wir sollten unser Taschengeld hergeben. »Entweder oder!« sagte einer von den Großen. »Entweder«, sagte Uwe, und da fingen die Großen an zu lachen und ließen uns laufen.

      Weil ich wieder mit zerrissener Hose angekommen war, sagte Mama, sie habe den Kanal voll, jetzt werde eine Lederhose gekauft.

      Ich lief die Treppe hoch und warf mich heulend aufs Bett.

      Dann pulte ich an der Kruste von der Wunde, die ich am Schienbein hatte.

      Volker mußte eine Zahnspange tragen. Es zischelte, wenn er beim Sprechen die Spange drinhatte. Abends kam sie in eine rote Plastikschachtel.

      Papa schichtete den Komposthaufen um.

      Ich übte Klimmzüge an der Querstange vom Schaukelgestell. »Unser kleiner Kraftmeier.«

      Mama und Papa wollten mit Renate und Wiebke nach Spanien fahren. Volker durfte mit Kasimirs nach Italien, und ich sollte nach Bruchköbel zu Onkel Dietrich und Tante Jutta.

      Onkel Dietrich holte mich mit dem Auto ab. Erst hatte ich mich noch auf Bruchköbel gefreut. Dann wollte ich doch lieber nach Spanien mitkommen, aber da war es schon zu spät.

      Die Wohnung von Onkel Dietrich war in einem Hochhaus,