Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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die alles mögliche nicht durften. Einmal kam Frau Rautenberg rüber, um Mama zu missionieren, aber Mama machte lieber Kaffee für Frau Rautenberg und sich selbst, und beim Kaffee erzählte Frau Rautenberg, daß ihr Mann ihr verboten habe, Lippenstift zu benutzen. Wer rote Lippen haben will, soll drauf rumbeißen, habe Herr Rautenberg gesagt.

      Wir hatten ja viel Krempel, aber Rautenbergs hatten noch mehr. In deren Garage waren alle Sachen so untergebracht, daß das Auto eben noch reinpaßte, und wenn es nicht drinstand, sah man an der Lücke, daß es ein VW sein mußte.

      Von seinen Töchtern wollte Herr Rautenberg, daß sie immer kuckten, ob was Kaputtes an der Straße stand, eine Waschmaschine oder ein alter Fernseher. Dann fuhr Herr Rautenberg da hin und nahm das mit, und die Tochter, die den Fund gemeldet hatte, kriegte fünfzig Pfennig. Aber weil schon sieben kaputte Fernseher und fünf kaputte Waschmaschinen im Haus standen, wollte Frau Rautenberg nichts neues Kaputtes mehr und bot den Töchtern eine Mark dafür, daß sie den Schnabel hielten, wenn sie was gesehen hatten.

      Herr Rautenberg hatte eine Zeitung abonniert, die Such & Find hieß, und wenn da jemand inseriert hatte, daß eine alte Trockenschleuder über sei, dann kaufte er die.

      Herr Winter gab Mama den Rat, Feuerdorn zu pflanzen, damit uns keine Hunde in den Vorgarten kackten: »Da kieksense sich die Eier.«

      Als er einmal an seiner Hecke schnippelte und ich nicht Guten Tag zu ihm gesagt hatte, blaffte Herr Winter mich an, daß ich ja wohl ein ganz sturer Patron sei. Von da an konnte ich den Kerl nicht mehr leiden, und ich war froh, daß ich nicht Wiebkes Zimmer hatte und durchs Fenster immer auf dem sein Haus kucken mußte.

      Die Leute mit dem Garten, der anfing, wo unserer aufhörte, hießen Wölk, aber bis wir da mal hintergekommen waren, hatte Papa Herrn Wölk schon auf den Namen das Walroß getauft, weil Herr Wölk so fett war. Der saß in seiner Hollywoodschaukel oder schwabbelte am Zaun lang und wachte darüber, daß niemand am Sonntag Gartenarbeit machte, weil das in dieser Katholengegend verboten war.

      Im Haus fehlten jetzt noch die Tapeten in der Diele, die Doppeltür zwischen Diele und Wohnzimmer, fast alles in Volkers Zimmer und die Treppe nach oben. Da kam man nur über eine Leiter hoch.

      Die Treppe draußen konnte noch nicht gemacht werden, weil die Erde gefroren war.

      Handwerker, die den Schnött hochzogen, brachten Latüchten im Flur an und montierten einen Automatikherd in die Küche, aber eigenen Strom hatten wir immer noch nicht.

      Der Hobbyraum war vollgepfropft mit Brettern, Papptonnen, Bierkisten und Kartons voller Gerümpel. Ich turnte dadrin rum, fiel hin und kriegte Nasenbluten.

      Mama legte mir einen kalten Waschlappen ins Genick.

      Komisch, daß ein Lappen im Nacken gegen Nasenbluten half.

      Ende März kriegten wir endlich Strom, das Treppengeländer und alle Lichtschachtgitter, und ich kriegte überall Pickel.

      Mama ging mit mir nach Vallendar zu Doktor Kretzschmar. An der Wand im Wartezimmer hing ein gerahmter Zettel: Unmögliches wird sofort erledigt, Wunder dauern etwas länger.

      Die Sprechstundenhilfe steckte mir einen Zitronenbonbon zu.

      »Weißt du auch, wieso die Herren Herren heißen und die Damen Damen?« fragte Doktor Kretzschmar mich. Das wußte ich: »Weil die Herren herrlich sind und die Damen dämlich!«

      »Ihr Sohn hat einen guten Humor«, sagte Doktor Kretzschmar zu Mama, und dann stach er mir mit einem Pieker in die linke Ringfingerspitze, was sauwehtat.

      Ich hatte Windpocken und mußte alleine in Wiebkes Zimmer schlafen, in Renates altem Klappbett.

      Kratzen durfte ich mich nicht.

      Ich kriegte ein langärmeliges Schlafanzugoberteil und auf die Pickel Puder und Zinkcreme.

      Am Ostersonntag brachte Wiebke mir drei harte Eier und einen Schokoladenosterhasen ans Bett, aber ganz hektisch, weil sie Angst hatte, sich anzustecken.

      Während der Windpocken verpaßte ich Flipper, die kleinen Strolche, die Shadocks, Tarzan, Big Valley, die erste Folge von Invasion von der Wega und den Start der neuen Apollorakete.

      Volker hatte die Direktübertragung gesehen. Er konstruierte jetzt Überschallfernbomber auf Papier. Wie Daniel Düsentrieb.

      Jugend forscht.

      In einem von Papas alten Micky-Maus-Heften war eine Geschichte, wo Daniel Düsentrieb mit einer von ihm selbst erfundenen Rucksackrakete rumflog, die auch eine Farbspritzpistole war. Dem Ingenieur ist nichts zu schwör!

      Fliegen konnte auch Donald Duck. Einmal schrieb er mit Rauch aus dem Flugzeugauspuff Reklamesprüche an den Himmel, für Labbisuppe und für Onkel Dagobert, als der für den Stadtrat von Entenhausen kandidieren wollte, aber dann kamen Wolken, Wildgänse und Wind, und am Himmel sah Onkel Dagobert plötzlich aus wie ein Affe, wie ein Esel und wie jemand, der ein Kind mit dem Besen verhaut.

      Als reichster Mann der Welt konnte Onkel Dagobert in seinem Geldspeicher in Talern baden, aber andere kriegten nie was davon ab. Am schärfsten wachte der alte Geizhals über seinen ersten selbstverdienten Taler, den ihm die Hexe Gundel Gaukeley ständig abjagen wollte.

      Donald hatte nie Geld. Der mußte als Hundefänger, Telegrammbote, Walfänger und Feuerwehrmann schuften, und alles ging schief. Als Stationsvorsteher mußte er auf hungrige Truthühner aufpassen, die ihm den Ärmel abfraßen.

      Mit Daisy Duck hätte ich mich anstelle von Donald aber nicht abgegeben. Die hatte schon so doofe Schuhe an und ging auch mit Gustav Gans aus, dem Glückspilz, der auf der Straße immer volle Portemonnaies entdeckte und sie Donald vor der Nase wegschnappte.

      Als Donald Duck mal Glück gehabt hatte, sang er zusammen mit Tick, Trick und Track: Gustav Gans, ja, der kann’s! Doch unser Schwein ist auch nicht klein!

      Auf Tick, Trick und Track paßte nur Onkel Donald auf, der nicht so schlau war wie seine drei Neffen und oft auch ärmer. Dann stahl er ihnen was aus dem Sparschwein. Dafür wollten Tick, Trick und Track sich nicht waschen: Wir pfeifen auf Pomade, auf Seife, Kamm und Schwamm! Und bleiben lieber dreckig und wälzen uns im Schlamm!

      Als einmal eine führerlose Lokomotive auf einen vollbesetzten Eilzug zuraste, rechneten Tick, Trick und Track alleine aus, wo Onkel Dagoberts Hubschrauberpiloten die Schaumgummimatratzen abwerfen mußten, um in letzter Sekunde den Zusammenstoß zu dämpfen. Im Fernsehen wurden Tick, Trick und Track dafür von einem Nachrichtensprecher gelobt, und Onkel Donald standen Fragezeichen überm Dez.

      Renate kam rein, um mir ein Geschenk zu bringen, aber das gab sie mir erst, als ich versprochen hatte, niemals jemandem was davon zu sagen. Das Geschenk war aus Knüpferli gebastelt.

      »Das ist ein Sackwärmer«, sagte Renate.

      Der Sackwärmer paßte, und Renate lachte sich schief, aber ich mußte ihr noch einmal versprechen, nie, nie, nie jemandem was davon zu sagen.

      Vorm Haus war alles kahl, und die Außenwände waren noch nicht verputzt. Um in ihr Zimmer zu kommen, mußte Renate immer noch über die Leiter klettern. Innen im Haus hatten die Handwerker Würmchenmuster in den Putz gekratzt.

      Weil Frau Weißpfennig schwanger war, hatten wir als Vertretung Frau Klemm, die Ohrringe anhatte und uns Blumennamen beibrachte: Rittersporn, Holunder, Goldregen und Klatschmohn. Sie nahm auch Nutzpflanzen mit uns durch. Weizen, Gerste und Roggen, Sandhafer und Saathafer.

      Zum Geburtstag bekam ich ein Fahrrad. Von den restlichen Geschenken waren ein Kinderlexikon und ein Stempel mit meinem Namen und meiner Adresse die besten.

      Dazu ein Stempelkissen. Den Stempel knallte ich in das Lexikon und dann in alle meine anderen Bücher rein.

      In dem Lexikon, das erst für Jungen und Mädchen von 10 bis 14 war, stand auf der ersten Seite was über Aale. Im Sargassomeer laichen die Aale und sterben dann vor Entkräftung.

      Schlosser kam nicht vor, Koblenz auch nicht, Vallendar auch nicht, Mallendarer