Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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aus, die ich aufschreiben konnte. Ich riß Wiebkes Puppe Dagmar den Kopf ab, fesselte den Rumpf mit dem Kabel an den Staubsaugerstiel und trug das ins Tagebuch ein.

      Als Wiebke die Bescherung entdeckte und zu plärren anfing, stritt ich alles ab, aber dann fand Mama mein Tagebuch, und ich kriegte Fernsehverbot.

      Kommt ein Löwe geflogen. Leider ohne mich. Ich sei ein Rohling, sagte Mama.

      In den Folgen, die ich wieder kucken durfte, wollte das Krokodil, dem Mister Knister immer in den Bauch trat, in den Zoo, weil es da ein Krokodilfräulein gab, und Mister Knister wurde festgenommen.

      Sonntags deckte ich den Frühstückstisch jetzt auch mal selbst. Volker zeigte mir, wie man Filtertüten umknickt und wann man den Topf mit der Milch für den Kaba vom Herd nimmt.

      Den Honig gab es seit allerneuestem aus einem gelben Napf, der wie ein Bienenkorb aussah, mit modellierten Bienen außen dran und mit Löffel, weil sonst immer was von der Margarine im Honig blieb, wenn man den da mit dem beschmierten Messer rausholte.

      Am heikelsten war das Eierkochen. Damit sie nicht sprangen, mußten die Eier oben und unten eingepiekst werden, und dann sprangen sie doch. Eieruhr stellen. Abschrecken nicht vergessen. Als Eierwärmer hatten wir immer noch die blaugelben Stoffhühnchen, die Renate mal genäht hatte.

      Nun sollten aber auch die anderen aufstehen, damit man denen sagen konnte, daß die Heinzelmännchen den Tisch gedeckt hätten. Marmelade von Schwartau.

      Mit dem Messer schnell noch das Schwarze vom angebrannten Toast raspeln, während Papa sich auf dem Klo die Seele aus dem Leib hustete.

      »Du hast das Hemd schief zugeknöpft!«

      An Werktagen gab es keine Eier und statt Toast nur Graubrot. Die dritte Tasse Kaffee stürzte Papa im Stehen runter, und Mama kriegte einen Rappel, weil ich schon wieder vergessen hatte, mir die Haare am Hinterkopf zu kämmen. »Wiedersehen macht Freude«, sagte sie, wenn ich mein Radiergummi nicht finden konnte und eins von ihr nehmen mußte. »Jetzt aber ab die Post!«

      Lauterberg, der Schulbusfahrer, war zottelig und dick und immer wütend, ohne daß man wußte warum. In den Kurven mußte man sich gut festhalten, um nicht vom Sitz zu fliegen, und wenn welche von uns zu laut waren oder Heidschi bumbeidschi sangen, rief er: »Schnüss dahinne!« Oder er hielt an und schmiß die Schreihälse raus, aber achtkantig.

      Michael Gerlach sagte, der Lauterberg sei ein Urururenkel von Rübezahl, dem Riesen, von dem uns Frau Katzer was vorgelesen hatte. Der Riese Rübezahl konnte sein eigenes Bein als Axt nehmen und damit Holz hacken.

      Als ich in der kleinen Pause vom Klo kam, hielten mich zwei Jungen fest, die bestimmt schon in die fünfte oder sechste Klasse gingen. Der eine war Qualle und der andere ein Rothaariger, den ich nicht kannte. »Was hasten da gemacht?« fragte der Rothaarige und verpaßte mir eine Ohrfeige. »Was hasten da gemacht aum Klo?«

      Obwohl ich heulen mußte, sah ich, daß Frau Katzer, die die Pausenaufsicht hatte, auf uns zukam und daß das auch Qualle aufgefallen war.

      Der Rothaarige drehte mir die Nase rum und wollte immer noch wissen, was ich auf dem Klo gemacht hatte.

      »Wat soller schon gedonn han«, sagte Qualle. »Gepißt und geschisse!« Dann ging er weg.

      Als Frau Katzer da war, zog sie den Rothaarigen am Ohr zu sich rum und schrie ihn an, wenn er hier noch einmal irgendwem ein Härchen krümme, sei er fällig, dann fliege er von der Schule.

      Ich war gerettet, aber jetzt hatte ich einen Todfeind.

      Die Schulbushaltestelle in Vallendar war vor einem Haus, wo wir uns nicht an die Wand lehnen durften. Wenn es doch einer tat, riß eine alte Giftnudel, die da wohnte, das Fenster auf und schrie runter, daß sie die Polizei rufen werde.

      Im Bus hatte ich Pech, denn da stieg auch der Rothaarige ein. Als er mich hinten sitzen sah, drängelte er sich bis zu mir durch und haute mir eine rein.

      »Seh ich recht? Heb mal den linken Arm hoch«, sagte Mama, und dann sollte ich erklären, woher das Riesenloch unterm Ärmel stammte, aber das war mir selbst ganz neu.

      Es gab Linseneintopf mit Bauchspeck, wonach ich mir nicht gerade die Finger leckte. »Bist du im Zirkus großgeworden? Mach die Tür zu!«

      Nur für mich, ohne das jemandem zu sagen, gab ich dem Essen Noten: Hähnchen 1, Fischstäbchen, Spaghetti mit Spiegelei und Milchreis mit Zimt und Zucker 2 plus, Kotelett 2, Kartoffelbrei mit Spinat 2 minus, Königsberger Klopse 3, Bohnen, Wurzeln und Erbsen 3 minus, Porree 4 plus, Eintopf und Blumenkohl 4, Wirsing, Rosenkohl und Graupensuppe 4 minus, Kohlrabi 5 und Rotkohl 6. Rotkohl war das reinste Brechmittel.

      Renate ekelte sich dafür vor Leber, und sie wollte nichts aus dem Kochtopf essen, in dem Papa einmal alte Seifenstücke eingeschmolzen hatte, aber Papa sagte, im nächsten Krieg würden wir noch Baumrinde nagen. Das werde uns dann wie ein Leckerbissen vorkommen.

      Papa selbst fand meistens das Gulasch zu zadderig und meine Haare zu unordentlich: »Du siehst mal wieder aus wie ’n explodierter Bußkohl!«

      Sich fläzen und die Arme aufstützen durfte man nicht.

      Vom Spiegelei sparte ich mir das Dotter immer bis zuletzt auf.

      »Man spricht nicht mit vollem Mund!«

      Meine Nachtischnoten waren: Quarkspeise und Götterspeise 1, Vanillepudding 2 (mit Blasen 2 minus), Ananas 3, Mirabellen 4 und Dosenpfirsiche 5 minus.

      Tisch abräumen. »Düt düt düt!« In der Tür zur Küche.

      Volker durfte den Kaffee holen. »Aber bitte ohne Fußbad!«

      Meine Aufgabe war, die Servietten ins Regal zurückzulegen. An den Farben der bastbeflochtenen Serviettenringe konnte man sehen, wem welche Serviette gehörte. Mama lila, Renate gelb, Volker grün, ich blau. Papas Serviettenring war aus Metall und golden. Wiebke hatte noch ihr Lätzchen.

      Wenn die Spülmaschine lief, setzte Mama sich ins Wohnzimmersofa und blätterte im Stern, bevor die Hausarbeit wieder losging. Fenster putzen, Wäsche sprengen oder den Stopfpilz rauskriegen und Socken stopfen.

      Wiebke malte was mit schwarzem Filzer. Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht.

      Mit zweien aus meiner Klasse, Manfred Cordes und Stephan Mittendorf, hatte ich mich zum Mensch-ärgere-dich-nicht verabredet.

      Mittendorfs hatten alles. Gegensprechanlage, Spinnrad im Flur, Farbfernseher, Wohnzimmerkamin, Swimmingpool, Sauna, einen Klavierlehrer, der ins Haus kam, einen eigenen Gärtner und ein Auto mit Chauffeur. Stephan Mittendorf hatte auch alle Heintjeplatten und ein Fahrrad mit Tacho, Kilometerzähler und Fünfgangschaltung. Wie bei Onassis. Stephans Vater hatte die Angewohnheit, morgens fünfhundert Meter zu Fuß zu gehen, um nicht zu verfetten. Der Chauffeur mußte dann im Schrittempo hinter Stephans Vater herfahren.

      Beim Mensch ärgere Dich nicht wollte auch Stephans Bruder Markus mitspielen, aber der schummelte. Wenn man was Gutes gewürfelt hatte und der Würfel mit der Kante zu dicht am Spielfeldrand lag, rief Markus »Kipper!« oder »Brand!«, und dann galt das Gewürfelte nicht.

      »Einmal und nie wieder«, sagte Manfred Cordes.

      Als ich Mama aufzählte, was Mittendorfs alles hatten, sagte sie: »Das kratzt mich nicht im geringsten.«

      Abends kriegten wir jetzt immer Kernige. Papa saß in seinem Sessel, kuckte Nachrichten und verzimmerte Schnitten. Edamer, Salami, Tilsiter und Stinkerkäse und dazu Rollmöpse, Gurken und Bier.

      »Nimm die Flunken runter, ich seh nichts!«

      König Feisal, Präsident Nasser und Präsident Nixon.

      Im Bad machte ich nur Katzenwäsche. Warmes Wasser einlaufen lassen, Unterarme eintunken und abwarten. Vor dem Stöpselziehen noch planschen, damit es nach Waschen klang.

      Volker zeigte mir, wie man mit Zahnputzwasser gurgelt.

      Und dann ins Bett.