Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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in der Tüte, und oben kuckte ein großes blaues Auto raus.

      Ich mußte meine blaue Bobbyjacke anziehen, die mir schon fast zu eng war. Dann fuhren wir zum Schulgottesdienst in der Hoffnungskirche.

      Man mußte aufstehen und beten und sich wieder hinsetzen. Eine Frau hielt allen Leuten einen Beutel am Stiel hin, und die Leute sollten Geld reinwerfen. Mama gab mir einen Groschen, damit ich auch was in den Beutel werfen konnte.

      Jetzt war ich Erstkläßler. Mama brachte mich zu einem Zimmer in der Schule, wo auch die anderen Erstkläßler hingebracht wurden, und ich suchte mir einen Platz am Fenster aus.

      Neben mir setzte sich ein dünner Junge mit Brille hin.

      Vorne war das Pult mit einer großen Blumenvase. Da stand auch eine dicke Frau. Das war Frau Kahlfuß, die Lehrerin.

      An unserem ersten Schultag müßten wir noch nicht soviel tun, sagte Frau Kahlfuß. Aber wer seinen Vornamen schon schreiben konnte, sollte den auf die Schiefertafel schreiben.

      Frau Kahlfuß ging auf und ab und kuckte sich die Namen auf den Tafeln an. Der Junge neben mir hieß Dieter Aulich.

      Das hätten wir sehr schön gemacht, sagte Frau Kahlfuß, und dann war der erste Schultag zuende.

      Das blaue Rennauto durfte ich für mich alleine behalten, aber von den Süßigkeiten mußte ich Wiebke welche abgeben, weil sie quakig wurde, als sie mich die alle fressen sah.

      Am zweiten Schultag sollte Volker mich zur Schule mitnehmen. Wir gingen am Hochhaus vorbei und dann über die Straße, wo wir aufpassen und nach beiden Seiten kucken mußten. Dann kam die Ampelkreuzung. Wenn das grüne Männchen kam, durften wir gehen.

      Eigentlich sollte Volker mich bis zur Schule an der Hand halten, aber er wollte, daß ich hinter ihm und Kalli herging, damit keiner von seinen Schulfreunden merkte, daß ich dazugehörte.

      Auf der anderen Straßenseite war die Kaserne. Da gingen wir vorbei und über eine Wiese und noch eine Straße runter, und dann sah man schon die Schule. »Ab hier brauchen wir dir ja wohl nicht mehr zu helfen«, sagte Volker, und Kalli zwinkerte mir zu.

      Frau Kahlfuß zeigte uns, wie wir uns morgens auf dem Schulhof hinstellen mußten. Wir sollten immer zu zweit in einer Reihe stehen und warten, bis wir abgeholt werden. So sollten wir das auch nach der großen Pause machen, wenn es geschellt hatte.

      Dann führte uns Frau Kahlfuß zum Klassenzimmer. Die Jacken mußten wir im Flur an die Haken hängen. Ich setzte mich wieder neben Dieter Aulich an die Bank am Fenster.

      Es waren auch Mädchen in der Klasse. Eins war ganz lang. Ein anderes weinte, weil es seine Tafel vergessen hatte.

      Ich hatte alles dabei, die Tafel, die Kreide, den Lappen, die Turnsachen und die Fibel. Frau Kahlfuß brachte uns ein Lied mit Kuckuck und Esel bei. Wer wohl am besten sänge zur schönen Maienzeit!

      Zum Turnen mußten wir wieder in zwei Reihen hinter Frau Kahlfuß hergehen. In der Turnhalle hingen Seile von der Decke. Frau Kahlfuß brachte uns Brücke und Kerze bei.

      Nach dem Turnen war Pause. Von den Jungen spielten welche Fangen. Mama hatte mir für die Pause ein Leberwurstbrot geschmiert. Dieter Aulich hatte ein Käsebrot, und wir tauschten, weil ich Leberwurst nicht mochte und Dieter keinen Käse. Wir wollten jetzt immer tauschen.

      Vorne auf der Fibel waren ein Mädchen und ein Junge, die mit Ranzen auf zur Schule gingen. Der Junge hatte eine Brezel in der Hand.

      Wir sollten die erste Seite aufschlagen. Da war ein Junge, der eine Sonne und einen Osterhasen und Küken malte. Der Junge hieß Hans. Frau Kahlfuß schrieb den Namen von dem Jungen an die Tafel, und wir sollten versuchen, den Namen abzuschreiben.

      Dieter Aulich und ich waren früher damit fertig als die anderen in der Klasse. Ich mußte aber nochmal neu anfangen, weil ich mit links geschrieben hatte. Mit rechts dauerte es viel länger.

      Dieter Aulich und ich hatten denselben Schulweg, und wir gingen zusammen. Geschwister hatte Dieter keine. Seine Eltern wohnten weiter unten auf der Horchheimer Höhe, beim Spielplatz. Dieter sagte, daß er einen Kaufmannsladen habe.

      Sechs Wörter konnte ich schon schreiben: Hans, Suse, Rolf, Sonne, Brot und Kasper. Renate brachte mir noch andere Wörter bei: Igel und Maus.

      Auf einem Bild in der Fibel war Hänschen, der in die Welt hineinging, während die Mutter am Haus stand und weinte, und auf einem anderen Bild begoß Kasper den Teufel mit Tinte und jagte ihn dann in einen glühenden Ofen rein.

      Uwe wollte wissen, wie es in der Schule sei und ob ich neue Freunde hätte. Ich erzählte ihm von Dieter Aulich und dessen Kaufmannsladen, und Uwe sagte, da sollten wir mal zusammen hingehen.

      In Dieters Kaufmannsladen lagen die Schachteln mit den Zuckerpillen in einem Regal, vor dem ein Vorhang war. Dieter erlaubte uns, dahinterzukucken, aber er sagte, wir sollten die Schachteln zulassen. Hinter dem Vorhang machten Uwe und ich die Schachteln trotzdem auf und aßen sie leer.

      Dieter hatte auch Zinnsoldaten und ein Schaukelpferd, und er mußte nichts, was er hatte, mit Geschwistern teilen.

      Als wir alles aufgegessen hatten, gingen wir weg.

      In der Schule wollte Dieter Aulich sein Pausenbrot nicht mehr mit mir tauschen. Es gab aber sowieso bessere Jungen in der Klasse. Ingo Trinklein zum Beispiel, weil der mich beim Fangen mitspielen ließ, selbst wenn ich meine Kniebundlederhose anhatte. Die anderen waren dagegen gewesen, aber Ingo Trinklein hatte gesagt, daß die Hose egal ist, wenn einer gut rennen kann.

      Ingo Trinklein wohnte in einem von den Häusern an der Straße vor der Schlucht. Jetzt ging ich immer mit Ingo Trinklein zusammen nachhause, und morgens kam er mich abholen.

      Auf einer Seite in der Fibel waren Rolf und Lotte im Stockgeschäft. Da kostete ein Stock zwei Mark. Die Stöcke hingen hinter der Verkäuferin im Regal.

      Daneben war ein Bild aus dem Schlachterladen. Der Schlachter hatte eine Glatze. Hans, Wurst, Hut, Stock, Hase, Rabe, Reh.

      Baum, Bach, Fisch.

      An einem Tag kam Ingo Trinklein mich nicht abholen, und ich ging alleine zur Schule. Ich dachte, wir hätten Turnen, aber die Turnhalle war leer. Ich war eine Stunde zu früh gekommen und mußte heulen.

      Da kam Frau Kahlfuß. Sie nahm mich in den Arm und sagte: »Das macht doch nichts, wenn man zu früh zur Schule kommt!«

      Die hatte gut reden.

      Wir mußten auch rechnen. Zwei und fünf oder vier weniger drei. Das konnte Nulfi am allerbesten. Nulfi hieß eigentlich Arnulf, aber alle sagten Nulfi.

      Einem Jungen in der Klasse lief immer Spucke aus dem Mund, wenn er was sagte. Bernhard hieß der.

      Ich schrieb lieber, auch mit rechts. Kasper, Kuchen, Kerze, Ranzen. Kinder: la la la. Kasper: lo lo lo. Lehrer: o o o. Teufel: hu hu hu. Kasper: ho ho ho. Kinder: ha ha ha. Hans: o weh o weh.

      Der Teufel spielte auch mit, als in der Schule ein Kaspertheater war. Der Kasper sah anders aus als unserer. Bei dem hier war die Nase viel dicker, und er hatte eine Klingel an der Mütze. »Tri, tra, trullala«, schrie der Kasper. Dann stritt sich der Teufel mit dem Krokodil, und dann kam Kasper wieder, um die beiden zu verhauen. Er wollte wissen, wen er kräftiger verhauen soll, den Teufel oder das Krokodil. Ich war für den Teufel, aber es gab auch welche, die für das Krokodil waren. Zuletzt verhauten sich das Krokodil und der Teufel gegenseitig.

      Mit unseren Kasperpuppen wollte ich für Wiebke alles nachspielen, aber das ging nicht, weil sie immer selber anfing, das Krokodil und den Teufel zu verhauen. Die kapierte nicht, daß das nur Puppen waren.

      An einem Sonntag machten wir mit der ganzen Familie einen Spaziergang. Wir gingen einen Weg lang, den ich noch nicht kannte, und kamen am anderen Ende von der Müllkippe vorbei, wo Hagebuttensträucher wuchsen. Papa sagte, daß man Hagebutten essen kann, mit Zucker, und ich pflückte mir welche.

      Mama