Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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Handstand mit Überschlag, Flickflack und auf den Händen vorwärts laufen.

      »Das gibt’s doch gar nicht«, sagte Mama. »Das wäre ja olympiareif.«

      Dickere Muskeln hatte ich noch nicht, aber überall blaue Flecken. Mit Einmachgummis die Oberarme abklemmen, damit das Blut sich staut und die Adern auf dem Handrücken anschwellen.

      Als ich Wilfried von meiner Heino-Single erzählte, wollte er die ausborgen, und ich brachte sie ihm mit, aber bis ich sie wiederhatte, mußte ich ihn dreimal dran erinnern, und wir wurden keine Freunde.

      In den Herbstferien wollte Volker die Carrerabahn wieder aufbauen, aber Papa mußte noch Volkers Auto reparieren, und da kam es nicht zu. Papa schenkte Volker stattdessen ein Autoquartett. PS und Hubraum. Silver Arrow war die zweitbeste und Golden Arrow die beste Karte. Es gab auch welche mit superlahmen Benzindroschken aus der Steinzeit.

      Von den anderen Spielen fand ich Mühle am miesesten. Da gewann ich nie, höchstens mal gegen Wiebke. Von Volker wurde ich immer in die Zwickmühle gebracht und konnte ziehen, wie ich wollte, ich war jedesmal der Gelackmeierte.

      Im Vorspann von High Chaparral konnte man einen Dünnen neben einem Dickwanst an der Schlucht stehen sehen.

      »Wenn ein Mann Ärger hat, dann muß er das schon selbst in Ordnung bringen«, sagte Big John Cannon, der Vater, ein Rinderbaron mit weißen Koteletten. Sein mexikanischer Schwager Manolito rief unentwegt Sachen wie »Amigo!« und »Arriba!« und »He, warte auf mich, Hombre!« Der mit den Federn am schwarzen Hut war Johns Bruder Buck.

      Die Cowboys mußten Pferde in die Koppel treiben und mit Hufeisen beschlagen oder beim Viehtreck Rinder wieder einfangen, aber im übrigen konnten sie eine ruhige Kugel schieben. Auf dem Zaun sitzen, um Streichhölzer pokern, mit dem Schießeisen Konservenbüchsen tanzen lassen und auf der Gitarre klimpern. Ins Bett gingen alle unausgezogen, und aus Schabernack packten sie sich gegenseitig Schlangen unter die Decke. Bei Vollmond heulten draußen die Wölfe.

      Nach einem Skorpionbiß mußte jemand das Gift aus der Wunde saugen und ausspucken. In acht zu nehmen hatten sich die Cowboys auch vor den Apatschen, für die es ein Klacks war, Leuten die Nase abzuschneiden, und vor Pferdedieben und Gesetzlosen, die nicht lange fackelten, wenn es darum ging, jemanden umzupusten. Wenn die Männer ausritten, um den Kampf aufzunehmen, blieb Big Johns Frau nichts anderes übrig, als sich sorgenvoll an den Verandapfosten zu lehnen.

      Winnetou war der Beste von meinen Indianern. Den ließ ich Mutproben bestehen. Fünf Minuten im heißen Backofen, eine Stunde im Gefrierfach und eine Nacht im Garten. Für die härteste Mutprobe von allen knotete ich Winnetou an einer Paketschnur fest und spülte ihn das Klo runter. Als ich die Schnur wieder hochzog, war Winnetou weg.

      Ich sah mir lange die leere Schnur an. So mußte es sein, wenn man unter Schock stand.

      Nicht einmal eine Squaw hatte Winnetou gehabt vor seinem Tod im Klo.

      Aus einem anderen Stück Schnur und zwei Schuhcremedosen hatte Volker ein Telefon gebastelt. Damit unterhielten wir uns im Garten. Die Schnur mußte straff sein.

      »Wie geht es dir, Compadre?«

      »Danke, ich kann nicht besser klagen!«

      In die Schule brachte Manfred Cordes Honigmuscheln mit, die man in der hohlen Hand halten und ausschlecken konnte, ohne daß Frau Katzer Lunte roch.

      Michael Gerlach hatte ein Gedicht verfaßt: Ich habe eine Hose, die hat Löcher große, doch eine Hose ist sie keine, denn sie hat nur noch ihre Beine. Ich schrieb auch eins: Wenn ich einmal reich wär und ein fetter Scheich wär, führte ich ein heiteres Leben ohne weiteres.

      Wir schrieben noch mehr von der Sorte, und ich fragte Frau Katzer, ob wir unsere Gedichte mal in der Klasse vortragen dürften. Durften wir, und am Ende klatschten alle, auch Roswitha Schrimpf, und ich setzte mich mit knallrotem Kopf wieder hin.

      Rechts von der Sebastian-Kneipp-Straße wurde ein Freibad gebaut, und links davon war ein großer Schrottplatz, wo Volker und ich Massen von Sachen fanden, die man noch gebrauchen konnte. Puppen, bei denen der eine oder andere Arm fehlte, breite Batterien von Daimon und gnubbelige Glasschälchen. »In sowas kriegt man nur Salat, der nicht schmeckt«, sagte Volker. »Wachsbohnen und Rote Bete und so ’n Zeug.«

      Wir nahmen die Schälchen dann aber doch mit, als Weihnachtsgeschenk für Mama. Für Wiebke war ein kleiner Stoffseehund mit Knopfaugen und für Renate eine Schmuckschatulle.

      Sicherungen, ausgemusterte Radios, Autoreifen und ein verrostetes Stück Metall, das auch eine Granate sein konnte, ein Blindgänger aus dem Krieg.

      »Schuhe abtreten!« rief Mama und hielt sich die Nase zu. »Pfui Deibel nee!« Stinktiere wie wir müßten sofort in die Wanne gesteckt werden. »Euch kann man nicht mal mehr mit der Kneifzange anfassen.«

      Nase, Hand, Gesicht und Ohren sind so schwarz als wie die Mohren.

      Frau Katzer fragte uns, ob wir schon von dem großen Unglück gehört hätten. Die neue Rheinbrücke sei eingestürzt. Erst halb fertig und dann vorne abgeknickt. Dreißig Menschen seien mit in die Tiefe gerissen worden, Arbeiter und Ingenieure, und dreizehn davon ertrunken. Taucher hätten die Leichen wegen der starken Strömung an den Brückenpfeilern festgebunden.

      Eine furchtbare Geschichte. Und wir sollten auch mal an die armen Angehörigen denken. Die könnten ja nie wieder ihres Lebens froh werden.

      Oliver Wolter zeigte auf und brüstete sich damit, daß ein Onkel von ihm Rettungsschwimmer sei, bei der DLRG. Warum konnte der Ventilmops nicht zur Abwechslung mal Oliver Wolter das Maul stopfen?

      Zum 44. Geburtstag malte ich für Papa ein Bild von Frau Malzahn mit einem Schild in den Klauen: Herzliche Drachenspucke zum Geburtstag!

      Auf dem Gabentisch lagen fast nur Socken und Taschentücher. Und ein blauer Schlips mit roten Querstreifen, den Papa nicht leiden mochte. »Soll ich vielleicht wie so ’n Papagei ins Büro gehen?«

      Im Stern war ein Fortsetzungsroman über einen Jungen abgedruckt, der eine tote Frau in der Tiefkühltruhe versteckt hatte. Nachts fürchtete sich der Junge dann vor der spukenden Toten. Philly Spitalnik, sechzehn Jahre alt. Beim Lesen kriegte ich ein schlechtes Gewissen, als ob ich mit dem Mörder unter einer Decke gesteckt hätte, und ich brachte es nicht mehr über mich, abends Brot aus der Kühltruhe hochzuholen, schon gar nicht mitten in dem Krimi von Durbridge, als da eine Leiche vorgekommen war mit Messer im Rücken. Sollte Volker doch runterlatschen, wenn der so abgebrüht war, wie er tat, oder Wiebke.

      Renate hatte die fixe Idee, ein Jahr lang in Amerika zur Schule zu gehen. Den Horizont erweitern, Augen und Ohren aufsperren und irgendwann fließend Englisch können. »Die Amis sprechen alle so, als ob sie ’ne heiße Kartoffel im Mund hätten«, sagte Papa.

      Bei einem Schüleraustauschdienst war Renate in die engere Wahl gekommen und fuhr mit Mama zur Vorstellung nach Frankfurt.

      Cowboys und Indianer, Jeeps und G.I.-Joes. Renate würde sich da bestimmt zur halben Amerikanerin entwickeln. Dafür hätte Volker solange in ihr Zimmer ziehen können.

      Volker setzte mir haarklein auseinander, wieso wir uns zu Weihnachten zusammen eine Dampfmaschine wünschen sollten. Der eigentliche Grund war aber, daß die Dampfmaschine für Volker alleine zu teuer war.

      Ich wälzte den Quellekatalog im Wohnzimmer und tat so, als ob ich nach Weihnachtsgeschenken für meinen eigenen Wunschzettel suchte. Ritterburgen, Roboter, ferngesteuerte Spielzeugautos und das schöne Mädchen von Seite eins. Dabei wollte ich nur wissen, was die elektrischen Rasenmäher kosteten, weil ich die Absicht hatte, Mama und Papa einen zu schenken.

      Automatischer Drehzahlregler, Stahlgehäuse mit Einbrennlackierung, mehrseitig verwendbare Messerklingen, Schnitthöhe vierfach verstellbar. Leidergottes waren die Rasenmäher alle ausgesprochen kostspielig. Für den billigsten waren zweiundsiebzig Mark zu berappen. Eine Stange Geld. Bei neunzig Pfennig Taschengeld in der Woche, einem Groschen für jedes Lebensjahr, hätte ich soundso lange jeden