Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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Tannebaum, der Lehrer hat mich blaugehaun. Ingo Trinklein kannte auch noch andere Lieder, die man nur auf der Straße singen konnte. Von den blauen Bergen kommen wir, unser Lehrer ist genauso doof wie wir. Oder Peter hat ins Bett geschissen, mitten aufs Paradekissen.

      Es gab Eintopf mit Wurzeln, und Papa schimpfte über Herrn Winter, den Nachbarn, der auf dem Mallendarer Berg an der anderen Seite von unserem neuen Haus wohnte und sich angestellt hatte wie der erste Mensch, nur weil ein paar Krümel Sand über die Grundstücksgrenze gerieselt waren. Seine Gartenerde sei nämlich schon »gefräst«, hatte Herr Winter erklärt.

      Das könne ja noch heiter werden mit diesem Uhu, sagte Mama.

      Immerhin war jetzt die Eßplatzscheibe drin. Aber die große Wohnzimmerscheibe hatten die Heinis von Raab Karcher nicht eingesetzt. Die hatte einen Haarriß.

      Mama telefonierte viel mit Raab Karcher, und ein Versicherungsfritze mußte kommen und den Haarriß begutachten.

      Kurz vor Weihnachten brachten Leute von Raab Karcher die neue Wohnzimmerscheibe, aber als sie die einsetzen wollten, fiel sie hin und ging zu Bruch.

      Mama sagte, wenn sie das alles geahnt hätte, wäre sie in Moorwarfen geblieben und Kuhmelkerin geworden.

      Renate malte ein Bild vom Weihnachtsmann, wie er durch den verschneiten Tannenwald stiefelt, und Volker malte mit Wachsmalkreide einen Weihnachtsmann, der im Hubschrauber einschwebt.

      »Nun singt doch mal!« rief Papa, weil wir vor der Bescherung nicht laut genug mitsangen, als die Weihnachtsplatte lief.

      O du fröhliche, o du selige.

      Ich kriegte ein Mondfahrzeug, ein Wildwestspiel, ein Daktari-Malbuch, einen neuen Schlafanzug von Tante Dagmar, von Renate ein Heft, in das sie alle Geschichten von Reinhold dem Nashorn eingeklebt hatte, und drei neue Bücher: Neues vom Räuber Hotzenplotz, Märchen aus Tausendundeiner Nacht und Tschitti Tschitti Bäng Bäng.

      Volker hatte ein Gewehr, ein Försterbuch und von Onkel Walter noch ein Buch mit Tiergeschichten gekriegt und Wiebke eine Puppe, eine Puppenküche, neue Turnschuhe und einen Hahn aus Holz mit Buntstiften im Rücken. Die Puppe wurde von Wiebke auf den Namen Dagmar getauft.

      Am wenigsten neidisch war ich auf Renates Geschenke, eine weiße Fellmütze mit langen Enden und ein Ringbuch und Wäsche. »Kuckt mal, was für ein tolles Kleid!« rief Renate. »So ein schönes! Neuste Mode!« Tante Therese hatte Renate ein Bastköfferchen geschickt, das knirschte, wenn man es hochhob.

      Renates neues Ringbuch hatte einen Schlüssel zum Abschließen. »Dokumentenmappe nennt man das«, sagte Mama.

      Dann sollten wieder Fotos gemacht werden. »Na los!« brüllte Papa. »Ihr sollt euch neben den Tannenbaum stellen!«

      Für Mama und Papa hatte Renate einen Kochlöffel lackiert und Haken für Topflappen und Gummibänder reingedreht.

      Von Tante Therese hatte Wiebke einen Schottenrock gekriegt und Mama Parfüm. Für Volker und mich waren Wollmützen in dem Paket aus England.

      »Du ahnst es nicht«, sagte Mama beim Auspacken. »Ja, ist es denn die Possibility?« Und: »Kaum zu glauben Komma!« Als Papa ein Deodorant-Spray aus Jever ausgewickelt hatte, rief Mama: »Ach du dickes Ei!«

      Wiebke sollte Oma Jever am Telefon Von drauß, vom Walde aufsagen, mußte aber husten und blieb stecken.

      Das Wildwestspiel war gut. Es gab blaue Indianer, die mit der Büchse zielten, rote Indianer mit Tomahawks, grüne Cowboys mit Lassos und gelbe Cowboys, die ihre Flinte überm Kopf hielten und leicht umkippten, aber weil das Spiel meins war, konnte ich immer die blauen Indianer nehmen.

      Man mußte würfeln und versuchen, die anderen Indianer und Cowboys zu schlagen und bei sich einzusperren, aber man konnte auch in die Gefängnisse von den anderen rein, um Gefangene vom eigenen Stamm zu befreien. In der Mitte vom Brett war ein Feld, wohin man sich flüchten konnte.

      In dem Heft von Renate las ich alle alten Geschichten von Reinhold dem Nashorn wieder nach. Wie Reinhold seinem Sohn Paulchen das Fußballspielen verbietet und dann selbst ein Loch ins Fenster schießt oder wie er von Soldaten für einen General gehalten wird, weil ihm ein Suppentopf auf den Kopf gefallen ist. Wie Reinhold Haarwuchsmittel benutzt und ein Fell kriegt, wie er durch eine blankgescheuerte Glastür kracht und wie er Paulchen tröstet, der von der eingekauften Wurst nur einen winzigen Zipfel vor den kläffenden Hunden retten konnte. Reinholds Trost nach all den Hunden: »Besser heil – als Wurst und Wunden!«

      Auf Volkers Tierbuch war ein Bär vornedrauf, aber die Geschichten wollte ich nicht lesen. Die Abenteuer eines Sperlingsmännchens.

      In Tausendundeine Nacht waren mir die Bilder zu krakelig.

      Neues vom Räuber Hotzenplotz war am besten. »Das duftet ja ganz abscheulich gut hier!« rief der Räuber Hotzenplotz und vertilgte die Bratwürste von Kasperls Großmutter ratzeputz, daß es nur so schnurpste. Dann entführte er die Großmutter auf dem Fahrradgepäckträger, und sie mußte die Augen zumachen, weil Rollsplitt auf der Straße lag. Rollsplitt spritzte hoch, wenn man drüberfuhr.

      Wachtmeister Dimpfelmoser suchte dann Hilfe bei der Witwe Schlotterbeck, einer staatlich geprüften Hellseherin mit einem Hauskrokodil, das ein verhexter Dackel war.

      Den Räuber Hotzenplotz verspotteten Kasperl und Seppel als Aumenpflaugust mit Klaumenpfnödeln, und dann kriegten sie soviel Bratwurst mit Sauerkraut, bis sie Bauchweh davon bekamen, und sie waren so glücklich, daß sie mit keinem Menschen getauscht hätten, nicht einmal um den Preis einer Dauerfreikarte auf der Achterbahn.

      Im Fernsehen kam Lederstrumpf. Der konnte Tomahawks auffangen, die feindliche Indianer auf ihn geschleudert hatten. Irokesen, Delawaren und Huronen.

      Zusammen mit Lederstrumpf kämpfte der Mohikanerhäuptling Chingachgook. Es gab auch den Irokesenhäuptling Gespaltene Eiche. Als nach dem letzten Teil von Lederstrumpf noch Big Valley kam, sagte Mama, daß wir schon viereckige Augen hätten.

      Mit Stracks lieferten wir uns im Garten über den Zaun eine Schneeballschlacht. Ohne Handschuhe kriegte man dabei erst kalte und dann warme Hände. Das liege an der Durchblutung, sagte Volker.

      Am Neujahrsmorgen traten Ingo Trinklein und ich das Eis auf zugefrorenen Pfützen ein und suchten die Straßen nach Krachern ab, aber wir fanden nur Raketenstiele, abgefackelte Knallfrösche und nasse Knallerpappen mit Warnungen: Nach dem Anzünden nicht in der Hand halten! Nur im Freien verwenden!

      Auf dem Mallendarer Berg kümmerte Papa sich um die Elektroinstallation im neuen Haus. Danach saßen wir auf Röhrenbetonsteinen in der Garage, und Volker schälte mit dem Taschenmesser einen Apfel. Papa hatte eine Kabellampe in die Garagentorschiene gehängt.

      Ich wollte Volker helfen, machte es aber falsch. »So doch nicht, du Idi!« rief er, weil ich mit der Hand fast in die Messerklinge gekommen war.

      »Jetzt hört mal auf damit, ihr Weihnachtsmänner«, sagte Papa. Er sah sich in der Garage um und sagte, daß wir dafür nun auch lange genug auf dem Zahnfleisch hätten kriechen müssen.

      Als wir zurückfuhren, durfte ich vorne sitzen, und Papa zeigte mir, daß er vom Auto aus das Licht an den Pfählen am Straßenrand anschalten und ausschalten konnte. An und aus, an und aus, wie ein Zauberer.

      Der Kommissar hatte ein Telefon vorne am Beifahrersitz, aber vom Kommissar durfte ich nur den Vorspann kucken, im Schlafanzug.

      Immer wenn er Pillen nahm war Renates Lieblingssendung, mit Stanley Beamish, der fliegen und Hubschrauber vom Himmel auf die Erde ziehen konnte, wenn er eine von den Wunderpillen geschluckt hatte, die aber nur eine Stunde lang wirkten.

      Seine große Stunde kam – immer, wenn er Pillen nahm.

      Vor dem Umzug holte Oma Jever Wiebke ab. Im neuen Haus war noch kein Strom. Auch Türen und Teppiche fehlten. Papa hatte sich einen LKW geliehen.

      In der Küche war ein Fußbodenmensch auf allen vieren und verlegte Mipolam, und im Flur hackten Arbeiter