Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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nach langem Gezeter wälzte er seinen Hintern vom Sattel, trat gegen den Vorderreifen, spuckte aufs Schutzblech und sagte: »Geschenkt ist geschenkt, wiederholen ist gestohlen!« Mit uns werde er noch abrechnen, wir sollten bloß aufpassen.

      Was für ein dummes Arschloch.

      Als Kalli zu Besuch kam, brachte er sein Tonband mit und Unmengen von Süßigkeiten, weil seine Mutter jetzt bei Haribo arbeiten ging.

      Bei Lakritzschnecken wußte ich nie, was besser war, quer auffressen oder abrollen? Oder die Stränge trennen und beide einzeln zerkauen, damit man noch länger was davon hatte?

      Im Hobbyraum spielten Kalli, Volker und ich Wildwest bei Musik vom Tonband. Hit the road, Jack, and don’t you come back no more, no more, no more, no more!

      Kalli war unschlagbar. Der würfelte immer genau, was er brauchte, das war wie verhext. Zwischen Volker und mir wogte das Kampfglück hin und her, aber gegen Kalli kam man nicht an. Mir waren die blauen Indianer immer am besten vorgekommen, aber Kalli gewann mit den roten ein Spiel nach dem anderen, und sie stiegen in meiner Achtung, was ich von Volkers grünen Cowboys nicht behaupten konnte. Bei denen war kein einziges Lasso mehr heile.

      Im Wambachtal brachen wir wieder beim Fischzüchter ein, mit Kalli als Anführer. In den Becken konnte man die Forellen zucken sehen. Oder waren das Goldfische? Oder waren Goldfische und Forellen dasselbe?

      Als wir nach dem Sprudel im Schuppen kucken wollten, kam ein Mann auf einem Moped angeknattert. Der Fischzüchter höchstpersönlich.

      »Ab durch die Mitte«, sagte Kalli, und er war schon halb auf den hinteren Zaun geklettert, als der Züchter schrie, wir sollten uns nicht rühren: »Da sind Marderfallen!« Da kam auch Kalli wieder runter.

      Ich war der erste, den der Züchter beim Wickel hatte, und ich war sofort geständig. Wie ich hieß und wo ich wohnte und welche Telefonnummer wir hatten. Mit einem großen roten Bleistift schrieb der Züchter das in einen Notizblock, den er aus der Potasche gezogen hatte.

      Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen.

      Kalli log eiskalt. Er würde Jürgen Krause heißen und in Neuwied wohnen, Bergstraße 11, dritter Stock.

      »Telefonnummer!« brüllte der Züchter.

      An Kallis Stelle hätte ich jetzt aufgegeben, aber er schwindelte weiter: »Telefon ist noch nicht angemeldet. Wir sind letzte Woche umgezogen, mit unserer Mutter, mein Bruder Günter hier und ich.« Er zeigte auf Volker. »Unser Vater ist tot.«

      Den Notizblock steckte der Züchter wieder weg, aber er war noch nicht fertig mit uns. Ob wir ihm auch die Rolle Draht geklaut hätten, wollte er wissen.

      »Draht? Welcher Draht?«

      Das wüßten wir genau. Die Rolle Draht sei zweitausend Mark wert gewesen!

      Dann hatte der Züchter genug von uns. »Laßt euch nie wieder hier blicken!«

      »Die Gardinenpredigt hätte sich der Tattergreis auch schenken können«, sagte Kalli, als wir im Wambach nach der Drahtrolle suchten. Wenn die tatsächlich so viel wert war, wollte Kalli die verscheuern. Zweitausend Mark, da hätte eine alte Frau lange für stricken müssen, aber leider fanden wir die Rolle nicht mehr wieder.

      Abends hatte der Züchter noch nicht bei uns angerufen.

      Am ersten Schultag nach den Osterferien hatte ich mein Lesebuch nicht dabei. »Du wirst noch mal deinen Hintern vergessen«, sagte Frau Katzer. Das sagte sie immer, wenn jemand was vergessen hatte.

      Sie las uns die Geschichte von der Stadtmaus und der Landmaus vor, und dann sollten wir die beiden Mäuse malen. Die reiche Stadtmaus superfett, mit Orden am Hosenlatz und Goldringen an allen Fingern, und die arme Landmaus klapperdürr, in kurzen Hosen.

      In meinem Tuschkasten waren manche Farben schon fast alle. Bei anderen waren nur noch Brocken vorhanden, die man lange bepinseln mußte, um sie weichzukriegen.

      Der verklebte Deckel von der Deckweißtube ging überhaupt nicht mehr auf.

      Ulrich Gierge schüttete sein Pinselwasser Torsten Hommrich auf die Füße und kriegte von Frau Katzer dermaßen Keile, daß er um Gnade bettelte.

      Die Bilder hängte Frau Katzer im Klassenzimmer an der Wand auf. Meins hing in der oberen Reihe, das dritte von rechts. Da mußte ich immer hinkucken.

      Wenn wir wollten, könnten wir eine tolle Schülerzeitschrift abonnieren, sagte Frau Katzer. Die Mücke, sechsmal im Jahr. Lieder und Spiele stünden da drin und manches mehr.

      Ich meldete mich auch, obwohl die Mücke fünfzig Pfennig pro Ausgabe kosten sollte und ich kein Geld hatte, aber ich wollte nicht zu den Doofmännern gehören, die zu geizig waren, die Mücke zu abonnieren.

      Das Geld für die ersten sechs Hefte wollte Frau Katzer schon am nächsten Tag einsammeln. Wer A sagt, muß auch B sagen!

      Ich suchte die Spielzeugkiste durch und nahm Figuren mit, die ich auf dem Schulhof verhökern wollte, um das Geld für die Mücke zusammenzukriegen, aber Benno Anderbrügge, dem ich in der großen Pause einen Schlumpf anbot, sagte nur: »Wat sollischen dodemit?«

      Von den Abonnenten war ich der einzige, der Frau Katzer kein Geld für die Mücke geben konnte. Ich mußte einen Rückzieher machen, und das als Klassensprecher. Schimpf und Schande.

      Stephan Mittendorf wurde gerüffelt, weil er die Mädchen als Weiber bezeichnet hatte. Das gehöre sich nicht, sagte Frau Katzer. Das erinnere an das Wort Waschweiber. »Ihr Jungs wollt ja auch nicht Kerle genannt werden!«

      Kerle? Da war doch nichts gegen zu sagen.

      Ein Laster brachte Füllboden für uns. Bei der zweiten Fuhre durfte Volker mitfahren und dann beim Abladen den Hebel bedienen, der dafür da war, daß die Kippe hinten hochging und die Erde runterrutschte. Bei der dritten Fuhre durfte ich das dann selbst machen.

      Hinterher wollte Volker LKW-Fahrer werden. Entweder LKW-Fahrer oder Kamikazeflieger.

      Das Wirtshaus im Spessart gefiel mir nicht, obwohl Mama mir geraten hatte, das zu kucken. Räuber, die an altertümlichen Pfeifen nuckelten und zu doof waren, um zu merken, daß sich bei ihnen eine Frau in Männersachen eingeschlichen hatte, besten Dank.

      Zum Geburtstag kriegte ich einen Looping für die Carrerabahn, eine Single, Süßigkeiten, Strümpfe, zehn Mark und von Tante Dagmar ein Oberhemd mit tausend Stecknadeln drin.

      Und Bücher: Jim Knopf und die Wilde 13 von Michael Ende, Robinson Crusoe, Fredy und die Taubenpost, Fliegender Stern und Agarob der Buschmann.

      Mittags gab es Brathähnchen, mein Leibgericht. Renate wollte die Haut nicht essen, die kriegte ich noch dazu. Bei Hähnchen suchten wir immer alle nach dem Wünschelknochen. Wenn man den zu zweit zerbrach und dann das längere Stück in der Hand hatte, ging einem ein Wunsch in Erfüllung.

      Eingeladen hatte ich Manfred Cordes, Stephan Mittendorf, Michael Gerlach, Andreas König und Melanie Pape. Die sollte mal spüren, wie es war, das einzige Mädchen zu sein.

      Stephan Mittendorf brachte mir Bocciakugeln mit, in denen Wasser war, das man gluckern hören konnte.

      Mama schlug Sahne, und ich durfte die Quirle ablecken.

      Bei der Reise nach Jerusalem schied ich aus, hatte Wut im Bauch und haute mit der Faust auf den Eßtisch. »Produzier dich nicht so«, sagte Mama, und ich sollte auf den Flur gehen, bis ich mich wieder eingekriegt hatte.

      Volker und ich wollten den Looping in die Carrerabahn einbauen, aber das war knifflig. Die Scheißklammern wollten nie passen.

      Renate war nicht da, und ich konnte endlich meine Single hören. Mohikana Shalali. Auf der Hülle von Volkers Single sah Heino noch normal aus, aber auf meiner konnte man durch die Sonnenbrillengläser sehen, was der inzwischen für Glubschaugen hatte.

      Schwer mit den Schätzen des Orients beladen.

      Agarob der Buschmann war Kacke. Da wurde