Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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abends hatte Haut drauf. Ich war ganz froh, als Mama und Papa wiederkamen, obwohl Mama erstmal schimpfte, weil überall im Haus Licht an war. »Was ist denn das hier für ’ne Festbeleuchtung?«

      Mama war gereizt, weil sie sich für das Klassentreffen ein neues Kleid bei C&A gekauft hatte, und dann waren drei andere Frauen mit genau dem gleichen Kleid gekommen.

      Um wie Huckleberry Finn auszusehen, zerrissen Uwe und ich uns im Wald die Anoraks. Lieber als Postbote wollte ich jetzt Globetrotter oder Kopfgeldjäger werden oder ein Floß haben, und weil ich meinen Anorak mutwillig ruiniert hatte, kriegte ich Hausarrest.

      Papa saß am Eßtisch und bosselte an dem Modell von dem Haus, in das wir umziehen sollten. Das Dach und die zwei oberen Etagen lagen lose auf, und man konnte alles sehen, die Kinderzimmer, das Wohnzimmer, das Arbeitszimmer, die Küche und die Klos und die Garage. Die Fenster waren aus Plastik und die Treppenstufen aus Pappe.

      Mit einer Kulimine bohrte ich hinter Papas Rücken in der Steckdose, bis ich einen Schlag im Arm und im Bauch kriegte und vor Schreck umfiel.

      »Prost Mahlzeit«, sagte Papa. Jetzt hätte ich einen gewischt gekriegt. Das werde mir hoffentlich eine Lehre sein.

      An Silvester durften Volker und ich mit Streichhölzern die Lunten der Tischraketen anzünden. Die Raketen jaulten, und dann kamen unten graue Würste raus. Aus Knallbonbons, die man an beiden Enden ziehen mußte, flogen beim Knall kleine Glücksschweinchen und Schornsteinfeger aus Plastik in die Bude.

      Dann durfte auch der Tannenbaum geplündert werden. Am leckersten waren die Schokoladenkringel.

      Draußen war alles matschig, und es regnete Bindfäden. Im Treppenhaus war Schimmel an der Decke, den Mama mit dem Handfeger wegbürsten mußte.

      Das Buch mit Künstler Mäxchen gehörte Wiebke. Mäxchen war ein Bär mit Mütze, der malen konnte und mit einem Elefanten befreundet war, der Ziehharmonika spielte. Der Elefant hieß Jimmy.

      Mein Wildwestfort hatte Palisaden, einen Turm mit Auskuck und ein Holzhaus. Wenn ich damit spielen wollte, zog ich meine Cowboyweste mit dem Sheriffstern an.

      Als die Schule wieder anfing, holte Ingo Trinklein mich morgens ab, zusammen mit Rainer Waletzky und Hermann Kalb. Am Himmel funkelten die Sterne. Gott der Herr hat sie gezählet.

      Hermann Kalb hinkte, weil sein eines Bein zu kurz war. Beim Fangen auf dem Schulhof machte er nicht mit, aber er hatte einmal bei einem Kämpfchen Paul Dickel untergebuttert.

      Frau Kahlfuß las uns das Märchen von dem bösen Wolf vor, der sechs Geißlein gefressen hatte und schnarchte, und von der Geißenmutter, die dem Wolf den Bauch aufschnitt. Schnipp schnapp, schnipp schnapp, schneidet die Schere. Schon hat der Wolf ein Loch im Bauch. Heraus kommen alle sechs Geißlein! Lauft, Kinder! Schnell! Schnell! Steine herbei! Steine für den Bauch! Stich, stich, stich, das Loch ist wieder zu. Der Wolf wacht wieder auf. Er brummt: Ach, och, uch, auch, was rumpelt mir im Bauch?

      Buschbrände löschen und auf der Wamerustation helfen, wenn die Leoparden krank waren, das war auch ein guter Beruf.

      Weil der Löwe Clarence in der Serie schielte, sagte ich zu Wiebke, daß wir zusammen Daktari spielen könnten, mit ihr als Clarence, und sie heulte los, obwohl ich das nur als Witz gemeint hatte.

      Mama erwischte mich mit einem Nimm 2 im Mund, das ich von Volkers Geburtstagstisch genommen hatte.

      Wir hätten doch eine Abmachung, sagte Mama. Ich hätte versprochen, nie wieder was zu stehlen. Das Nimm 2 mußte ich in den Küchenmülleimer spucken, und dann kriegte ich Zimmerarrest.

      Vom Fenster aus sah ich Uwe, Heinz und Kurt im Wäldchen spielen. Tom Sawyer wäre durchs Fenster geklettert und mit Huckleberry Finn auf eine Insel abgehauen, aber bis zum Rhein war es zu weit. Der hatte auch keine Insel, jedenfalls keine, die ich kannte, und wenn eine dagewesen wäre, hätte ich nicht gewußt, wie ich hinkommen soll.

      An einer Stelle war die Tischplattenleiste kaputt, da konnte man die Leiste bis zur Tischecke rausziehen. Ich knickte ein Stück von der Leiste ab, und dann zerbrach ich noch das Tor von meinem Cowboyfort. Das hatte Mama jetzt davon.

      Auf der Fensterbank lagen die Bilder, die ich als letzte gemalt hatte. Eine Burg mit einem Ritter auf einem Pferd und ein Forscher, der gebückt mit einer Taschenlampe durch den Kriechkeller geht.

      Wir hatten noch nicht alle Buchstaben gelernt, aber das meiste im Räuber Hotzenplotz konnte ich schon lesen, auch wenn ich lange dafür brauchte. Wie er der Großmutter die Kaffeemühle stiehlt und mit der Pfefferpistole auf Seppel schießt. Die Brille von der Großmutter hieß Zwicker.

      Der große böse Zauberer Petrosilius Zwackelmann hatte Warzen auf der Nase, und in seinem Schloß hatte er ein Zimmer mit Augen auf der Tapete, einem ausgestopften Krokodil an der Decke und einem Knochengerippe neben dem Bücherregal. Auf einem Bild sah man, wie Petrosilius Zwackelmann auf seinem Zaubermantel nach Buxtehude flog. Kasperl suchte währenddessen nach dem Feenkraut, um damit die verzauberte Unke im Schloßkeller zu retten. Dann krachte das ganze große Schloß zusammen, mit allen Türmen, und Kasperl und Seppel kriegten von der Großmutter Pflaumenkuchen mit Schlagsahne, bis sie Bauchweh bekamen, und sie waren so glücklich, daß sie mit keinem Menschen getauscht hätten, selbst mit dem Kaiser von Konstantinopel nicht.

      Mama brachte die entwickelten Weihnachtsfotos mit. Da waren zum ersten Mal welche in bunt bei. Auf dem einen hatte ich die rote Cowboyweste an und den Cowboyhut auf und zielte mit der Pistole an die Decke, das fand ich am besten.

      Hausaufgaben. Die armen Vögelein. Da liegen sie und piepen. Hilfe, Hilfe, wir frieren und hungern! Peter hilft. Ei, da freuen sich die Vögel. Ziwitt, ziwitt, zwitschern sie.

      Wir mußten uns entscheiden, ob wir lieber im Ersten Sindbads siebente Reise kucken wollten oder Bonanza im Zweiten. »Man kann sich aus des Lebens Kuchen nicht nur die Rosinen suchen«, sagte Mama.

      Sindbads siebente Reise war mit einem Zauberer, der eine Frau in eine Schlange mit vier Armen verwandeln konnte. Eine Prinzessin machte der Zauberer mit Zauberdampf ganz klein. Um sie wieder großzumachen, brauchte Sindbad eine Eierschale aus dem Nest vom Vogel Rock auf der Zyklopeninsel.

      Von den Männern, mit denen Sindbad zu der Insel gefahren war, röstete sich der Zyklop einen am Spieß, aber Sindbad warf dem Zyklopen einen brennenden Speer ins Auge, und der Zyklop fiel einen Abhang runter und war tot.

      Auf der Insel war auch ein Schatz, und aus dem Ei vom Vogel Rock schlüpfte ein Riesenküken mit zwei Köpfen. Später mußte Sindbad noch ein Skelett und einen Drachen besiegen.

      Von dem Drachen malte ich ein Bild. Da versuchten Sindbad und die anderen Männer von seinem Schiff den Drachen totzumachen. Einer saß auf dem Knie von dem Drachen und stach mit dem Messer rein. Andere schossen Kugeln und Pfeile ab, und vom Fuß des Drachen wurde einer von den Jägern zermanscht. Dem malte ich eine Sprechblase. Er sollte »Prost Mahlzeit« sagen, und Sindbad, der auf dem Rücken von dem Drachen saß und da eine Axt reinhaute, sollte denken, daß der, der »Prost Mahlzeit« gerufen hatte, irgendwas aufißt, und ich malte für Sindbad eine Sprechblase, wo er sagte: »Freßsack da unten!« Die Wörter konnte ich aber noch nicht alle. Ich schrieb »Brust Malzit« und »Fräsack da onten«, und als Papa das Bild sah, fand er »Fräsack da onten« so gut, daß er das immer sagte, wenn einer von uns beim Essen schmatzte, aber man konnte auch eine gescheuert kriegen.

      Volker wollte sich aus Wiebkes altem Kinderwagen eine Seifenkiste bauen, aber Mama sagte, der sei noch tadellos in Schuß und zu schade für solche Schnapsideen.

      Kallis Eltern luden Volker und mich ins Kino ein. Es war schon dunkel, als wir in Koblenz ankamen. Kallis Vater fuhr mit uns in die Tiefgarage. Kallis Mutter hatte eine weiße Hose an.

      Das Kino hieß Residenz und hatte überm Eingang eine Krone mit drei Zacken als i-Punkt.

      Ein Mann mit Taschenlampe zeigte uns, wo wir sitzen sollten. Ich saß neben Volker. Der Film hatte gerade angefangen. Vor uns saßen Leute, die mit ihren Köpfen immer im Bild waren, aber dazwischen konnte ich