Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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mußte ich den schwarzen Stift anspitzen, weil bei dem immer die Mine abbrach, auch im Anspitzer.

      Im Wäldchen schossen Uwe und ich mit dem Fußball rum, bis er ein Loch hatte und die Luft verlor. Mama sagte, das sehe mir ähnlich, meine Geschenke gleich zu zerdeppern. Ich würde wohl glauben, wir hätten es dicke!

      Tante Dagmar wollte zu Besuch kommen, und ich räumte die Spielzeugkiste auf, als Überraschung für Tante Dagmar. Auf der einen Seite stapelte ich Cowboys, Indianer, Mainzelmännchen, Spielzeugtiere und die grünen Schienen, die zu Volkers Metallbaukasten gehörten, und auf der anderen Seite Autos, Legosteine, Puppensachen und den Rest, aber die Stapel fielen immer um.

      Bei dem einen Mainzelmännchen war der Kapuzenzipfel zerkaut.

      »Ob die Spielzeugkiste aufgeräumt ist oder nicht, ist Tante Dagmar piepe«, sagte Renate.

      Auf dem Spielplatz hinterm Ladenviertel zeigte ich Tante Dagmar, wie ich an den Gerüsten klettern konnte.

      Andrea war nicht da.

      Renate war ins Nähzimmer umgezogen, und Tante Dagmar schlief in Renates Zimmer. Morgens kuckte ich rein. Tante Dagmar war schon wach, und sie hob ihre Decke hoch, damit ich zu ihr ins warme Bett springen konnte. Tante Dagmar hatte ein Nachthemd an.

      Ob ich mich auf die Schule freute, wollte sie wissen. Renate, Volker und Kalli gingen schon zur Schule, und ich wollte auch endlich hin.

      In der Sesselbahn bei Boppard durfte ich neben Tante Dagmar sitzen. Oben war mir heiß, und sie trug meine Jacke für mich. Zu Volker sagte ich, er soll seine Jacke Tante Dagmar geben, die trage alles, was wir ihr geben würden, aber Tante Dagmar hatte das gehört, und da mußte ich meine Jacke wieder selber tragen.

      Mit einem Fernrohr, das vorne am Zaun stand, hätte man die Schiffe auf dem Rhein in Augenschein nehmen können, aber das Fernrohr ging nur, wenn man Geld reinsteckte. Große Pötte und kleinere, die weiter am Rand fuhren.

      Am Kiosk gab es Weingläser, Wappen und Schlüsselanhänger zu kaufen und ein Fahrtenmesser mit Lederhülle zum Anschnallen. Die Schaukel war besetzt und die Wippe auch.

      Mama und Tante Dagmar tranken Kaffee. Tante Dagmar schuldete Mama noch fünf Mark, aber Mama wollte die fünf Mark nicht haben. Sie schoben das Fünfmarkstück immer auf dem Tisch hin und her. Das Fahrtenmesser im Kiosk kostete genau fünf Mark, und ich sagte, ich würde das Fünfmarkstück nehmen, wenn es über sei, aber das durfte ich nicht.

      Wie blöd. Wenn alle beide die fünf Mark nicht haben wollten, hätte ich mir dafür doch gut das Fahrtenmesser kaufen können?

      Die Zähne putzte Tante Dagmar sich mit Blendamed, also hatte sie wohl Zahnfleischbluten, aber als ich sie fragte, sagte sie: »Du hast wohl ’n Vogel.«

      Auf der Schlüsselblumenwiese standen am nächsten Tag zwei Jungen, die Uwe und mich fragten, ob wir eine Höhle haben wollten. Die Jungen waren größer als wir, und wir sagten, wir hätten schon eine Höhle, aber die Jungen sagten, daß ihre besser sei als unsere. Wir könnten ja mal reinkriechen.

      Zuerst wollten wir nicht, weil wir dachten, die wollten uns eine Falle stellen. Die Höhle war am oberen Ende der Schlüsselblumenwiese. Vorne war ein Loch, dann kam ein Kriechgang, und dann kam eine Stelle, wo man sitzen und durch ein Loch rauskucken konnte. Von außen war die Höhle gut getarnt. Obendrauf wuchs Gras, und daß da eine Höhle war, sah man vom Weg aus nur, wenn man’s wußte.

      Die Jungen hatten sie selbst gebuddelt, aber jetzt brauchten sie die Höhle nicht mehr, weil sie von der Horchheimer Höhe wegzogen, und sie wollten uns die Höhle schenken.

      Die Höhle war wirklich besser als unsere alte. Die neue Höhle war so gut, daß wir sie geheimhalten wollten, auch vor unseren Brüdern.

      Einmal kam Kallis Vater mit, als Kalli, Volker, Uwe und ich in den Wald gingen. Waldi war angeleint.

      In einem Baum entdeckte Kallis Vater ein Elsternnest. Elstern seien diebisch, sagte Kallis Vater. Die seien verrückt nach allem, was glänze, schimmere und blinke, und würden auch Münzen oder Schmuckstücke von Fensterbänken stehlen. In dem Nest könnten alle möglichen Wertsachen liegen.

      Kalli spuckte sich in die Hände und kletterte den Baum hoch, obwohl der Stamm nicht gut zum Klettern war. Die Äste waren dünn und pieksig, und Kalli hatte eine kurze Hose an, so daß er sich beide Beine aufscheuerte. Kallis Vater gab Volker Waldis Leine und stellte sich so hin, daß er Kalli auffangen konnte, falls Kalli runterfiel.

      Kalli klammerte sich mit beiden Beinen und beiden Armen an den Baumstamm und kam nur langsam voran. Irgendwann konnte er dann mit der Hand in das Nest fassen. Da sei nichts drin, rief Kalli.

      Als er wieder unten war, hatte er blutige Beine, aber er grinste und sagte, daß das Klettern kinderleicht gewesen sei.

      Im Wald fanden Uwe und ich ein Stück Holz, das genau wie eine Pistole aussah. Griff, Lauf, Kimme, Trommel und Abzug. Wir verzogen uns damit in unsere neue Höhle und zielten nach draußen.

      Die Pistole sollte uns abwechselnd gehören. Erst mir, dann Uwe, dann wieder mir und so weiter. Ich zeigte sie Papa, der große Knopplöcher machte und sagte, daß ihm sowas noch nicht untergekommen sei.

      Als wir wieder zu unserer Höhle gingen, waren da schon Heinz und Kurt drin. Jetzt mußten wir die Höhle mit denen teilen. Uwe sagte, daß er keinem was von unserer Höhle verraten habe, aber früher waren Heinz und Kurt nie so weit oben im Wald gewesen. Ich sagte zu Uwe, daß er ein Lügner sei. Da ging Uwe auf mich los, und wir prügelten uns. Heinz und Kurt halfen Uwe, sonst hätte ich bestimmt gewonnen. Als Heinz die Brille vom Kopf flog, fing er an zu heulen und rannte nachhause.

      Ich blutete aus der Nase und wollte auch nachhause. Mit Uwe wollte ich nie wieder spielen. Der hatte erst unsere Höhle verraten, dann gelogen und dann noch mit drei gegen einen gekämpft.

      Als ich wegging, rief er mir nach, ich sei ein Arschloch mit Scheiße dran. Ich rief zurück, das sei er selber, und ich würde ihm noch was auf die Schnauze hauen.

      Doof war, daß ich Uwe vor dem Streit die Pistole gegeben hatte. Sonst hätte ich die jetzt für mich behalten können.

      Ich würde mir einen anderen Freund suchen, der nicht so ein Lügner war wie Uwe. Einen, der zwei Pistolen hatte und mir eine abgab. Dann würden mein neuer Freund und ich mit den Pistolen zum Duell in den Garten gehen, und Uwe würde sehen, daß unsere Pistolen die besseren wären, und mein neuer Freund und ich würden ihm sagen, daß er uns am Arsch lecken kann.

      Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.

      Die Häschenschule hatte ich schon so oft vorgelesen gekriegt, daß ich sie auswendig konnte. Die Nase putzte sich der Hasenjunge mit einem Kohlblatt, bevor er zur Schule ging, die im Wald war. Auf dem Rücken sitzt das Ränzchen, hinten wippt das Hasenschwänzchen.

      Der Lehrer legte seinen dicken Bauch auf die Schulbank, und die Hasenjungen lernten Eiermalen, Pflanzengießen und Hakenschlagen, aber sie wurden auch am Ohr gezogen, wenn sie unartig gewesen waren. Aufpassen mußten sie vor dem bösen Fuchs, der sie fressen wollte. Der Fuchs war im Gebüsch versteckt und hatte scharfe Zähne.

      Wenn ich in der Schule wäre und jemand würde sagen: »Da haben wir den Salat«, dann würde ich zu dem sagen: »Wo ist der Salat denn? Ich will ihn aufessen.«

      Abends im Bett fragte ich Volker, ob er wissen wollte, was ich zu einem in der Schule sagen würde, der gesagt hätte: »Da haben wir den Salat«, aber Volker sagte: »Weiß ich nicht, will ich auch nicht wissen. Halt die Klappe.«

      Volker war schon im dritten Schuljahr, aber er wollte mir nie verraten, wie es in der Schule war. Er tat immer so, als ob es da ganz langweilig wäre. Früher war Volker gleich nach dem Aufwachen aufgestanden, aber seit er zur Schule ging, blieb er morgens immer so lange wie möglich liegen.

      So wollte ich auch mal werden. Zur Schule gehen dürfen, aber die Augen verdrehen, wenn einer wissen will, wie’s da ist. Zu Wiebke würde ich dann auch bloß sagen: »Halt