Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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Mogli. Der Panther Baghira sollte Mogli zur Menschensiedlung bringen, weil der Tiger Schir Khan Mogli fressen wollte, aber Mogli wollte im Dschungel bleiben. Da waren aber auch die Schlange Kaa und der böse Affenkönig. Am besten war Balu, der Bär. Der schubberte sich mit rausgerissenen Palmen den Rücken, gab Mogli Boxunterricht und hielt Schir Khan am Schwanz fest, aber dann ging Mogli doch in die Menschensiedlung. Ich wäre lieber bei Balu geblieben, wenn ich Mogli gewesen wäre.

      Ein Junge aus der zweiten Klasse war von einem Auto überfahren worden. Der habe nicht nach links und nicht nach rechts gekuckt, sagte Frau Kahlfuß, und jetzt sei er tot, und die Eltern würden sich die Augen aus dem Kopf weinen. Wir sollten bloß immer gut aufpassen!

      Zur Beerdigung mußten wir alle hin. Der Unterricht fiel aus an dem Tag. Es hatte geschneit und gefroren, und auf dem Friedhof hatten die Bäume Eis an den Ästen.

      Der Junge war schon im Himmel. Vor dem Grab, in das der Sarg kam, standen Frauen, die heulten. Frau Kahlfuß ging zwischen uns rum und achtete darauf, daß keiner Faxen machte.

      Nach dem Fernsehkucken malte ich einen Indianer mit zwei lila Federn am Kopf und mit Messer und Speer im Gürtel, auf dem Weg vom Saloon zum Pferd. Volker malte einen Taucher mit Sauerstoffflaschen und Schwimmflossen. Im Fernsehen ließen sich die Taucher immer rückwärts im Sitzen vom Boot ins Wasser purzeln.

      In meinem Zeugnis stand, daß ich einen guten Schulanfang gemacht hätte, aber ich solle mutiger sein und mich lebhafter am Unterricht beteiligen. »Martin kann mehr, als er denkt.«

      Karneval ging ich als Cowboy, genau wie alle anderen Jungen in der Klasse, außer Dieter Aulich, der als König ging, mit einer Krone, die aus Pappe war und an der Klebestelle immer aufsprang.

      Abends wurden auf dem Eßtisch Baupläne ausgerollt, und Papa knipste das Hausmodell.

      Ingo hatte eine Streichholzschachtel aufgetrieben, Welthölzer, und wollte irgendwas in Brand stecken. Wir gingen die Schmidtenhöhe hoch. An der einen Seite war ein schneebedecktes Feld mit einer offenen Scheune hinten. In der Scheune war Stroh. Das zündeten wir an.

      Das Stroh brannte gut. Ich lief nach draußen, um den Rauch zu sehen. Aus dem Scheunendach kam soviel Rauch raus, daß er meilenweit zu sehen sein mußte. Ich kriegte Angst und brach von dem harten Schnee vor der Scheune Stücke ab, die ich ins Feuer warf, aber davon rauchte es nur noch doller, und Ingo schmiß immer mehr brennende Streichhölzer ins Stroh.

      Von der Straße bog ein Auto ab und fuhr zu uns. Ein Mann stieg aus, der mit uns schimpfte und mit einem Feuerlöscher Schaum auf das Feuer spritzte, bis es ausging.

      Dann mußten wir im Auto mitkommen. Der Mann brachte uns in ein Büro, wo wir sagen sollten, wie wir hießen, wie unsere Eltern hießen und wo wir wohnten.

      Als ich nachhause kam, schnupperte Mama an meinen Händen und sagte, ich würde nach Rauch stinken. Ob ich dafür eine Erklärung hätte. Ob ich irgendwo mit Feuer gespielt hätte?

      Nein, hätte ich nicht.

      »Du riechst aber so«, sagte Mama. »Geh dir die Pfoten waschen, du Ferkel.«

      Am Fuß der blauen Berge.

      High Chaparall durfte ich nicht kucken, weil das zu spät kam, aber dafür Percy Stuart. Da war schon die Erkennungsmelodie gut. Wenn des Nachts der Mond am Himmel steht und der Wind um dunkle Ecken weht, lauert, wie das immer so war, im schönsten Moment die große Gefahr!

      Wenn ich Percy Stuart gewesen wäre, hätte ich alles genauso gemacht, aber ohne den affigen Diener. Uwe war auch für Percy Stuart und gegen den Diener. Percy Stuart, das ist unser Mann. Ein Mann, ein Mann, ein Mann, der alles kann!

      Ich hatte Bauchweh. Mama steckte mich mit Wärmflasche ins Bett, aber die Wärmflasche half nicht, und ich mußte auf mein Schlafanzugoberteil brechen.

      Mama brachte mich wieder zum Kinderarzt. Der kannte mich schon. Er drückte mir auf den Bauch, und ich sollte Aua sagen, wenn es wehtat, aber als es wehtat, schrie ich.

      »Das ist der Blinddarm«, sagte der Kinderarzt.

      Oma Jever hatte in Saarbrücken vor Gericht gemußt, als Zeugin, um in einem Prozeß gegen zwei Einbrecher auszusagen. Die waren bei Oma und Opa im Haus gewesen und hatten gesagt, daß sie von einer Behörde kämen und nachsehen müßten, ob Holzböcke im Dachstuhl seien. Dabei hatten sie nur die Wohnung auskundschaften wollen.

      Für jede Stunde, die Oma wegen der Reise nicht als Hausfrau in Jever arbeiten konnte, kriegte sie von dem Gericht zwei Mark. Mama fand das zuwenig. Eine Verhohnepipelung sei das.

      Oma sagte, sie habe mächtig Angst gehabt vor den Richtern, selbst als Zeugin. Aber davon abgesehen lebe sie mit Opa in Jever ihren ruhigen Stremel hin. Im Garten würden schon die Osterglocken blühen.

      Ins Krankenhaus bekam ich meinen blaukarierten Schlafanzug mit. Ich hatte Blutgruppe AB.

      In meinem Zimmer lagen noch zwei andere Jungs, die beide größer waren als ich. Kai und Peter. Kai hatte das Fußgelenk gebrochen und Peter die Mandeln rausgekriegt. Zu trinken kriegten wir Kamillentee, von dem mir übel wurde.

      Morgens kamen zwei Frauen, Schwester Anneliese und Schwester Erika, um uns Fieberthermometer in den Po zu stecken. Ab einer bestimmten Temperatur würde man sterben.

      Zum Frühstück gab es wieder Kamillentee, aber nur für Kai und Peter, weil ich operiert werden sollte.

      Ich mußte aus dem Bett aufstehen und mich nackt ausziehen. Dann kriegte ich eine weiße Schürze an und durfte mich wieder hinlegen.

      Schwester Anneliese schob mich im Bett auf den Flur. Wir fuhren im Fahrstuhl nach unten. Da setzte mir ein Arzt eine Maske auf die Nase. Ich wußte von Mama, daß das die Narkose war. Der Arzt würde jetzt gleich denken, daß ich betäubt sei von dem Chloroform, aber ich wollte wach bleiben und zukucken bei der Operation.

      Dann hatte ich aber doch nichts mitgekriegt. Ich wachte auf und war schon operiert.

      Die Blinddarmnarbe durfte ich mir nicht ankucken. Die Stelle war verbunden. Das habe Zeit, sagte Schwester Erika. Die Narbe würde ich mir noch mein ganzes Leben lang ankucken können.

      Als Mama kam, sagte Schwester Erika, daß sechs Stiche genügt hätten. Mama hatte mir ein Spielzeugauto mitgebracht. Damit fuhr ich immer auf der Bettdecke lang.

      Peter wollte auch mal das Auto haben. Ich wollte es aber nicht hergeben. Da kam er aus seinem Bett raus. »Achtung, Überfall!« rief er und riß mir das Auto weg.

      Ich drehte mich auf die Seite und heulte ins Kopfkissen.

      Als er fertiggespielt hatte, warf Peter mir das Auto wieder hin, aber ich wollte es nicht mehr haben.

      Mama konnte ich nur zuflüstern, daß die Jungen in meinem Zimmer gemein seien, und Mama sagte, das sei nun mal leider so, daß es überall primitive Menschen gebe. Denen kehre man den verlängerten Rücken zu, das sei die einfachste Methode.

      Als Peter entlassen worden war, kam in das leere Bett ein Junge mit Gipsbein rein. Helmut. Der war beim Klettern vom Baum gefallen und hatte sich an drei Stellen das linke Bein gebrochen. Das machte Helmut aber nicht viel aus. Er war auch mal vom Dach gefallen und hatte sich das andere Bein gebrochen, und einmal hatte er sich den linken Arm gebrochen.

      In der Besuchszeit sagte die Mutter von Helmut zu Mama: »Ist Ihrer auch so ’n Wildfang?« Dann unterhielten sie sich darüber, was wir schon alles angerichtet hätten, und Helmut und ich grinsten uns an.

      Gebrochen hatte ich mir aber noch nie was. Mama sagte, ihr sei schon oft das Herz stehengeblieben, wenn sie mir beim Klettern zugekuckt hätte, und gestürzt sei ich auch schon oft. Ich müsse wohl Gummiknochen haben.

      Ich überlegte, was besser war, Gummiknochen haben oder sich was brechen.

      Beim nächsten Besuch war Mama böse. Das sah ich gleich, als sie reinkam. »Ich hab ein Hühnchen mit dir zu rupfen«, sagte sie und holte einen Brief aus der Handtasche, in dem drinstand, daß Mama