Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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laut knallen wie im Fernsehen. Die Geräusche kämen davon, daß einer mit der Peitsche auf tote Schweine haut.

      In den Bergen lauerten Klapperschlangen, und in der City war ein Saloon, wo die Cowboys bei Schießereien erstmal mit dem Gewehrgriff ein Loch ins Fenster kloppen mußten.

      Im neuen Haus strich Papa die Ölkellerwände mit Spezialfarbe, fünfmal nacheinander, was Mama überflüssig fand. Sie schimpfte auch über die Stifte der Firma Gerstacker, die den großen Heizkessel intelligenterweise genau vor das Garagentor gestellt hatten.

      In Westlich von Santa Fé schlug sich ein Vater mit seinem Sohn im Wilden Westen durch. Der Vater konnte mit seiner Winchester schneller schießen als alle andern Cowboys mit dem Revolver, und er mußte auch oft dem Sheriff helfen.

      Bei denen gab es keine Ölkellerwände, die gestrichen werden mußten. Wenn Papa ganz alleine mit mir im Wilden Westen gewesen wäre, hätte er auch mit der Winchester schießen müssen, aber Papa war kriegsbeschädigt und hätte wahrscheinlich keine Lust dazu gehabt, mit ’ner Winchester rumzuballern. Die einzige Waffe, die Papa hatte, war ein Totschläger, ein brauner Lederknüppel, der oben auf dem Boden lag, für den Fall der Fälle.

      Im Fernsehen lief jetzt auch Vorsicht Falle! Die Kriminalpolizei warnt: Nepper, Schlepper, Bauernfänger, mit Eduard Zimmermann, der beim Sprechen schmatzte. »Warum muß der Kerl bloß immer so schmatzen?« fragte Mama. Wenn das Schmatzen kam, schmatzten wir alle mit.

      Auf der Kinderseite vom Stern stand, wie man Regenwürmer aus der Erde lockt. Der Natur auf der Spur. Man sollte ein Brett schräg in die Erde stecken und mit den Fingern auf das Brett trommeln, dann würden die Regenwürmer aus Furcht vor Maulwürfen und Regen in Scharen an die Erdoberfläche kommen.

      Volker und ich testeten das im Garten, weil Papa für den Komposthaufen Regenwürmer brauchte, aber bei uns kam kein einziger nach oben.

      »Die lesen eben nicht den Stern«, sagte Volker.

      In dem Dornengestrüpp vorm Wäldchen hatten fremde Kinder meinen Bumerang gefunden und warfen damit rum. »Da mußt du hingehen und denen sagen, daß das deiner ist«, sagte Mama. Ich wollte erst nicht, aber dann ging ich doch, und die fremden Kinder gaben mir den Bumerang zurück. Ich hatte gedacht, die würden mich auslachen.

      Als sie weg waren, schmiß ich den Bumerang hoch übers Wäldchen, aber er kam nicht wieder. Ich holte Uwe, und wir suchten das ganze Wäldchen ab, ohne den Bumerang wiederzufinden.

      In die Schlucht hatte jemand eine alte Waschmaschine geworfen. Ob die noch ging?

      Bei unseren Legosteinen gab es welche, die wackelig waren. Andere backten so fest zusammen, daß man sie nicht mal mit den Nägeln und den Zähnen wieder auseinanderkriegte.

      Im Bett las ich in Hauffs Märchen. Kalif Storch und sein Großwesir, die beide das Zauberwort vergessen hatten, das sie wieder zu Menschen machte. Traurig wandelten die Verzauberten durch die Felder.

      Onkel Dietrich kam zu Besuch, um Papa beim Einsetzen der Türzargen im Dachgeschoß zu helfen. Ich wollte meine gesammelten Witzfotos aus dem Stern vorzeigen und durfte mich auf Onkel Dietrichs Schoß setzen. Der Fußballer, dem der Arsch halb aus der Hose hing (Au Backe!), die Katze im Waschbecken (Einmal Katzenwäsche bitte!), der nackte Junge mit den Revolvern im Holster (Milder Westen) und das Reh, das hinter einem Baum hervorlugte (Kuckuck, Herr Grzimek!).

      Für die Werkbank, die Papa in der Garage im neuen Haus anbringen wollte, hatte die Firma Bollmann schiefe Winkeleisen geliefert.

      Als Geschenk zu Papas Geburtstag schrieb ich aus dem Gedächtnis was aus der Fernsehserie Kapitän Harmsen auf.

      – Moin Willem!

      – Moin Puttfarken! Du, Puttfarken, alles klar?

      – Alles klar. Du, Willem?

      – Ja?

      – Is’ was?

      – Nee.

      – Schlecht geschlafen?

      – Nee, schlecht geträumt. Hab geträumt, Hannibal hat mir ’n großen Zeh abgebissen.

      – Was schläfst du auch mit bloße Füße!

      Papa mußte auf Dienstreise nach Italien. Vorher holte er in Ehrenbreitstein die Schiene für die Faltwand ab und setzte im neuen Haus die Garagenfenster ein.

      »So bei kleinem kommen wir weiter«, sagte Mama, und dann mußten wir still sein, weil sie auch mal was im Fernsehen kucken wollte. Die seltsamen Methoden des Franz Josef Wanninger. Ich fand Percy Stuart besser.

      Wenn man das dickere Ende von einem Ahornflügelchen aufgepult und auseinanderklappt hatte, konnte man sich das auf die Nase kleben, und es fiel nicht runter.

      Frau Kahlfuß brachte uns bei, wie man Kastanienmännchen bastelt, aber wir durften sie nicht mit nachhause nehmen. Die sollten auf der Fensterbank stehenbleiben.

      Einem Postkartenheini kaufte Mama an der Tür zwei Krippenbilder ab, mit dem Mund gemalt von Contergankindern. So gut wie die hätte ich nie malen können, schon gar nicht mit dem Mund.

      »Sei bloß froh«, sagte Mama. Als ich noch in ihrem Bauch gewesen war, hatte Mama nämlich auch die Contergantabletten genommen, aber ich war gesund geboren worden.

      Zusammen mit Renate und Volker durfte ich in Koblenz wieder ins Kino gehen. Wir fuhren mit dem Bus hin, über den Rhein, und stiegen am Zentralplatz aus. Renate wußte, wo wir von da aus langgehen mußten.

      Der Film war mit einem VW-Käfer, der auf den Hinterreifen fahren und Leute mit Öl anpinkeln konnte. Beim Autorennen überholte der Käfer alle anderen Autos. Auf der Zielgeraden brach er auseinander, und die hintere Hälfte von dem Käfer rollte noch vor der vorderen über die Ziellinie.

      In Italien hatte Papa den schiefen Turm von Pisa fotografiert, aber der Film mußte erst noch entwickelt werden.

      Wenn man wollte, daß Papa lachte, mußte man »pföne Mupfel« sagen, so wie der Pinguin in Urmel aus dem Eis, der »schöne Muschel« nicht aussprechen konnte. Papa fand auch den See-Elefanten gut, der beim Singen mit den Augen klapperte.

      Urmel, Schnuller um den Hals, und Mama Wutz: »Öff öff!« Sogar darüber lachte Papa.

      Auf der Baustelle setzte er die Haustür ein. Als wir abfuhren, winkte uns ein kleines Mädchen mit Brille nach.

      Das sei Ute, sagte Wiebke. Diese Ute war die zweitjüngste Tochter unserer neuen Nachbarn, Rautenbergs. Die jüngste hieß Dörte. Söhne gab es da keine. Jetzt hatte Wiebke auf dem Mallendarer Berg schon eine Freundin, aber ich hatte noch keinen Freund. Den würde ich mir erst umständlich suchen müssen.

      Wenn ich schlaf, dann träume ich: Jetzt bringt Niklaus was für mich. Ich wollte wachbleiben, bis der Nikolaus was brachte, aber das schaffte ich nicht.

      Morgens war mein Stiefel vor der Zimmertür mit grünen Papierservietten ausgelegt und mit noch mehr Süßigkeiten gefüllt als im Jahr davor. Normal waren Schokolade, Kekse und Nüsse. Diesmal gab’s auch Schokoladenzigaretten, bei denen man nicht wußte, ob man das Papier mitessen konnte, und einen großen Stutenkerl mit weißer Tonpfeife. Der Pfeifenstiel war so geformt, daß man die Zähne nicht zusammenkriegte. Oder man mußte die Pfeife quernehmen, aber dann zeigte der Pfeifenkopf zur Seite.

      Als Mama noch klein gewesen war, hatte ihr der Nikolaus in Moorwarfen immer eine Scheibe Schwarzbrot und zwei Stück Würfelzucker für die Pferde vom Milchmann hingelegt. Ich hatte Mitleid mit Mama, weil ich dachte, sie und ihre Schwestern hätten damals gar nichts für sich selbst gekriegt, aber das hatte ich bloß falsch verstanden. Auch nach Moorwarfen war der Nikolaus mit Schokolade gekommen, sogar im Krieg.

      Mama und Papa waren todmüde, weil sie noch bis tief in die Nacht mit Kollegen von Papa den Bau besichtigt hatten. Papa hatte die Bautrockner neu beschicken müssen, und dann war der Autoschlüssel verschütt gegangen, und die Straßen waren spiegelglatt gewesen. Erst um halb vier Uhr