Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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der US-Streitkräfte, und man erfuhr, daß Uli Hoeneß für eine Autogrammstunde zweitausend Mark verlangte.

      Höchst interessant. Man ließ sich ja praktisch für dumm verkaufen, wenn man den Spiegel nicht las. Den wollte ich mir jetzt jede Woche holen und ihn am besten auch sammeln, so wie’s Gustav tat.

      Pastor Böker bereitete uns auf den Konfirmationsgottesdienst vor und auf die Prüfungsfragen, die wir da zu beantworten hätten, in Anwesenheit der Gemeinde. Er spielte das schon mal durch: Wer wann was gefragt werde und welche Antwort man dann zu geben habe.

      Lug und Trug. So wie früher in der Grundschule die vorab mit der Klassenlehrerin abgesprochene Stunde, wenn der Schulrat mit der Aktentasche auf dem Schoß ganz hinten gesessen hatte, um ein objektives Bild von der Qualität des Unterrichts zu gewinnen.

      Am Ende würden wir einzeln nach vorne gerufen und eingesegnet, wobei wir knien müßten, und dann gäb’s die Konfirmationsurkunde.

      Üben mußten wir auch das Verzehren der nach Pappe schmeckenden Oblate und das Nippen am Weinkelch.

      Volker und ich hatten schon alle Jalousien runtergelassen, als Mama und Papa wiederkamen.

      Renates Zimmer sei man winzig, aber nicht weit weg von der PH, sagte Mama. Einen Kleiderschrank hätten sie noch besorgen müssen, weil da nur ein Mini-Exemplar gestanden habe. Und dann stutzte sie: »Häch? Wie kommt’n der neue Spiegel hierher?«

      »Den hab ich mir gekauft«, sagte ich.

      »Aha? Und wovon?«

      »Von meinem Taschengeld.«

      »Na, kiek mol eener an! Aus Kindern werden Leute, was? Aber jetzt hopp ab ins Bett, wenn ich bitten darf. Marsch, marsch! Und vergiß nicht wieder, dir den Hals zu waschen!«

      In einem Märchenfilm spielte die blutjunge Judy Garland ein Mädchen, das mitsamt ihrem Hündchen von einer Windhose ins Zauberland Oz geweht wurde und da sofort eine abgrundtief böse, grüngesichtige und spitznasige Hexe an den Hacken hatte. Um wieder nachhause zu kommen, brauchte das Mädchen Hilfe von einem Zauberer. Ein ziemlicher Mumpitz, das ganze, mit ’ner lebendigen Vogelscheuche, äpfelschmeißenden Bäumen und reichlich viel Singsang.

       Somewhere over the rainbow

       Bluebirds fly …

      Und dann kam raus, daß alles nur ein Traum gewesen war. Wie blöd!

      Tags darauf stand Mama mittags in meinem Zimmer und sortierte alte Plünnen aus: Jeans mit durchgescheuerten Knien, zu klein gewordene Oberhemden, verfärbte T-Shirts, Gürtel mit kaputter Schnalle und fransigen Kanten, ausgeleierte Unterhosen und Kniestrümpfe mit Kuhllöchern.

      Es war eine weise Entscheidung gewesen, den Stern mit den nackten Nubierinnen nicht in meinem Kleiderschrank zu verstecken.

      Oma Jever rief an, in heller Aufregung: Gustav sei vom Fahrrad gestürzt, in Göttingen, mitten im dicksten Stoßverkehr, und ohnmächtig ins Krankenhaus verbracht worden, in die Chirurgische Poliklinik, wo die Ärzte eine schwere Gehirnerschütterung festgestellt und ihm strengste Bettruhe verordnet hätten. Wenn er zu früh wieder aufstehe, werde er bis an sein Lebensende an Kopfschmerzen laborieren!

      Einfach so, aus heiterem Himmel, sei an dem Rad der Lenker abgebrochen, wegen Materialermüdung möglicherweise, und Gustav, der sich an überhaupt nichts erinnern könne, müsse bei dem Unfall mit dem Kopp auf das Metallgestänge geknallt sein. So reime Gustav sich den Unfallhergang jedenfalls selbst zusammen, im nachhinein.

      »Da hat er ja noch Glück im Unglück gehabt, unser Studiker«, sagte Mama, die als junge Frau auch ganz gern irgendwas studiert hätte, wenn das bezahlbar gewesen wäre, und dann ging sie in die Küche, Stullen schmieren. »Der soll sich bloß nicht so anstellen! Mutti hier mit seinen Wehwehchen zu beeindrucken, das sieht ihm mal wieder ähnlich, dem fetten Kerl!«

      In der EM verpaßten uns die Spanier mit dem 1:0 in der 21. Minute einen Nasenstüber, aber in der zweiten Halbzeit konnte Erich Beer, der tüchtige Herthaner, ausgleichen. 1:1. Die Siegestrauben hatten für beide Mannschaften zu hoch gehangen, und darauf lief es auch hinaus, als wir die C-Jugend von Hesepe zu Gast hatten. Deren Mittelstürmer war ein Brecher im Kaliber von Bud Spencer und rannte mich einfach um. Bumm! Dafür kriegte er einmal die Gelbe Karte, aber viermal walzte er ungestraft über mich hinweg. Daß das Spiel unentschieden ausging, 4:4, hatten wir allein Didis Torinstinkt zu verdanken.

      Nach der Schule kaufte ich mir am Montag bei Meyer den neuesten Spiegel. In der Titelgeschichte ging es um die Frau von Mao Tse-tung und deren Rolle in der chinesischen Politik. Tschiang Tsching, 63, war heiß darauf, als Nachfolgerin ihres Mannes Mao, 82, China zu regieren. Dieses Riesenland! War die denn plemm, die Alte? Hätte die nicht besser daran getan, Pullis für ihre Enkelkinder zu stricken?

      In einer »Hausmitteilung« wurden diverse Schreibweisen des Namens des libyschen Staatschefs aufgelistet: Khadhafi, Ghaddafi, Ghadhafi, Gadaffi, Gadafy, Kazafy, Quaddafi und Gaddafi. »Lübien«, das sagte man, aber geschrieben wurde das: Libyen.

      Im Spiegel stand auch was über den hessischen CDU-Abgeordneten Manfred Kanther, 36, der die Todesstrafe für »Terroristen deutscher Bauart« gefordert habe, über die Schnakenplage am Oberrhein, die Funktionsweise der Selbstschußautomaten an der DDR-Grenze, die Studentenunruhen in Frankreich und die Mammographie, eine maschinelle Art der Durchleuchtung weiblicher Brüste bei der Suche nach Krebszellen.

      Der Radowski gab mir eine Sonatine von Dussek auf. G-Dur, op. 20. Die sollte ich Ende Mai bei einem Konzert in der Musikschule vorspielen. Wenn das nur mal gutging!

      Ich freute mich über die Abwechslung, weil ich endlich Johann Sebastian Bachs erste zweistimmige Invention abhaken durfte, obwohl die immer noch nicht richtig saß, aber das Klavierstück von diesem Dussek war auch keine Erholung. Da verhaute ich mich oft, und bei jedem Fehler kreischte Mama aus der Küche: »Falsch!«

      Ich hätte lieber mal was Flotteres gespielt. Tanzmusik. Boogie-Woogie, Rumba und Cha-Cha-Cha statt immer nur dieses dröge Etüdenzeugs.

      Das Beste, was ich zu meinem vierzehnten Geburtstag geschenkt kriegte, war, außer dem Geld, ein Buch mit Geschichten von Edgar Allan Poe, das Onkel Dietrich mir zugedacht hatte. In dem Brief, der dabeilag, berichtete er vom Terrassenbau in Wiesbaden:

       Du mußt wissen, daß jeder Stein und jeder Krümel Sand an der Straße abgeladen und dann mit der Schubkarre bis zum Haus gebracht werden muß. Alles in allem haben wir 5 m3 Erde und 9 m3 Kies und Sand weggefahren sowie 2800 Steine zur Verwendungsstelle befördert. Zum Nachbarn habe ich eine Wand aus Kalksandsteinen gemauert, die gleichzeitig einen Grill aufnimmt. Den Boden habe ich aus Klinkersteinen gemacht, die wie bei den ostfriesischen Straßen hochkant verlegt worden sind. Auf der Terrasse steht ein runder Betontisch, dessen Platte einen Durchmesser von 1,30 m hat, so daß die gesamte Familie bequem daran Platz findet …

      Irgendwie schien das den Schlossers im Blut zu liegen, dieses ewige Bauen und Basteln und Fliesenlegen. Gut, daß wir hier schon ’ne heile Terrasse hatten, auch wenn Papa das Terrassendach für erneuerungsbedürftig hielt. Das bestand aus irgendeinem durchsichtigen Material, und auf der Oberseite hatten sich fette Blätterplacken angesammelt.

      In einer der Geschichten von Poe stach ein Tierquäler und Säufer seinem schwarzen Kater ein Auge aus und erhängte ihn dann, aber der Kater spukte in seinen Träumen herum, und der verrückte Säufer kaufte sich einen neuen, ebenfalls einäugigen, der ihm bald unheimlich wurde, und als er mit einer Axt nach ihm haute, ging die Frau von dem Säufer dazwischen, und da erschlug er sie mit der Axt und mauerte die Leiche im Keller ein. Und als er der Polizei selbstgewiß die Kellerräumlichkeiten vorführte, fing hinter der Mauer der Kater zu schreien an. Die Polizisten stemmten die Mauer auf, und dahinter hockte der mitsamt der Leiche eingemauerte Kater auf deren Kopf.

      Gut war auch die Geschichte, in der ein Mörder die Leiche seines Opfers unter den Zimmerdielen versteckt hatte. Die Polizei konnte er zwar davon überzeugen, daß der Mann, den er erstickt