Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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mit Kohlrabi zu und als Nachtisch Karamelpudding. Der Kohlrabigestank waberte schon den ganzen Vormittag über durchs Haus, und ich wußte, wenn ich die Kohlrabistifte nicht runterwürge, krieg ich keinen Pudding.

      »Mach nicht so ’n Theater«, sagte Mama.

      Ich fragte sie, ob sie als Kind Kohlrabi gemocht habe.

      »Sitz gerade!«

      Im Fernsehen gab es nur Volkstänze und Gottesdienste, und ich fuhr mit dem Rad weg, bis Tarzan kam, der Bezwinger der Wüste. Weil Renate und Volker sich auf den beiden Sesseln breitgemacht hatten und mir das Sofa zu weit weg stand, lag ich auf dem Boden, mal auf dem Bauch, mal auf der linken und mal auf der rechten Seite. In die Haut an meinem einen Oberarm hatte sich schon das Teppichfliesenmuster eingedrückt.

      »Du hast wohl deine drolligen fünf Minuten«, rief Volker, als ich ihm das rote Sofakissen an die Birne geschmissen hatte, und wir liefen zu einem Kämpfchen in den Hobbyraum, wo ich mir an der Türkante den Musikknochen anstieß.

      Einmal weckte mich Volker sonntagmorgens, und wir schlichen uns aus dem Haus, als alle anderen noch filzten. Volker hatte einen Zettel auf dem Eßtisch hinterlassen: Martin und ich, wir schlimmen Gören, wollten euch nicht beim Frühstück stören, darum sind wir leise und verlogen aus der Wohnung ausgeflogen.

      Wir nahmen Plastiktüten mit und machten eine Radtour in die Gartenstadt, wo es ein Neubaugebiet mit wilden Kirschbäumen gab. Da pflückten wir so viele Kirschen, daß unten schon der Saft aus den Tüten tropfte.

      »Das kommt ja wie gerufen«, sagte Mama.

      Leber mit Zwiebeln, Bohnen und Kartoffeln und dann die Kirschen. Papa verzog das Gesicht, aber er sagte nicht wie sonst so oft, daß der Nachtisch wie Zement schmecke, was ich schade fand.

      Jetzt hatte auch Wiebke zum Geburtstag ein Fahrrad gekriegt, ein ganz kleines. Auf der Straße hielt ich das Rad am Lenker und am Sattel fest und schob Wiebke damit hin und her. Nach einiger Zeit mußte ich bloß noch den Sattel festhalten, und als es dunkel wurde, konnte Wiebke alleine fahren, nur noch nicht wenden. Dafür mußte sie anhalten und absteigen.

      Im Hobbyraum bauten Volker und ich die alte Lego-Eisenbahn auf. Geriffelte und glatte Schienen, krumme und gerade. Ich verwechselte immer die langen Außenkurvenschienen mit den kürzeren, die nach innen gehörten, und mußte alles wieder auseinanderreißen.

      Als wir fast fertig waren, stellte Volker fest, daß die Batterie von der Lok keinen Saft mehr hatte.

      An einem Sonntag fuhr Mama uns auf die Horchheimer Höhe. Volker wollte mit Kalli angeln gehen und ich zu Uwe.

      Ich kletterte wieder an den Laternen hoch, aber da war irgendein neues Zeug drauf, und ich hatte nach dem Klettern grünbeschmierte Beine.

      Im Wäldchen versuchten wir nochmal, den großen Stein auszugraben, wobei ich mir einen Finger aufschlitzte. Die Wunde blutete, und wir liefen zu Uwe nachhause. Herr Strack holte einen Erste-Hilfe-Koffer aus der Schrankwand und machte mir einen Mullverband.

      »Das wäre ja auch noch schöner gewesen, wenn du mal ohne Blessuren nachhause gekommen wärst«, sagte Mama, als Kallis Vater Volker und mich zurückgebracht hatte.

      Volker hatte einen Aal gefangen, der noch lebte. Papa packte den Aal und schnitt ihm in der Küche mit der Brotschneidemaschine den Kopf ab, wobei das Blut aus dem Hals sprudelte.

      »Herrijassesnee!« rief Mama.

      Der Aal sei jetzt tot, sagte Papa, aber das Ende ohne Kopf war immer noch am Zucken. Das sprang auch aus der heißen Bratpfanne wieder raus und peitschte auf dem Kachelfußboden rum. »Das sind nur Nervenreflexe«, sagte Papa, aber sobald er den Aal zu fassen gekriegt hatte, flutschte der ihm wieder aus der Faust raus.

      Irgendwann verließen den Aal die Kräfte. Volker durfte ihn alleine aufessen.

      Im Garten hatte Papa ein Gemüsebeet angelegt, mit Stangenbohnen, und am Zaun schoß eine Sonnenblumenhecke empor, richtig strahlend, so als ob wir schon was in der Glücksspirale gewonnen hätten.

      Gleich vorm Haus ging eine Sackgasse runter, die aber keine war, weil man von da aus zu Fuß ins Wambachtal konnte. Ich wollte eine Urwaldstadt finden, so wie Tarzan, aber das beste, was ich fand, war ein Tierschädel. »Könnte von einem Rehbock sein«, sagte Volker.

      Waren das in den Tarzanfilmen eigentlich immer Krokodile oder Alligatoren?

      Wir drehten Steine um. Da saßen oft Würmer drunter und Kellerasseln, die machten, daß sie wegkamen.

      Wiebke wollte nie ins Wambachtal mitkommen, weil sie eine Heidenangst hatte, sich dreckig zu machen. Schön doof. So etepetete konnten bloß Mädchen sein.

      Einmal flüsterte Volker mir zu, daß er und ich in Renates Zimmer kommen sollten, aber heimlich, und wir schlichen uns hoch.

      Mit Mamas Erlaubnis hatte Renate den alten Plattenspieler bei sich im Zimmer angeschlossen und die Weihnachtsplatte aufgelegt: Musik für festliche Stunden. Daß sie dazu Striptease für uns tanzen wollte, hatte sie Mama aber nicht unter die Nase gerieben.

      Von den Schleiern, die Renate sich umgehängt hatte, warf sie beim Tanzen einen nach dem anderen ab. Erst den grünen, dann den gelben, dann den anderen grünen und zuletzt den roten. Dann stand sie im Bikini da und machte einen Knicks.

      Wir mußten schwören, nichts davon zu verraten.

      Wenn das Licht aus war, erzählte Volker mir, was er in der letzten Nacht geträumt hatte. Volker konnte in Fortsetzungen träumen. Der nächste Traum fing immer genau da an, wo der vorige aufgehört hatte. Im letzten waren Volker und ich als Däumlinge in einem kleinen Hubschrauber über den Rhein nach Koblenz geflogen. Volker sagte, er sei schon gespannt, wie es jetzt weitergehe.

      Morgens beim Anziehen erfuhr ich die Fortsetzung. In Volkers neuem Traum waren wir über Volkers Schulhof geflogen, und ein Lehrer hatte versucht, unseren Hubschrauber an den Kufen zu packen, aber so hoch, wie wir flogen, hatte der Pauker nicht hüpfen können.

      Im Stern war Reinhold das Nashorn von dem kleinen Herrn Jakob abgelöst worden, der bei weitem nicht so gut war.

      Enttäuscht war ich auch, als Mama sagte, die Sänger in der Hitparade würden gar nicht singen, sondern nur den Mund auf- und zumachen. Das sei Playback. Echt sei nur das Gebabbel von Dieter Thomas Heck, dieser die Sau grausenden Quasselstrippe.

      Im Zeugnis hatte ich drei Einsen, vier Zweien und sieben Dreien. Für jede Eins gab es eine Mark und für jede Zwei fünfzig Pfennig. Das waren zusammen fünf Mark für mich, die ich verjubeln oder sparen konnte.

      In Vallendar kaufte ich mir zwei Lakritzpfeifen und ein Micky-Maus-Heft, das ich im Hobbyraum unterm Sofasitz versteckte, weil Mama von Micky Maus nicht viel hielt.

      Aus Venezuela kam eine Freundin von Mama zu Besuch, Kathrin, mit ihrem Sohn Manaure, einem kleinen Frechdachs in Wiebkes Alter. Renate ging mit Wiebke und Manaure auf den Spielplatz, aber als Renate wieder nachhause wollte, wußte sie nicht mehr, welches von den Kindern Manaure war, und Wiebke wußte das auch nicht. Da mußte erst die Mutter geholt werden.

      Dann biß Manaure Wiebke in den Arm und sagte zur Entschuldigung: »Ich hab sie nur geklemmt!«

      Dann kam auch mal Uwe auf den Mallendarer Berg. Wir zogen Badehosen an, ließen Wasser in die Wanne laufen und sprangen da rein und wieder raus und wieder rein.

      Wer länger tauchen kann. Nase zuhalten und runter. Der andere mußte die Sekunden zählen. Ich fand, daß Uwe pfuschte und zu langsam zählte, aber er gab mir sein Ehrenwort.

      Mama wollte wissen, ob wir so ein Höllenspektakel veranstalten müßten? Das gehe ihr durch Mark und Pfennig.

      Die Sprudelkiste, die Papa eingekauft hatte, war nachmittags schon halb alle.

      Aus Rautenbergs Garten klauten wir uns Himbeeren. Da mußte man auf Maden achten.

      Uwe gefiel es auf dem Mallendarer Berg besser als auf der Horchheimer Höhe,