Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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zwischen den Scherben im Rucksack rum.

      Auf Niederwerth gab es nur Äcker. Frau Katzer sagte, daß die Insel für ihren Spargelanbau berühmt sei. Bei mir hatte Spargel die Note 5.

      Oliver Wolter kannte den Unterschied zwischen Bremse und Schnake nicht. Der war felsenfest der Überzeugung, das seien nur verschiedene Bezeichnungen für das gleiche Insekt, und davon war er auch nicht abzubringen, der Blödian.

      Mit Papas Hilfe hatte Volker das Loch in meinem alten Fußball geflickt, und wir fuhren zum Fußballplatz. Die Räder ließen wir draußen am Zaun stehen.

      Ein Tor war frei. Ich stellte mich als Torwart rein, und Volker schoß Elfmeter. Weil das Tor kein Netz hatte, mußte ich nach fast jedem Schuß weit laufen, um den Ball zurückzuholen.

      Daß einer von den Jungen am anderen Tor der Rothaarige war, fiel mir erst auf, als er wegging.

      Nach dem Kicken waren unsere Räder platt, alle beide, vorne und hinten. »Da hat einer die Ventile gemopst«, sagte Volker, und ich war sicher, daß der Rothaarige der Ventilmops war.

      Papa hatte einen grünen Peugeot 404 gekauft, mit Schiebedach und vier Türen und viel mehr Platz auf der Hinterbank als im Käfer. Mama hatte ein großes Freßpaket gepackt, und wir wollten einen Ausflug machen, aber dann drehten wir doch nur eine Runde über den Mallendarer Berg, weil Papa die Auspuffgeräusche nicht gefielen.

      Bevor Oma und Opa zu Besuch kamen, mußten Volker und ich nach Vallendar zum Friseur. »Ihr seht verboten aus«, hatte Mama gesagt und Volker das Geld für zweimal Fassonschnitt in die Hand gezählt.

      Er freue sich schon auf den Anblick all der Kackschachteln mit ihren Sturzhelmfrisuren, sagte Volker.

      Im Friseursalon war es gerammelt voll. Ein armer Knilch fegte die Haarbüschel zusammen, und der Gestank aus der Damenabteilung wehte auch zu den Herren rüber.

      Als wir dachten, jetzt ist einer von uns dran, ließ der Friseur noch einen Opa vor, der erst lange nach uns gekommen war.

      Papierkragen um, Tuch über und hochgepumpt werden. Der Friseur schubste meinen Kopf rum und stach mir mit der Scherenspitze ins Ohr. Wenn ich zuckte, wurde ich angeranzt: »Sitz still, Junge!«

      Neben dem Spiegel hingen schnörkelig beschriftete Urkunden und Schwarzweißfotos von frisierten Schönlingen.

      Um nicht so auszusehen, als kämen wir vom Friseur, verstrubbelten Volker und ich uns die Haare mit den Händen und gingen dann den Wilgeshohl hoch, was kräftezehrend war.

      Wilgeshohl, da hörte sich schon der Name an wie der von miesem Gemüse. Ich drehte mich um und ging rückwärts hoch, aber das war auch nicht leichter, das kam einem nur kurz so vor.

      Als wir oben auf der Kaiser-Friedrich-Höhe eine Verschnaufpause einlegten, sahen wir den Ventilmops. Uns schien er nicht bemerkt zu haben. Wenn der hier irgendwo wohnte, wollte ich nie wieder zur Kaiser-Friedrich-Höhe.

      In letzter Minute nähte Mama noch die orangen Vorhänge für Renates Zimmer, weil Oma und Opa da schlafen sollten. Renate fand die Vorhänge widerwärtig, aber gegen Mama konnte sie sich nicht durchsetzen.

      Oma und Opa wunderten sich darüber, daß man bei uns durch die Garage ins Haus gehen mußte, weil es noch keine Treppe gab, die zur Haustür führte.

      In Volkers Zimmer sollten die Decke und die Dachschräge mit Brettern verschalt werden, aber die meisten Arbeiten im Haus blieben liegen, weil Papa schon genug damit zu tun hatte, die Autos zu reparieren. Erst den Peugeot, dann den Käfer und dann wieder den Peugeot.

      Am ersten Herbstferientag wollten Volker und ich eine Radtour nach Simmern machen, obwohl Mama uns verboten hatte, so weit zu fahren.

      Wir wühlten die Kindertonne nach Handschuhen und Mützen durch. »Gesetzt den Fall, der Winter weiß nicht, daß er erst in zwei Monaten auf dem Kalender steht«, sagte Volker.

      Unten in der Tonne lagen alte, hartgewordene Tempotaschentücher.

      Bis Simmern ging es immer nur bergauf, zwischen Feldern, und in Simmern dann erst recht. Als wir endlich ganz oben waren, fuhren wir auf der Straße von Simmern nach Neuhäusel weiter, bis zu einem Parkplatz, auf dem ein Schild stand: Kraftfahrer, steige aus und wandere!

      Bei der Fahrt zurück raste man auch ohne Treten wie eine gesengte Sau die Straße runter.

      An der Stelle, wo man rechts zum Mallendarer Berg abbiegen mußte, hielten wir an. »Ich will ja nicht übertreiben«, sagte Volker, »aber ich glaube, wir haben die Schallmauer durchbrochen!«

      Bei Rückenwind könnten wir hier auch mit Mach 2 runterflitzen. Das wären rund 2400 Stundenkilometer.

      Ich malte ein Bild von einem Mann, der auf einem Parkplatz Vögel füttert, und dazu das Schild: Kraftfahrer, steige aus und wandere!

      Mama fragte mich, woher ich das Schild kannte, und da mußte ich zugeben, daß ich mit Volker bis hinter Simmern gefahren war, wo Mama das Schild selbst mal gesehen hatte. Sie sagte, ich sei ein Schlitzohr, aber für sie nicht gewieft genug. Sie kenne ihre Pappenheimer.

      An Sankt Martin ging ich bei einem Umzug mit, weil ich dachte, daß die Leute alle dahinwollten, wo es Teilchen umsonst gab, wie auf der Horchheimer Höhe, aber auch nach zwei oder drei Kilometern kam kein Teilchentisch in Sicht. Stattdessen gingen die Leute im Gänsemarsch in eine Kirche, wo ein katholischer Gottesdienst anfing und ich womöglich noch beichten und Halleluja mitsingen mußte.

      Es war pickefinster, als ich alleine zurück nachhause lief.

      Ich war froh, daß ich kein Katholik war. Noch froher war ich, kein Negerjunge in der Serengeti zu sein und Rinderblut saufen zu müssen, wie in dem einen Fernsehfilm, in dem auch Gnus, Hyänen, Antilopen, Warzenschweine und Schakale vorkamen und Wilddiebe, die ausgehöhlte Elefantenfüße als Papierkörbe verkauften.

      Nachdem er den schrecklichen Drachen Murrumesch besiegt hatte, mußte der Kleine König Kalle Wirsch in der Augsburger Puppenkiste noch seinen Herausforderer Zoppo Trump besiegen und einen Rubin in der Hand zum Wachsen bringen, aber man konnte sehen, daß der Rubin nur zusammengeknülltes Plastik war.

      Das hatten auch Manfred Cordes und Michael Gerlach schlecht gefunden.

      Von einem Geschäft in Koblenz, das Beamteneinkauf hieß, kriegten Mama und Papa einen Brief. Auf Grund der Ihnen sicherlich bekannten Angelegenheit vom 28. 10. 1970, bei der wir Ihrem Sohn Volker gegenüber ein Hausverbot ausgesprochen haben, bitten wir Sie, daß diesem Hausverbot unbedingt Folge geleistet wird.

      Über Volker brach ein Riesendonnerwetter rein. Er heulte, trommelte mit den Fäusten an die Wand und brüllte, daß er nie in seinem Leben im Beamteneinkauf gewesen sei, aber Mama und Papa nahmen Volker das nicht ab.

      Sie fuhren mit ihm zum Beamteneinkauf, wo er was geklaut haben sollte. Für die Verkäuferin, die den Dieb erwischt hatte, war Volker ein Fremder. Aber der Dieb hatte angegeben, daß er Volker Schlosser heiße, wohnhaft in 5414 Vallendar, Theodor-Heuss-Straße 26.

      Mama und Papa erzählten das Volkers Klassenlehrer, und dann erschien die Verkäuferin in Volkers Klasse und zeigte auf Volkers Banknachbarn. Dieser Schlawiner hatte seinen Diebstahl einfach Volker in die Schuhe geschoben.

      Da war Volker rehabilitiert, ein Wort, das Mama mir übersetzen mußte.

      Im Haus rannte ich jedesmal mit Höchstgeschwindigkeit die Kellertreppe hoch und versuchte, oben anzukommen, ehe unten die schwere Feuerschutztür zwischen Garage und Waschküche ins Schloß fiel. Einmal hatte ich es bis zur vorletzten Stufe geschafft.

      »Machst du das auch immer?« fragte Renate, die oben mit Mütze, Schal und Mantel ausgehfertig vorm Garderobenspiegel stand. Den Wettlauf mit der Kellertür hatte Renate angeblich schon dreimal gewonnen, aber Renate hatte auch längere Beine.

      Am schnellsten konnte ich abends rennen. Dann saß mir die Angst vor Kellergespenstern im Nacken, die mich mit Spinnenfingern packen wollten.

      Vor