Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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      Renate hatte sich gebrannte Mandeln gekauft, die auch abends noch immer nicht alle waren. Den Rest spare sie sich für später auf, sagte Renate. Die mußte einen eisernen Willen haben.

      In der Dachkammer war eine Schnake, ein Riesenvieh mit langen Flügeln und viel zu vielen Beinen. Volker schlug die Schnake an der Wand mit einem Buch platt: Was finde ich am Strande?

      Nach dem Mondflug waren die Astronauten mit einer Kapsel im Pazifik gelandet. Ein Bergungshubschrauber brachte sie zu einem Flugzeugträger. »Doll«, sagte Opa, als das im Fernsehen kam, und Mama sagte, auf den Mond würden sie keine zehn Pferde kriegen.

      Die Astronauten hatten auch Mondgestein mitgebracht. Sie trugen Schutzanzüge und kamen in Quarantäne, weil man nicht wußte, ob sie sich auf dem Mond mit Krankheitskeimen angesteckt hatten.

      Wenn man nach dem Mittagessen aus dem Haus ging, überfiel einen die Hitze.

      Im Schuppen standen die vorsintflutlichen Fahrräder von Oma und Opa. Die Luftpumpe sah aus wie einer von den Apparaten, mit denen man woanders eine Explosion auslösen kann.

      Eine Holzschubkarre. Schiebkarre, sagte Opa dazu.

      Merkwürdig waren auch die Kartoffeln im Kartoffelkeller. Die waren zusammengewachsen, hatten Knorpel oder sahen aus wie Köpfe mit schiefen Nasen.

      Die Spinnweben im Keller wickelte Oma mit dem Zeigefinger auf, wischte ihn an der Wand ab und setzte sich dann zum Klönen an den gedeckten Teetisch unter der Birke.

      Für hundert Gramm Johannisbeeren zahlte Oma jetzt acht Pfennig.

      Als einmal alle im Garten waren, machte ich Omas alte Handtaschen auf, die unten im Schlafzimmerschrank standen. In einer war ein Zwanzigmarkschein. Den steckte ich ein und kaufte mir davon in dem Souvenirgeschäft in der Mühlenstraße einen Spielzeugfernseher. Hinten sah man durch ein Loch ein buntes Bild, und wenn man auf einen Knopf drückte, kam das nächste. Stierkämpfer, Tänzerin, Schiffshafen, Kirche, Gebirge. Dann kam wieder der Stierkämpfer.

      Ich hatte auch noch Wechselgeld gekriegt.

      Oma und Opa hatten jetzt einen Untermieter, Herrn Wübben. Der wohnte in dem Zimmer gleich rechts von der Treppe und pinkelte nachts in seinem Zimmer in leere Bierflaschen, statt aufs Klo zu gehen. Gustav wußte, wo der Schlüssel für Herrn Wübbens Zimmer hing, und er schloß es für mich auf, um mir die vollgepinkelten Bierflaschen zu zeigen. Die standen da um das ganze Bett rum.

      Oma sagte, daß Frau Apken nun fast gänzlich durch den Wind sei. Die sitze von morgens bis abends auf einem Stuhl im Wohnzimmer und kucke Löcher in die Luft.

      Frau Kaufhold kochte jeden Tag für Frau Apken mit.

      Freitags gab es Fisch vom Wochenmarkt, Scholle oder Seelachs, und es steckten immer Gräten drin, auch wenn keine drinsein sollten. Mit ihrer Scholle war Oma unzufrieden. Die schmecke nicht nach ihm und nicht nach ihr.

      Als Volker sich eine Gräte innen oben ins Zahnfleisch gespießt hatte, sagte Mama, das sei immer noch besser, als wenn er die quer in den Hals gekriegt hätte.

      An der Flurwand hing eine kleine Trompete. Mit der hatte Oma im Krieg die Nachbarn in Moorwarfen warnen müssen, wenn telefonisch Fliegeralarm durchgegeben worden war.

      Neben der Trompete hing das Wappen von Jever, eine Burg zwischen zwei Löwen.

      Oma wollte bei anderen Omas Mitgliedsbeiträge für einen Verein kassieren, bei dem Opa im Vorstand war, und ich durfte mit.

      Zuerst gingen wir zu einer dürren alten Frau, die am Kirchplatz wohnte. Wir setzten uns an den Küchentisch, und die Frau zückte ihr Portemonnaie. Oma holte ein Heft raus und machte hinter dem Namen von der Frau einen Haken rein, und da sah ich, daß Omas Handtasche genau die war, aus der ich die zwanzig Mark genommen hatte. Daß Oma die Handtaschen aus dem Schrank noch benutzte, hatte ich nicht gewußt. Aber daß da Geld fehlte, schien Oma nicht zu merken.

      Mit dem Spielzeugfernseher, den ich unter meinem Nachtschränkchen versteckt gehabt hatte, ging ich auf das wilde Nachbargrundstück und warf ihn da in eine Brennesselhecke.

      In Hooksiel durften Volker und ich eine Schlickschlacht machen, in Badehosen, und uns bis zum Gehtnichtmehr mit Schlick bekleistern.

      Am Horizont fuhren Schiffe. Volker sagte, das seien Ozeanriesen. Auf einem davon würde er gerne mal um die ganze Welt fahren, aber das hatte er nur gesagt, damit ich zu den Schiffen kuckte und nicht sah, wie er ausholte, um mir eine Riesenportion Schlick in die Fresse zu schmeißen.

      Abends wurden Krabben ausgepult, die Granat hießen. Da habe sie einen Japp drauf, sagte Oma. Im Fernsehen wollte sie G’schichten aus dem Theater an der Wien kucken, was aber so langweilig war, daß ich lieber Renate half, in der Hörzu bei Original und Fälschung nach den Unterschieden zu suchen. Da hatte auf einem Bild eine Leiter eine Sprosse weniger als auf dem anderen, oder eine Wolke hatte einen oder zwei Wülste zuviel.

      Dann rief Papa an und wollte von Oma wissen, ob sie es noch aushalte mit all den Blagen.

      Ins Bett nahm ich wieder die Meckibücher mit, um nochmal zu sehen, wie die Pferde mit Meckis Kutsche über die Milchstraße galoppieren und der Fliegenpeter auf der Insel im Sirupsee rumkriecht.

      In Koblenz stand Papa auf dem Bahnsteig und rauchte Pfeife.

      Durchs Heckfenster vom Käfer zeigte Renate auf den Mond und sagte, das sei der Fingernagel Gottes. Und der riesenhafte Reifen, der als Werbung für eine Autowerkstatt kurz vor der Horchheimer Höhe an der Straße stand, sei der Autoreifen vom lieben Gott. Das sagte Renate immer, wenn wir da vorbeifuhren.

      Am Morgen klingelte ich bei Stracks, aber Uwe war bei einer Tante in Trier und sollte erst nachmittags wiederkommen.

      Ich spielte alleine im Wäldchen, bis ich mußte. Um den Weg abzukürzen, lief ich durch den Garten und zur Kellertür runter, aber da mußte ich schon so nötig, daß ich stehenblieb und in den Waschküchengully pinkelte, und als ich Mama die Treppe runterkommen hörte, konnte ich nicht mehr aufhören.

      »Dir geht’s wohl zu gut, du Pottsau!« rief sie, und ich kriegte Hausarrest.

      Zu Uwe durfte ich dann aber doch noch kurz rübergehen.

      Seine Brüder würden immer dämlicher, sagte Uwe, aber Claudia sei am allerdämlichsten. Die hatte jetzt einen Pony, der ihr so tief ins Gesicht hing, daß sie die Haare immer hochpusten mußte.

      In Knaurs Kinderbuch in Farben wurde die ganze Welt erklärt. Was es für Berufe gibt und was Autoschlosser, Uhrmacher und Bildhauer für Kleider anhaben, wie es im Maulwurfsbau aussieht, welche Tiere vor hundert Millionen Jahren gelebt hatten, womit sich die Leute vor zehntausend Jahren gekämmt hatten und daß ein Wandersmann fünf Kilometer in der Stunde schafft. Was ist schwerer, ein Kilo Eisen oder ein Kilo Bettfedern?

      Das Wildschwein ist ein Allesfresser.

      Volker durfte schon wieder mit Kasimirs nach Italien fahren, an die Adria. Er nahm auch die Angel mit, die er da beim letzten Mal gefunden hatte. Hoffentlich fing er nichts.

      An einem Samstag mußte Renate den Haushalt machen und auf Wiebke und mich aufpassen, weil Mama und Papa vorhatten, bis zur Dämmerung auf der Baustelle zu wuracken.

      Ich wollte unverdünnten Kirsch-Tritop trinken. »Des Menschen Wille ist sein Himmelreich«, sagte Renate und ließ mich, aber ohne Wasser schmeckte der Tritop nicht. Davon krampfte sich einem das Gesicht zusammen.

      Renate erlaubte mir auch, in den Wilhelm-Busch-Büchern zu lesen. Bei dem einen fehlte der Schuber, und bei dem anderen war der Rücken lose.

      Hänsel und Gretel, wie sie die Hexe in den Kochtopf stoßen und den dicken Menschenfresser in den Fluß werfen. Oder Fipps der Affe, wie er einem Neger, der ihn fangen will, mit dem Schwanz den Nasenring rumdreht. Dem Neger wird das Herze bang, die Seele kurz, die Nase lang!

      Hans Huckebein, der Unglücksrabe, der sich selbst erhängt. Und der Eispeter, der beim Schlittschuhlaufen