Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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und einen Obermotz in Walle-walle-Gewändern verehren mußte.

      Unten im Schiebeschrank lag ein Fünfpfennigstück. Bank deutscher Länder. Draufbeißen, ob es kein Falschgeld ist. Jetzt waren ja überall Blüten im Umlauf.

      Einen Falschgeldmünzer dingfest machen, und dann klopft einem der Kriminalkommissar auf die Schulter: »Junger Mann, wir sind Ihnen zu Dank verpflichtet!« Und ich zu den Pressefritzen: »Angefangen hat alles mit einem Fünfpfennigstück …«

      Aber wenn da Hunde draufgepinkelt oder Füchse draufgeschissen hatten, machten sich’s jetzt Wurmeier in mir gemütlich, und mir mußte ein vier Meter langer Bandwurm aus dem Po gezogen werden. Das hatte Papa als Kind mal erlebt.

      Ich ging ins Bad und spülte mir den Mund aus.

      Dann zählte ich meine Piepen nach. Der Pfennigturm war am höchsten, aber am wenigsten wert.

      Wer den Pfennig nicht ehrt. Einer, Zweier, Fünfer, Zehner. Alles auf die hohe Kante legen. Kleinvieh macht auch Mist. Eigenartig, daß die Zweier größer waren als die Fünfer.

      Ich schlich mich ins Elternschlafzimmer. Papa war im Keller, und Mama hängte im Garten Laken an der Wäschespinne auf.

      Unten in Papas Nachtschränkchen lagen Schuhspanner aus Holz und oben in der Schublade zusammengerollte Socken und Papas Portjuchheirassa.

      Fünf Zwanzigmarkscheine waren drin. Einen nahm ich raus und klemmte ihn mir zusammengerollt vorne unterm T-Shirt in den Turnhosenbund. Ich dachte, es fällt schon nicht auf, ob da vier oder fünf Zwanzigmarkscheine im Portemonnaie stecken.

      In der Küche kriegten Volker und ich von Mama jeder zwei Mark, die wir bei der Kirmes in Vallendar auf den Kopp hauen durften. Neue Münzen, mit Adenauer auf der Rückseite statt Max Planck. Damit wären wir nicht weit gekommen, aber ich hatte ja vorgesorgt.

      In Vallendar sollten wir Leergut abgeben, vier Flaschen. »Wie siehst du bloß wieder aus!« rief Mama und wollte mir das Hemd in die Hose stopfen. Vor Schreck ließ ich die Tüte mit den Flaschen fallen. Eine zerbrach, und Mama sagte, ich sei ein nervöses Handtuch.

      »Da können wir ja in Saus und Braus leben«, sagte Volker, als ich ihm die Moneten gezeigt hatte. Wir brauchten wahrlich nicht zu knapsen. In Vallendar kaufte ich uns jedem ein Mars und auf der Kirmes Zuckerwatte. Ich hatte die Spendierhosen an.

      Das viele Wechselgeld hielt ich in der Hand fest, aber als ich beim Auto-Scooter-Fahren mit Volkers Wagen zusammenknallte, fiel alles auf die Piste, und nach der Fahrt fand ich nur fünfzig Pfennig wieder.

      Abends hörte ich Mama und Papa streiten. Es ging um die zwanzig Mark. Papa hatte Volker und mich im Verdacht, aber Mama sagte, das würde sie uns nicht zutrauen. Den eigenen Vater zu bestehlen!

      Lügen haben kurze Beine. Ich lief in mein Zimmer und versteckte mich unterm Doppelstockbett.

      Mama zog mich am Fuß raus.

      Die Strafen waren hart. Prügeltracht, kein Dick und Doof, kein Mannix, und ich durfte erstmal nicht mit nach Jever. »Da brauchst du gar nicht so zu kucken wie Naphthalin!«

      Keine Ahnung, wer Naphthalin war.

      Stephan Mittendorf hatte seine Eltern angeblich noch nie im Leben angelogen. Ich dagegen hätte überhaupt nicht mehr zählen können, wie oft ich meine Eltern schon angelogen hatte, ohne mit der Wimper zu zucken, aber das hätte ich ihm nicht verraten sollen. Als ich das nächste Mal bei ihm zuhause war, nahm seine Mutter mich in den Arm und sagte: »Martin, das darfst du nie wieder tun, deine Eltern anlügen!«

      Mama und Papa brachten Volker und Wiebke nach Jever. Zwei Tage ohne Eltern. Renate erntete Himbeeren für Rautenbergs, die in den Schwarzwald gefahren waren. Ich bereitete mir geschlagenes Ei mit Zucker zu und kuckte Fernsehen. Damit Sie auch morgen noch kraftvoll zubeißen können. Dash, Fewamat und Creme 21. Ihr Mund wird kußfrisch wie noch nie!

      Dann kam Renate mit blutendem Fuß ins Wohnzimmer gehumpelt. Sie war in Rautenbergs Garten auf einen rostigen Zinken getreten. Die Spitze hatte sich durch die Strandlatschensohle gebohrt und dann tief in den Fuß.

      Ich lief zu Mittendorfs, Hilfe holen, und Stephans Mutter fuhr uns nach Vallendar ins Krankenhaus, wo Renate eine Tetanusspritze gegen Blutvergiftung kriegte. Erst der Zinken, dann die Spritze, das war nicht Renates Glückstag.

      Als ich schon im Bett lag, kam Renate rein und erzählte mir was von einem Liebespaar, das sich umarmt und küßt. Zwischendurch kuckte sie nach, ob ich von der Geschichte einen steifen Pimmel gekriegt hatte.

      »Aber behalt das für dich«, sagte Renate.

      Im Wambachtal spielten Michael Gerlach und ich, daß wir Kettensträflinge wären, auf der Flucht vor der Polente und deren Bluthunden, wie in dem Film, in dem die entflohenen Sträflinge vor Hunger einen Frosch gebraten und gefressen hatten, aber das mit dem Frosch ließen wir weg.

      Im Zweiten kam ganz spät eine schweinische Sendung, die Renate kucken wollte. Das sexte Programm. Ich war hundemüde und bei dem Film davor schon dreimal eingeschlafen, aber bis zum sexten Programm wollte ich aufbleiben. Und dann schlief ich doch wieder ein. Alles, woran ich mich morgens noch erinnern konnte, waren zwei dicke Frauenbrüste, die in Zeitlupe bei Glockengeläut zusammengeprallt waren. Daß wir das gekuckt hatten, mußte ich vor Mama und Papa geheimhalten, genauso wie das mit der Gutenachtgeschichte.

      Herr Winter spülte sein Auto in der Einfahrt mit dem Schlauch ab, und ich sah zu, wie das Wasser durch den Rinnstein vor unserem Haus zum Gully floß.

      Renate war jetzt mit der Brillenschlange Rüdiger liiert, fuhr aber ohne ihn mit Tante Dagmar, Tante Grete und Gustav für drei Wochen nach Castelldefels in Spanien.

      In der Tagesschau konnte man den Bankräuber Rammelmayr tot auf der Straße liegen sehen, von Polizeischarfschützen erschossen.

      In Bruchköbel war eine neue Kusine zur Welt gekommen, meine elfte. Vettern hatte ich erst sieben. Drei Onkel und sechs Tanten, einen Bruder und zwei Schwestern. Ein jüngerer Bruder wäre auch nicht schlecht gewesen. Zur Not auch noch eine zweite Schwester, so wie im Fernsehen: Drei Mädchen und drei Jungen. Plus Haushälterin und Hund.

      »Das kannst du dir aus dem Kopf schlagen«, sagte Mama.

      Damit wir von der Terrasse zur Schaukel konnten, hatte Papa Steinplatten in den Rasen eingepaßt, von dem noch nicht viel zu sehen war. Ich übersprang immer gleich zwei, und einmal landete ich mit der Hacke im Rasen, in letzter Sekunde vor der Abfahrt nach Jever. Mit dem Hintern umschmeißen, was andere mit den Händen aufgebaut hätten, das sei mein Spezialgebiet, sagte Papa. »Kannst du nicht besser aufpassen auf deine Kackstelzen?«

      In der Mühlenstraße 47 hing ein Schild an der Haustürklinke: Wir sind im Garten! Das machte Mama wütend. »Wie kann man nur! Da weiß doch jeder Einbrecher, daß er freien Eintritt hat!«

      Als erstes raufte ich mich mit Volker, wobei keiner von uns gewann. Beim Händewaschen vorm Abendbrot sagte er, unser Kämpfchen sei ihm ein Hochgenuß gewesen.

      Oma und Opa waren ein Stockwerk tiefer gezogen, in die Wohnung von Frau Apken, die in ein Heim gekommen war. Geistig umnachtet und bloß noch ein Klappergestell. »Sitzt da, muß mit dem Löffel gefüttert werden und erkennt keinen mehr, nicht mal mich«, sagte Oma. »Streicht sich hundertmal in der Minute den Rock glatt und sagt: Guten Tag, guten Tag, auch wenn sie ganz alleine ist. Die arme Frau!«

      Oben wohnte jetzt eine Familie mit zwei kleinen Kindern. Tjark und Gesche. Die waren mehr Wiebkes Kaliber.

      Weil im Fernsehen nur Schrott kam, wurden alte Alben bekuckt. Mama erklärte, wer wer war. Opa als Soldat und unser zwei Meter langer Urgroßopa, der sich mit dem Arm an die Regenrinne lehnen konnte. Wenn die Kinder Zwieback gekriegt hatten, sei er nach draußen gerannt: »Lot mi rut, Tweeback-Knacken geiht los!«

      In Moorwarfen hatte Mama einen Mitschüler gehabt, der für zwanzig Pfennig Fröschen den Kopf abgebissen hatte.

      Und Frau Siebels mit ihren acht Kindern,