Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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Anton, Otto, Aaaaadolf!«

      Im Krieg dann jede dritte Nacht der Tommy. Ausgebombte Nachbarn und im Winter der kegelförmige, hartgefrorene Kackhaufen im Plumpsklo, das sei nicht mehr feierlich gewesen. Oder die Inflation, als ein Brot eine Million Mark gekostet hatte und ein paar Tage später schon eine Milliarde.

      In Jever durfte man die Badewanne nur so weit einlaufen lassen, daß man in einer Pfütze Wasser saß. Der Schwamm hing an einem Faden mit roter Holzkugel dran. Auf dem Wannenboden klebte eine Gummimatte mit Saugnäpfen, und nach zehn Minuten scheuchte Oma einen wieder raus aus der Wanne.

      Das Gästeschlafzimmer war im Keller. Das Fenster hatte eine Milchglasscheibe, gegen die nachts im Wind die Zweige von den Rosensträuchern im Vorgarten tickten.

      Im Schrank lagen Gustavs Schlittschuhe und alte Bücher. Reader’s Digest, Deutschstunde und Ansichten eines Clowns.

      Wenn man mußte, mußte man durch den Keller am knackenden Heizkessel vorbei den Flur lang um zwei Ecken rum zur Holztreppe, die nur am oberen Ende einen Lichtschalter hatte, und dann noch die dunkle Treppe hoch in die Wohnung und zum Klo.

      Und wieder runter, was genauso unheimlich war. Oma wollte nicht, daß das Licht die ganze Nacht brannte, und die Lichtschalter im Keller waren so gescheit verteilt, daß man nicht nur vorm Anmachen, sondern auch nach dem Ausmachen immer dunkle Strecken vor sich hatte.

      Selbst Volker, der schon zwölf war, gruselte sich im Keller.

      Einmal dachte ich, hinter der Ecke steht einer, aber es war nur der knackende Heizkessel.

      Dann stellte Oma einen Blecheimer zum Reinpullern nach unten. Den Eimer nannte sie Tante Meier. Wenn wir da hinmußten, sollten wir danach eine alte Zeitung drauflegen.

      Vor dem Frühstück mußten wir Tante Meier oben im Klo auskippen.

      Anstelle von SB gab es in Jever Rama. Morgenfrisch und urgesund.

      Im Garten spielten wir Krocket. Da mußte man mit Stöcken Holzbälle durch Tore aus gelbem Draht kicken.

      Oma bereitete Rotbarschfilets zu. Säubern, säuern, salzen.

      Nach dem Essen setzte Mama sich in die Veranda und las in der neuen Hörzu. Fragen Sie Frau Irene.

      Das Verandaregal hatte einen Vorhang. Meyers Klassiker-Ausgaben: Goethe, Grillparzer, Körner, Lessing, Reuter, Scheffel und Schiller. Tausend Jahre Jever. Soll und Haben von Gustav Freytag.

      In der Zigarrenkiste auf Opas Schreibtisch lagen neben den Zigarren Büroklammern, gelbe Mundstücke und abgestreifte Bauchbinden. Handelsgold.

      Die Tüte Salzstangen, die ich im Wohnzimmerbüfett zwischen Vasen und Tortenplatten aufstöberte, war noch zu, aber vom angebrochenen Käsegebäck konnte ich gefahrlos was wegnehmen.

      Ergiebig waren auch die Packungen mit Schokostreuseln und süßen Mandeln. In der Kandisdose lag obenauf ein Zettel: Finger weg, du Naschkatze!

      Der Eßtisch hatte eine Schublade, in der Oma Einmachgummis, Rabattmarken und Korken hortete. Unterm Banksitz, den man hochklappen konnte, lagen Spiele. Denkfix, Malefiz und Halma.

      Im Keller war Gustavs Bravosammlung. Wer den Bravo-Otto bekommen hatte. Briefe von Mädchen, die mit gleichaltrigen Jungen in den Federkrieg eintreten wollten, und Schicksalsbriefe an Dr. Vollmer. Ein Junge, der beim Raufen einen Steifen gekriegt hatte, wollte wissen, ob er homosexuell sei.

      Im Briefschlitz steckte das Jeversche Wochenblatt, und auf dem Fußabstreifer lag die Bildzeitung, die sich Oma und Opa mit Kaufholds teilten.

      In einem Spielzeugladen klaute ich Indianer. Erst einen, dann zwei und dann vier auf einmal. Ich wartete schon immer vor dem Laden auf das Ende der Mittagspause.

      Mein Trick war, daß ich einen Indianer kaufte und die anderen in der Jacke versteckt nach draußen schmuggelte. Dreimal hatte das geklappt, aber beim vierten Mal fragte mich die Frau an der Kasse: »Ist das alles?« Und gleich nochmal: »Ist das wirklich alles?«

      Ich dachte, die spinnt oder ist schwer von Kapee, aber dann kam eine andere Frau von hinten an und rupfte die Indianer aus meinen Jackentaschen.

      »Und jetzt mach die Biege, Freundchen«, sagte sie, »sonst rufen wir die Polizei!«

      Zum Tee hatte Oma in der Veranda Schalen mit Butterkeksen und Zitronenröllchen angerichtet. Ich griff zu, bis Mama mir einen Klaps auf die Hand gab. »Andere Leute wollen auch noch was!« Ich sei wohl vom Stamme Nimm.

      Einmal nahm Opa Volker und mich in den Schloßturm mit, bis unter die Uhr, wo die Holztreppen schon halb verwittert waren und kein Geländer mehr hatten. Als Heimatvereinsmeier hatte Opa da freien Zutritt.

      Die Stufen waren dick bedeckt mit toten Fliegen, und an den Wänden hatten sich Leute aus früheren Jahrhunderten verewigt.

      Eigentlich komisch, daß man sich nicht erinnern konnte, wo man vor seiner Geburt gewesen war.

      Auf dem Schützenfest durften wir mit der wubbeligen Cortinabahn fahren und im Riesenrad und im Auto-Scooter. Volker und ich versuchten, zu zweit fahrende Mädchen in die Bredullje zu bringen.

      Schön ist es, auf der Welt zu sein, sagt die Biene zu dem Stachelschwein!

      Als ich auf einem Pony reiten wollte, sagte Mama, das könne ich auch morgen noch tun. Aber am nächsten Tag waren die Ponys weg. Da lag bloß noch Sägemehl in der Manege.

      Im Zoo von Logabirum, wo wir auf der Rückreise Halt machten, gab es Wildschweine und Zebras, aber auch wieder keine Ponys, auf denen man reiten konnte.

      Wir fuhren über Hannover, um bei Tante Dagmar Renate einzusammeln, die aus Castelldefels dunkelbraungebrannt zurückgekommen war, fast schon verkohlt.

      Dann kriegten wir noch Kaffee und Käsekuchen bei Onkel Rudolf und Tante Hilde, die in einem Reihenhaus mit vier Etagen wohnten und drei Töchter hatten: Franziska, Alexandra und Kirstin. Ganz oben, in Franziskas Zimmer, durfte ich mir die Single Anuschka von Udo Jürgens anhören. Ich machte das Fenster auf, damit meine Kusine unten im Garten mitbekam, daß ich das Lied immer wieder abdudelte. Auf dem Dorf beim Tanze sah ich sie und sank fast in die Knie, sie war so schön wie Milch und Blut …

      Mein Wunsch, Franziska die Single abzuluchsen, ging in Erfüllung: »Wenn die dir so gut gefällt, dann nimmse mit!« Leider hing mir Anuschka jetzt zum Hals raus.

      Meine Zwiebeln waren gut gediehen. Volker zählte die Körner, die sein Ziermais hatte.

      Der Rasen durfte noch nicht betreten werden.

      In Vallendar fanden Volker und ich in einem Mauerloch eine halbvolle Schachtel Ernte 23. Als wir in Papas Schreibtisch auch noch Streichhölzer ausfindig gemacht hatten, gingen wir zum Paffen weg.

      Von den Zigaretten kriegte man einen rauhen Hals, aber weil wir irgendwie auf den Geschmack gekommen waren, kratzten wir, als die Schachtel leer war, unseren Zaster zusammen und radelten zum Automaten in der Schubertstraße. Milde Sorte, Reval, Astor, Atika, Lord Extra, Overstolz, HB, Pall Mall und Peter Stuyvesant.

      Volker zog Reval. Das waren Zigaretten ohne Filter. Schon nach dem ersten Zug hatte ich innen hinter den Lippen alles mit Tabakkrümeln voll und hätte fast gekotzt.

      Zuhause trank ich erstmal Wasser aus dem Waschküchenhahn.

      Als nächstes zog Volker eine Schachtel Milde Sorte. Er lud mich zum Paffen ins Wambachtal ein, aber vorher futterten wir noch jeder drei Stücke von der Walnußtorte, die Mama zur Feier des Tages eingekauft hatte, obwohl es gar nichts zu feiern gab.

      Mit den Gedanken war ich schon im Wambachtal. Walnußtorte fressen und anschließend Sargnägel quarzen, ob man dafür in die Hölle kommen konnte?

      Bei einer Radtour nach Simmern klauten wir uns Maiskolben vom Feld. Erst vorne den Fusselzopf abreißen, dann die Blätter abpellen. Der Mais war noch nicht reif, und wir schmissen die Kolben weg, um uns keinen flotten Heinrich einzufangen.

      Wenn