Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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aus dem Acker zu ziehen versuchten, und dann kam ein Spatz und flatterte mit der Rübe im Schnabel davon.

      Im Sprachbuch war eine Seite, auf der wir alle Buchstaben ausmalen konnten, die wir durchgenommen hatten. Wie wohl das große Eszett oder Rucksack-S aussah. Das kleine war schon drangewesen. Als alles ausgemalt war, fehlte immer noch das große Eszett. Ich fragte Frau Kahlfuß danach, und sie sagte, das gebe es nicht. Es gebe nur das kleine Eszett.

      Das war der größte Beschiß, den die Welt je erlebt hatte.

      Auf unserem Grundstück auf dem Mallendarer Berg wurden die Fundamentgräben ausgehoben. Stein auf Stein, Stein auf Stein, das Häuschen wird bald fertig sein.

      Einmal kam ich abends an einem Fenster vorbei, aus dem ein Mädchen mit braunen Zöpfen rauskuckte. Das Mädchen war schon im Schlafanzug und sagte: »Ich heiße Daniela.«

      An den nächsten Abenden ging ich immer an dem Fenster vorbei, aber Daniela sah ich nicht wieder.

      Um irgendwas zu machen, tippte ich auf Mamas Schreibmaschine in Geheimschrift einen Brief an Daniela.

      Cjvb kzui qwrcf hjq34hjkg xxfhjhui!

      Den Brief steckte ich in einen der Briefkästen an Danielas Haus.

      Zum Muttertag malte ich für Mama ein Bild mit Kuchen, Kaffeekanne und Kaffeetasse. Am schwierigsten war der Löffel, aber Mama fand, daß ich den besonders gut gemalt hätte: »Mich laust der Affe!«

      Ceh, ah, eff, eff, eh, eh, trink nicht soviel Kaffee, nicht für Kinder ist der Türkentrank, schwächt die Nerven, macht dich blaß und krank. Der Tchibo-Experte in der Reklame war aber dick und fett.

      Für Mama war das Lenorgewissen interessanter, das aus der Hausfrau mit den falsch gewaschenen Pullovern rauskam.

      Es knackte, wenn Papa Gewürzgurken und Radieschen aß. Er trank Bier dazu und sagte, daß es mit dem Kellerfußboden im neuen Haus doch länger dauern werde als geplant.

      Dann durfte ich zum ersten Mal Aktenzeichen XY ungelöst kucken. Da sah man, wie eine Witwe in den Abendstunden in ihrem abgelegenen Haus ermordet aufgefunden wurde. Die Wohnung war durchwühlt. Kurz vorher war in einem Wochenendhaus in der Nähe eingebrochen worden. Der Täter hatte aus unbekannten Gründen in dem Haus Schüsse abgefeuert, und die Untersuchung hatte ergeben, daß die Projektile aus derselben Waffe stammten, mit der die Witwe totgeschossen worden war. Es mußte eine Beziehung zwischen den Verbrechen geben.

      Aus dem Wochenendhaus hatte der Täter zwei Kofferradios und eine Pistole gestohlen. Die Kofferradios sollten auf die Spur des Mörders führen.

      Danach kam was über eine Putzfrau, die vornehmlich im norddeutschen Raum Geld stahl, und danach was über einen Räuber, der aus dem Gefängnis geflohen war. Seit dem Ausbruch häuften sich im süddeutschen Raum Straftaten, die die Handschrift des Räubers trugen.

      Mama sagte, daß wir weder zum süddeutschen noch zum norddeutschen Raum gehörten. Koblenz liege so dazwischen.

      An Himmelfahrt fuhren wir alle zur Baustelle. Jetzt waren auch schon die Kellermauern gebaut worden. Mama zeigte uns, wo der Hobbyraum hinkommen sollte, und Papa sagte, daß ihm die Kaminmaße spanisch vorkämen.

      »Müßt ihr hier so rumbirsen?«

      Eltern haften für ihre Kinder.

      Der Kamin mußte wieder eingerissen werden, und dann hatten die Halsabschneider uns noch vierzig Kubikmeter Erdaushub zuviel berechnet.

      Am liebsten würde er alles selbst machen, sagte Papa. Dann könne er sicher sein, daß ihn keiner bescheißt.

      Das nächste Mal fuhren wir zur Baustelle, als Tante Dagmar und Tante Hanna zu Besuch waren. Tante Hanna ging am Stock. Sie war die jüngere Schwester von Oma Schlosser und sagte Jungchen zu Volker und zu mir, aber auch zu Papa.

      Die Kellerdecke mußte noch eingeschalt werden. Was eingeschalt werden war, wußte ich nicht.

      Mama sagte, mit viel Phantasie könne man sich jetzt auch den künftigen Garten vorstellen.

      Es war auch ein Wald da. Nur eine kurze Straße runter vorm Haus, dann fing er an.

      Wir sollten ein Gedicht auswendig lernen. Vom Himmel fällt der Regen und macht die Erde naß, die Steine auf den Wegen, die Blumen und das Gras. Die Sonne macht die Runde im altgewohnten Lauf und saugt mit ihrem Munde das Wasser wieder auf.

      Wenn die Sonne knallte, ließ Mama die Eßzimmerjalousie halb runter, und man konnte Staubfäden in den Sonnenstrahlen schweben sehen, die durch die Jalousieritzen fielen.

      Im Küchenradio sang Heintje, und Mama suchte einen anderen Sender, weil sie Heintje nicht verknusen konnte. Der singe nur Schnulzen für Krethi und Plethi. Demnächst werde er in den Stimmbruch kommen, dann hätten wir’s hoffentlich überstanden.

      In den Stimmbruch komme jeder Junge irgendwann. Man werde heiser und könne vorübergehend nur kieksen und krächzen, und dann habe man eine tiefe Männerstimme. Das tue nicht weh.

      Abends saß Papa über den Dachstuhlplänen. Auf der Baustelle stehe jetzt ein Kran, und bald würden die Erdgeschoßmauern hochgezogen.

      Im Ersten kam Schlager für Schlappohren, aber Volker überredete mich, den Wildwestfilm im Zweiten zu kucken. Der war mit einem Jungen, der von einem Kopfgeldjäger ein Pferd geschenkt kriegte und noch einen Hund dazu.

      Ein Pferd hätten wir hier gut im Garten halten können. Ein Pferd wäre mir auch lieber gewesen als ein Wellensittich, weil acht von zehn Sittichen an lebensgefährlicher Vergrößerung der Schilddrüse litten und mit Jod-S-11-Körnchen von Trill davor geschützt werden mußten. Millionen Sittichfreunde wissen es: Trill schützt das Leben Ihres Sittichs!

      Im Reklameraten war Wiebke besser geworden. Sie erkannte jetzt schon immer gleich den Essotiger, Sanso, Ajax weißer Wirbelwind mit Salmiak plus und die Bellindamädchen mit den Feinstrumpfhosen.

      Wenn der Ozean nicht zu Ihnen kommt, holen Sie ihn doch – mit der wilden Frische der marmorierten Fa! Marmoriert war ein Wort, das auch in Bolle reist’ jüngst zu Pfingsten vorkam: Das eine Auge blutig, das andre marmoriert, aber dennoch hat sich Bolle ganz prächtig amüsiert.

      Das beste war das HB-Männchen, das brabbelte und in die Luft ging, bevor es zur HB griff. HB rauchen heißt frohen Herzens genießen. Das HB-Männchen kämpfte mit tropfenden Wasserhähnen und wegflutschenden Seifenstücken, verhedderte sich in Sonnenschirmen, Wäscheleinen, Stromkabeln und Teppichen, blieb an Türklinken hängen, stieß Geschirrstapel um und trat in Farbeimer und Marmeladentöpfe.

      Schlechter als das HB-Männchen hatte es aber Klementine, die immer mit einer Arieltrommel bewaffnet in Waschküchen rumlaufen und sich da mit Hausfrauen über synthetische Wäsche und eingetrockneten Schmutz unterhalten mußte. Oder der Reporter von Omo, der als Beruf hatte, Hausfrauen zu fragen, was für sie das besondere an Omo sei. Oder Meister Proper. Der mußte jedesmal, wenn eine Hausfrau nach ihm rief, angeflitzt kommen und alles so sauber putzen, daß man sich drin spiegeln konnte.

      Im Ersten kam jetzt immer Skippy, das Känguruh. Das spielte auf der anderen Seite der Erde, wo die Leute und die Tiere nur wegen der Erdanziehungskraft nicht ins Weltall fielen. Bei denen war der Himmel unten, und die Erde war oben.

      Spannend waren auch Yancy Derringer und Renn, Buddy, renn! Yanci Derringer war Geheimagent, und Buddy, hinter dem ein Gangstersyndikat her war, rannte auch unter Wasser weiter.

      Onkel Dietrich brachte Oma Schlosser, die in Afrika gewesen war, vom Flughafen in Frankfurt mit dem Auto nach Koblenz.

      »Na, du Räuber«, sagte Onkel Dietrich und kniff mich in die Seite. Dann gab er mir eine rotweiß gestreifte Zuckerstange zum Lutschen.

      Wir fuhren alle zur Baustelle. Das Haus war schon bis zum Dachgeschoß fertig, aber in den Kamin war Beton gekleckert und festgebacken.

      Nun müßten schleunigst neue Gelder ins Rollen gebracht werden, sagte Mama.

      Weil