Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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Frau Katzers Segen verkündeten Michael Gerlach und ich im Deutschunterricht, daß wir bei mir im Hobbyraum eine Dichterlesung veranstalten wollten, für drei Mark Eintritt. Wer kommen wollte, sollte sich melden.

      Das taten fast alle, auch Roswitha Schrimpf. Dreißig mal drei macht neunzig, geteilt durch zwei fünfundvierzig. Damit hätte ich meine Kasse gewaltig aufbessern können. Fünfundvierzig Mark!

      Oder noch mehr. Ich wollte bei der Dichterlesung Fanta verkaufen, eine Mark das Glas. Aber nach Melanie Pape, Manfred Cordes, Stephan Mittendorf, Norbert Ripp und Oliver Wolter kam kein Aas mehr, und als Mama Wind davon kriegte, daß wir Eintrittsgeld genommen hatten, mußten wir alles wieder hergeben.

      Bittesehr. Aber dann konnten sich Mama und Papa auch den elektrischen Rasenmäher abschminken. Aus der Traum!

      Wenn wenigstens Roswitha Schrimpf gekommen wäre. Bei der hatte ich wohl doch keinen Stein im Brett.

      Aus Frankfurt war ein Brief gekommen: Mit Renates Amerikajahr war es Essig. »Außer Spesen nichts gewesen«, sagte Mama.

      Für Oma und Opa Jever schrieb ich Witze aus dem Buch von Willy Millowitsch ab. Im Wartezimmer beklagt sich eine Frau: »Ekelhaft, ich kann gar nicht aufstehen! Mein Fuß ist eingeschlafen!« – »Was heißt eingeschlafen«, sagt die Nachbarin mit bösem Blick. »Nach dem Geruch zu urteilen, muß er schon lange tot sein.«

      Die Stadt Hannover suchte einen Slogan, für den es Geld geben sollte, und Mama dachte sich einen aus: Hannover hat die Welt zu Gast.

      Einmal so einen Spruch aus dem Boden stampfen und dann für immer in dulci jubilo davon leben können.

      Als es Fischstäbchen mit Pellkartoffeln gab, löcherte ich Mama, bis sie mir erlaubte, eine von den Kartoffeln vor dem Pellen zu zerquetschen, über meinem Teller, mit bloßer Hand, wie der Seewolf, aber innen war die Kartoffel noch kochend heiß, und ich ließ sie fallen.

      In der Küche hielt ich die Hand unter fließend kaltes Wasser und kriegte trotzdem eine Brandblase.

      Am vierten Advent wurde dem schmierigen Schiffskoch im Seewolf von einem Hai der Fuß abgebissen. Köchlein robbte übers Deck, und man sah den blutigen Stumpf zucken.

      Papa las uns die Weihnachtsgeschichte vor. Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzet würde und so weiter, das zog sich ziemlich hin.

      Bei der Bescherung stellte Papa den Kassettenrekorder auf Aufnahme.

      »Paßt mal auf«, sagte Mama. »Ihr habt alle neue Teller in euern Farben!«

      Volker und ich hatten Melodicas gekriegt und spielten drauflos. Süßer die Glocken nie klingen, Wir lagen vor Madagaskar und Zeig mir den Platz an der Sonne, wo alle Menschen sich verstehn. Wiebke, die eine rote Kindermelodica bekommen hatte, quäkte dazwischen und wurde von Mama gebeten, die Tröte nicht so weit in den Mund zu stecken.

      »Das kann ja kein Schwein aushalten«, sagte Papa und ging aufs Klo.

      Unten an der Melodica war eine Lasche. Wenn man die öffnete und oben reinblies, lief da die angesammelte Spucke raus.

      Nicht vergessen sollten wir, wer uns was geschenkt hatte. Von Tante Dagmar waren zwei Taschenbücher für mich, eins mit Rätselspäßen und eins mit Zungenbrechern und Scherzgedichten. Wenn die Möpse Schnäpse trinken und an Stangen Schlangen hangen.

      Das Dominospiel war von Oma Schlosser für alle.

      Am ersten Feiertag hörten wir uns die Kassette von der Bescherung an.

      »Jetzt legt mal ’n Augenblick die Dinger weg, damit wir uns hier verständigen können. Die eingewickelten Sachen, wo kein Name draufsteht, sind von Tante Dagmar.« Mama.

      »Mama, kuck mal, was ich Schönes gekriegt hab, von Tante Grete so ’ne tolle Tasche und noch zwanzig Mark!« Renate.

      »Richard, komm mal her und setz dich hier auch mal rüber, hier ist auch was für dich. Wir machen nachher noch ’n paar Aufnahmen. Komm.« Mama.

      »Stickbilder!« Wiebke.

      »Siehst du mal, und das Garn ist auch gleich dabei!« Mama.

      »Und noch ’ne Giraffe! Und ’ne Kirche! Zum Sticken!« Wiebke.

      »Fliegende Tiere, Stürme, Reptilien, Weltraum, jabba dabba du!« Volker.

      »Und hier sind nochmal fünfzehn Mark, Mama!« Renate.

      »Mama, was ist denn da noch alles für mich?« Wiebke.

      »Hier, der ganze Haufen! Märchenfiguren für dein Zimmer! Toll, was?« Mama.

      »Jaa!« Wiebke.

      »Sag mal: Dankeschön, Volker!« Mama.

      »Dankeschön, Volker!« Wiebke.

      »Da nicht für!« Volker.

      »Kuck mal, Papa, was das hier für ’n tolles Ding ist von Tante Grete, echtes Leder! Und zwanzig Mark dabei. Und ’n Scheck hab ich von Tante Dorothea. Fümmensechzig Mark hab ich zusammen von allen.« Renate.

      »Noch mehr Märchenfiguren! Mit Flügeln! Mama, kuck mal! Mama, kuck doch mal!« Wiebke.

      »Noch mehr Märchenfiguren? Ach du lieber Himmel! Alle von Martin?« Mama.

      »Ist das auch vom Schrottplatz?« Papa.

      »Mama, was ist mein Teller?« Wiebke.

      »Das ist nicht alles vom Schrottplatz!« Ich.

      »Wiebke, hör mal hier den Brief von Oma Schlosser. Liebe Wiebke! Diesen Pullover hat deine Oma aus Hilden für dich angefertigt! Ich habe viele liebe Gedanken mit hineingestrickt.« Mama.

      »Kuck mal, was Tante Dagmar mir alles geschenkt hat, hier so ’n Spray und hier dies schöne Handtuch und Bonbons.« Renate.

      »Volker, kuck mal, hmm namm namm namm!« Wiebke.

      »Papa, kuck mal, eine Tasche für Kleingeld, dann ist hier so ’ne extra Stecktasche und eins, zwei, drei, vier, fünf Taschen für Geldscheine. Da passen auch Führerschein und Ausweise rein.« Renate.

      »Jetzt habt ihr immer noch nicht alles ausgepackt. Das große Paket von Tante Hilde liegt da vorne.« Mama.

      »Ich bin mit Lesestoff für die nächsten zwanzig Jahre versorgt!« Volker.

      »Wiebke, das hier ist vom Weihnachtsmann.« Mama.

      »Martin, laß mal bei deiner Melodica gleich das schwarze Mundstück drauf, damit ihr die nicht verwechselt.« Papa.

      »Wenn du das schwarze benutzt und Volker das weiße, dann weißt du immer, welche deine ist.« Mama.

      »Aye, aye, Sir!« Ich. Auf der Kassette klang meine Stimme anders als sonst.

      Die Kuh, die saß im Schwalbennest mit sieben jungen Ziegen, die feierten ihr Jubelfest und fingen an zu fliegen, stand in meinem einen neuen Taschenbuch. Lebe glücklich, lebe froh, wie der König Salomo, der auf seinem Throne saß und verfaulte Äpfel fraß. Das grenzte ja an Gotteslästerung.

      Wenn der Storch mit dem Mops übern Stuhl wegspringt und die Wurst in der Luft den Frosch verschlingt.

      Von den Zungenbrechern waren manche babyleicht. Hinter Hansens Hühnerhaus hängen hundert Hemden raus. Oder: Wir Wiener Waschweiber würden weiße Wäsche waschen, wenn wir wüßten, wo warmes Wasser wäre. Schwierig war außer Fischers Fritze nur der letzte: Zwischen zwei Zwetschgenzweigen zwitschern zwei Schwalben.

      Ein Gedicht verstand ich nicht: Zwei Knaben machten einen Bummel und fanden ein Zigarrenstummel. Sie rauchten beide gravitätisch, das weitere ist unästhetisch.

      Beim Mittagessen fiel mir das wieder ein.

      »Papa, was ist unästhetisch?«

      »Du.«

      Unästhetisch, wo ich dieses