Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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mich Qualle und der Ventilmops hinter die Schule, rieben mir das Gesicht mit Schnee ein und stopften mir auch welchen in den Pulloverkragen.

      Frau Katzer merkte, daß ich geheult hatte, aber ich wollte nichts sagen. Ich wollte in Frieden gelassen werden.

      In der ersten Folge vom Kommissar, die ich bis zum Ende kucken durfte, wurde eine tote Frau im Moor gefunden, und als Renate von der Tanzstunde zurückkam, ging der Moormörder selbst gerade blubbernd im Moor unter.

      Im Fernsehen waren die Toten aber nicht wirklich tot, die hielten nur die Luft an.

      Ohne Karosserie, bloß noch mit Motor, Lenkrad, Fahrgestell und Sitzbänken, sah der VW-Käfer wie ein Mondfahrzeug aus. Wir durften uns reinsetzen, als Papa damit ums Haus fuhr, durch die Schneelandschaft, und Mama knipste uns.

      Im Stern war ein Foto von einem toten Jungen. Der war von Verbrechern entführt, bis auf die Unterhose ausgezogen und mit Draht an einen Baum gefesselt worden, hatte sich befreit, war zur Straße gehumpelt und bei minus 15 Grad im Schnee erfroren, obwohl da jede Menge Autofahrer vorbeigekommen waren. Der Junge, dem niemand half.

      Als ich bei Manfred Cordes Disco ’71 gekuckt hatte und rausging, waren bei meinem Fahrrad wieder die Reifen platt und die Ventile weg, und ich wußte genau, daß der Ventilmops dahintersteckte.

      Um ihm die Tour zu vermasseln, wollte ich mein Fahrrad bei uns in die Garageneinfahrt stellen und drinnen hinter der Gardine warten, bis er angerückt kam und die Ventile rausdrehte. Dann wollte ich mit Volkers Fotoapparat den Ventilmops durchs Fenster knipsen. Auf frischer Tat ertappt!

      Das wäre gut gewesen, aber Volkers Fotoapparat war kaputt, Renates auch, und nach Papas brauchte ich gar nicht erst zu fragen.

      Für mein Halbjahreszeugnis erhielt ich fünf Mark fünfzig, weil ich in Betragen, Rechtschreiben und Lesen Einsen und dann noch fünf Zweien hatte.

      »Eigenlob stinkt«, sagte Renate.

      Miracoli mit Tomatensoße.

      Mit dem Geld ging ich nach Vallendar, um mir was zu kaufen. »Tu, was du nicht lassen kannst«, hatte Mama gesagt. »Aber laß dir nicht wieder den letzten Strund andrehen!«

      Ich entschied mich für ein Plastikschwert mit Plastikscheide. Die Rittermaske, die dazugehörte, mit Visier, war zu teuer.

      »Mein lieber Schwan!« sagte Mama. »Was hast du dir denn dafür abknöpfen lassen?«

      »Drei Mark achtzig.«

      »Und der Rest? Hast du den auch verplempert?«

      »Nein.«

      »Fünf fünfzig minus drei achtzig macht nach Adam Riese eins siebzig. Zeig doch mal, wo du die hast!«

      Die hatte ich in Zuckerspeck und Bluna angelegt.

      Adam Riese konnte mir gestohlen bleiben. So ’n alter Opa, der in seiner mittelalterlichen Bude Meerschaumpfeife geraucht und einen Scheißdreck nach dem andern ausgerechnet hatte.

      Frau Katzer las eine Geschichte aus dem Lesebuch vor, über ein Puppenhaus, in dem die Familie Klinzig wohnte.

      Auch Jungen würden mit Puppen spielen, da sei gar nichts dabei, sagte Frau Katzer, und sie wollte wissen, welche Jungen in der Klasse mit Puppen spielten.

      Ulrich Gierge zeigte auf. Das war typisch für den. Ich hatte auch schon mit Puppen gespielt, aber vor der ganzen Klasse zugeben konnte sowas nur ein Supertöffel wie Ulrich Gierge.

      Bevor der Schulrat kam, impfte Frau Katzer uns ein, was wir auf ihre Fragen antworten sollten, bis ins kleinste. Daß wir die Stunde mit ihr schon geübt hätten, müsse aber unser kleines Geheimnis bleiben. Sonst kämen wir alle in Teufels Küche.

      Man merkte, daß Frau Katzer vor dem Schulrat Angst hatte, doch dann stellte sich raus, daß das ein gutgelaunter Dickmops war, vor dem man weniger Angst haben mußte als vor Frau Katzer. Solange der Schulrat da war, kriegte keiner eine geknallt, nicht mal Benno Anderbrügge, als er lange vor dem Klingeln anfing, seine Sachen einzupacken. Das holte Frau Katzer dann am nächsten Schultag nach.

      Jetzt wäre die Eingangstreppe fällig gewesen, aber es goß wie aus Eimern. Im Vorgarten lagen Bretter, und alles war mit Kieshaufen und Erdhaufen und Sandhaufen voll.

      Muhammad Ali sei ein Großmaul, sagte Mama. Immer rumzuposaunen, daß er der Größte sei! Bei ihr könne der damit keinen Eindruck schinden. Der heiße eigentlich auch gar nicht Muhammad Ali, sondern Cassius Clay.

      Bei seinem Boxkampf gegen Joe Frazier drückte ich trotzdem Muhammad Ali die Daumen, weil Joe Frazier aussah wie ein Schuftikus erster Güte.

      Volker und ich zogen Turnhosen an und trugen im Hobbyraum einen eigenen Boxkampf aus, der über fünfzehn Runden gehen sollte. Als Boxhandschuhe benutzten wir Waschlappen und als Mundschutz Apfelstücke. Seine Zahnspange hatte Volker rausgenommen.

      Auf in den Kampf, die Schwiegermutter naht! Siegesgewiß klappert ihr Gebiß.

      Volker mußte schätzen, wann drei Minuten um waren, und »Gong!« rufen. Dann gingen wir in unsere Ecken und rubbelten uns mit Handtüchern ab.

      Schläge unter die Gürtellinie waren verboten. In der dritten Runde landete ich einen Treffer an Volkers Stirn, aber er berappelte sich wieder und landete einen auf meinem linken Auge. Nach dem Gong lief ich hoch in die Küche, um mir ein Steak auf das Auge zu legen. Weil kein Steak da war, nahm ich eine Scheibe Cervelatwurst und tastete mich wieder zurück, Arme ausgestreckt, Kopf im Nacken und halbblind, mit der Wurst im Gesicht.

      »Voller Wanst gewinnt nicht gern«, sagte Volker, als ich die Wurst aufgefuttert hatte. »Gong zur vierten Runde!«

      Ich hatte vorgehabt, den Kampf zu gewinnen, aber dann boxte Volker mir mit voller Wucht in den Bauch, und ich ging zu Boden.

      Volker zählte mich aus. Dann reckte er die Arme nach oben, tanzte um mich rum, beugte sich über mich und sagte: »Na, wie fühlt man sich so als Verlierer?«

      Ich nahm Rache, indem ich Volker unters Kinn trat. Er fiel auf den Rücken, faßte sich an die Gurgel und krächzte, daß er keine Luft mehr kriege.

      Da rannte ich die Treppe hoch und ins Wohnzimmer: »Volker liegt im Hobbyraum und kriegt keine Luft mehr!«

      Mama und Papa sprangen auf und liefen nach unten.

      Ich blieb oben und versuchte, an was anderes zu denken, an was Schönes, an meinen Geburtstag oder an Weihnachten, aber das ging nicht.

      Im Fernsehen lief die Tagesschau. Der Suezkanal und die EWG.

      Wenn Volker jetzt hopsging, und ich war schuld? Wie sollte ich das je wieder gutmachen? Ich würde ins Gefängnis kommen, lebenslänglich, oder zur Adoption freigegeben werden.

      Es war aber falscher Alarm. Volker hatte mich nur verkackeiern wollen. Das war gemein von ihm, aber mir fiel ein Stein vom Herzen.

      »Ihr könnt einen vielleicht ins Bockshorn jagen«, sagte Mama und besah sich mein linkes Auge. Da war ein saftiges Veilchen am Erblühen.

      Am Erblühen, sowas durfte man bei Frau Katzer nicht sagen, sonst kriegte man zu hören: »Ich bin die Kuh am Stall am Schwanz am raus am Ziehen.«

      Mit dem blauen Auge war ich in der Schule der Held, nur nicht bei Melanie Pape, aber die konnte mich mal.

      Stephan Mittendorf lud mich ein, in Mittendorfs Swimmingpool zu baden, und ich ging hin, auch ohne Freischwimmer.

      Es war mir zu peinlich, den Schwimmreifen mit dem Schwanenkopf zu nehmen, aber ohne jede Schwimmhilfe wollte ich dann doch nicht ins Becken, und auf einmal stieß Stephans Bruder Markus mich rein.

      Bis ich wieder am Beckenrand war, hatte ich einen Haufen Wasser geschluckt und in die Nase gekriegt.

      Markus wurde von Frau Mittendorf auf sein Zimmer geschickt und zog laut maulend ab.

      Ich nahm den Schwanenreifen, und damit ging’s,