Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


Скачать книгу

klebenblieben.

      Volker wollte Brennesseln essen. Das konnte man, wenn man die Brennesseln eingeweicht hatte. Zum Abrupfen zog Volker sich Winterhandschuhe an. Dann steckte er die Brennesseln zusammengeknüllt in ein Einmachglas mit Zuckerwasser. »Abwarten und Tee trinken«, sagte Volker.

      Renate kriegte einen Brief, in dem stand, daß sie was gewonnen hatte. Der Brief war vom Kaufhof. Da hatte Renate bei einem Preisausschreiben mitgemacht.

      Den Gewinn mußte Renate in Koblenz abholen. Sie fuhr mit dem Bus hin, und als sie wiederkam, brachte sie ein Puzzle mit. Sie hätte auch ein Fahrrad gewinnen können oder Schlittschuhe, die da als Gewinne gestanden hätten, sagte Renate, aber sie hatte nur das Puzzle gekriegt.

      Das Puzzle hatte auch wieder tausend Teile. Auf dem Deckel konnte man Frauen mit orangen Regenschirmen auf einem Waldweg sehen. Das seien Japanerinnen, sagte Renate, und die Regenschirme seien Sonnenschirme. Die Japanerinnen waren unten ganz klein auf dem Bild. Der Rest war voll mit Blättern. Die Teile sahen fast alle genau gleich aus, und es dauerte ewig, bis man zwei gefunden hatte, die zusammenpaßten. Volker nahm sich immer nur ein einzelnes Teil und suchte dann auf dem Deckel, wo es hingehörte. Ich suchte die Randteile raus, die an einer Seite gerade waren.

      Als Kasimirs Volker und mich zum Zirkus mitnahmen, mußten wir lange im Auto fahren. Ich saß hinten in der Mitte, Volker links und Kalli rechts am Fenster.

      Der Zirkus war einer mit Seehunden, Pferden, Clowns und Löwen. Die Seehunde konnten Bälle auf der Nase balancieren, und die Pferde hatten bunte Büschel auf dem Kopf und liefen im Kreis, bis ein Mann mit der Peitsche knallte. Dann drehten sich die Pferde um und liefen andersrum.

      Nach den Pferden kamen die Akrobaten. Einer ging oben auf einem Seil lang, ohne runterzufallen, und ich klatschte Beifall, bis mir die Hände wehtaten.

      Dann bauten die Zirkusleute einen Käfig auf, was so lange dauerte, daß ich vor der Raubtiernummer zweimal pinkeln gehen mußte.

      Aus einem Gittertunnel kamen die Löwen raus. Die mußten über einen Balken gehen und über eine Lücke springen.

      Einmal waren morgens auf dem Schulhof schon alle Schlangen abgeholt worden außer unserer. Frau Kahlfuß kam nicht. Wir warteten noch ganz lange. Dann kam der Schuldirektor raus und sagte, daß Frau Kahlfuß krank sei. Wir sollten nachhause gehen.

      Als die anderen weg waren, gingen Ingo Trinklein und ich in die Schule zurück und warfen die Jacken, die vor den Klassenzimmern am Haken hingen, auf den Fußboden, und auf dem Weg vorm Wäldchen nahm Ingo einem Kind den Ball weg. Das Kind heulte so laut, daß seine Mutter aus dem Haus gelaufen kam und uns anschrie, daß wir uns schämen sollten, kleine Kinder zu beklauen, und daß wir den Ball wieder hergeben sollten.

      Ingo schmiß den Ball in eine Pfütze.

      In der Schule brachte uns Frau Kahlfuß das Lied vom schwarzen Peter bei, der im Garten sitzt und didelidelitt singt. Hinter Dieter Aulich und mir saß ein Mädchen, das Osela hieß und immer heiser war. Wie ein Reibeisen. Wenn die was sang oder was sagte, hörte sich das so kratzig an, daß mir die Augen davon tränten.

      Für das Lied sollten wir uns im Kreis aufstellen und alle einzeln eine Strophe aufsagen. Ich wollte nicht, daß die anderen sahen, wie mir die Augen tränten, wenn Osela dran war, aber ich konnte auch nicht weg. Dann schellte es zum Glück, und Osela kam nicht mehr dran.

      Nach der Schule schraubten Ingo und ich bei den Autos an der Straße vor der Kaserne die Tankdeckel ab und warfen sie weg. Weil Benzin gut brannte, wollte Ingo irgendwann auch mal ein Streichholz anzünden und bei einem Auto in den Tank werfen.

      Auf der Horchheimer Höhe wollte jeder der erste sein. Wer als erster beim Hochhaus war, hatte gewonnen. Hinter der Ampelkreuzung raufte ich mich deswegen mit Ingo, der mir in die Hand biß und mich an den Haaren zog, bis ich aufgab. Vor dem Kämpfchen hatte er seinen Ranzen abgenommen. Ich hatte meinen noch auf, und als ich unten lag, drückte mich der Ranzen im Rücken.

      Als Ingo mich freiließ, waren alle anderen schon an uns vorbeigegangen, und wir konnten beide nicht mehr Erster werden.

      Mama sagte, den Namen Osela gebe es nicht. Ursula würde das Mädchen heißen. »Wasch dir mal die Ohren.«

      In dem Spielzeuggeschäft im Ladenviertel wollte Ingo Trinklein eine Pistole klauen. Paul Dickel, Rainer Waletzky und ich gingen nach Schulschluß mit, um durchs Fenster zuzukucken.

      In dem Geschäft drehte Ingo den Ständer mit den Pistolenschachteln und nahm eine davon raus. Die sah er sich an. Dann steckte er die Schachtel in die Jacke und kam raus. Die Verkäuferin hatte nichts gemerkt.

      Wir liefen um die nächste Ecke. Da packte Ingo die Pistole aus und schmiß die Schachtel auf den Weg. Die Pistole war schwarz mit dunkelbraunem Griff. Wir durften sie alle mal halten, und dann verbuddelten wir sie im Sandkasten vorm Hochhaus.

      Wir seien jetzt eine Bande, sagte Ingo, und wir müßten schwören, daß wir niemandem was verraten.

      Zuhause stellte ich meinen Ranzen ab, lief zum Sandkasten zurück und buddelte die Pistole wieder aus.

      Mama stand in der Küche und machte Mittagessen. Ich ging mit der gestohlenen Pistole ins Kinderzimmer hoch und versteckte sie im Schiebeschrank.

      Ingo Trinklein wollte noch eine Pistole klauen. Paul Dickel, Rainer Waletzky und ich gingen wieder mit.

      Die neue Pistole war anders. Der Lauf war länger, und der Griff war weiß. Ingo wollte die neue Pistole neben der alten im Sandkasten vergraben, aber vorher wollte er die alte ausgraben.

      Wir gruben den ganzen Sandkasten um, aber die alte Pistole war weg. »Die hat einer geklaut«, sagte Rainer Waletzky. Wir buddelten und buddelten, aber die Pistole war nicht mehr da. Ingo Trinklein sagte, daß wir die neue Pistole tiefer vergraben müßten als die alte.

      Nach dem Ranzenabstellen lief ich gleich wieder zum Sandkasten, um mir auch die neue Pistole zu holen. Ich war noch mit beiden Händen am Buddeln, als auf der Straßenseite gegenüber ein Fenster aufging und Paul Dickel rüberschrie: »Martin, was machst du da?«

      Ich hatte nicht gewußt, daß der da wohnte, mit freier Sicht auf den Sandkasten.

      »Ich such nach der verlorenen Pistole«, rief ich.

      »Dann ist gut«, rief Paul Dickel und machte das Fenster wieder zu. Ich setzte mich im Sandkasten anders hin, mit dem Rücken zu dem Haus, in dem Paul Dickel wohnte, zog die neue Pistole aus dem Sand und lief nachhause.

      Ich dachte, ich hätte die Pistolen gut genug versteckt, aber Mama fand alle beide, und ich sollte sagen, woher ich die hatte. »Keine faulen Ausreden! Und lüg mich nicht an, sonst passiert was!«

      Als ich mit dem Namen von Ingo Trinklein rausrückte, war Mama schon zufrieden.

      Mama telefonierte mit Ingos Eltern, und dann kamen die Trinkleins alle zu uns ins Wohnzimmer. Mama hatte denen nur gesagt, daß ich alles zugegeben hätte, und nicht, daß ich die Pistolen aus dem Sandkasten genommen hatte.

      Wir saßen im Wohnzimmer. Ingo hatte mir eine Tafel Schokolade mitgebracht. Ich war von Mama gekämmt worden.

      Unsere Eltern schüttelten sich die Hände. Mama hatte Kaffee gekocht.

      »Stell dir doch mal vor«, sagte Ingos Vater zu mir, »jetzt würde jemand kommen und dir deine Lederhose wegnehmen, das würde dir doch auch nicht gefallen.«

      Ich sollte was dazu sagen, und ich sagte, daß ich meine Lederhose nicht leiden mochte. Die könnte mir ruhig jemand wegnehmen, das wär mir ganz egal.

      Mit Bengeln wie Ingo Trinklein und Konsorten solle ich mich gar nicht mehr abgeben, sagte Mama, als wir wieder alleine waren. Das sei ein falscher Fuffziger.

      Ich kriegte eine Woche Hausarrest, genau wie Ingo. Weil wir dann nicht wieder weggekonnt hätten, gingen wir nach der letzten Stunde nicht nachhause.

      Ein Gartenzaun hatte ein Loch, wo wir durchpaßten. In dem Garten war ein Schuppen