Oscar in der alten Fernsehserie Männerwirtschaft, aber dieser Film schien noch älter zu sein. Der war offenkundig das Vorbild für die ganze Serie gewesen.
Die Wohnung gehörte dem schlampigen und verlotterten Trunkenbold und Sportreporter Oscar, und er ließ den von seiner Frau verlassenen Ordnungsfanatiker Felix bei sich wohnen, allerdings nur zähneknirschend, weil der ihm ständig die Sachen hinterherräumte und die schönsten Pokerpartien ruinierte, indem er Oscar und dessen Kontrahenten fettige Appetithäppchen vorsetzte.
Bei Felix Unger und Oscar Madison wäre ich gern eingezogen. In deren Domizil hätte es mehr zu lachen gegeben als in der Georg-Wesener-Straße 47. Felix hätte einen gut bekocht und einem jeden Morgen das Bett gemacht, und an Oscars Seite hätte man Sportveranstaltungen besuchen und Schabernack mit Nachbarinnen treiben können.
Es miechte mal wieder. Ein rauschender Regenguß wäre mir lieber gewesen als dieses tagelang anhaltende Tröpfchengepinkel. Wenn man morgens zur Schule fuhr, konnte man dem Himmel schon ansehen, was los war, und dann saß man in der ersten Stunde mit dem Nachgeschmack naßkalter Anorakbommeln da und durfte sich die Mathescheiße anhören.
Nach der Schule wollte ich mir bei Meyer den neuen Spiegel kaufen, aber es gab keinen, weil die Drucker immer noch streikten. Konnten die sich nicht endlich mal zusammenraufen, die Arbeitgeber und die IG Druck und Papier?
Gustav sei aus dem Krankenhaus entlassen worden, solle aber etwas kürzertreten als gewöhnlich, sagte Oma Jever am Telefon.
Wer das Pech hatte, in einem Buch von Edgar Allan Poe vorzukommen, der konnte sich auf was gefaßt machen. So erging es auch dem Jüngling Arthur Gordon Pym, der sich aus Abenteuerlust als blinder Passagier an Bord eines Walfängers schlich und im Versteck unter Deck fast verhungert und verdurstet wäre. Auf dem Schiff war eine blutige Meuterei ausgebrochen, und dann geriet es auch noch in Seenot, mit dem Ergebnis, daß Pym und drei andere Männer auf dem Wrack im offenen Meer umhertrieben, von Haifischen bedrängt und halb irrsinnig vor Hunger und Durst. Damit sie nicht alle krepierten, schlug einer vor, auszulosen, wer umgebracht werden sollte, um von den Kameraden aufgefressen werden zu können, und das Los traf den, der den Vorschlag gemacht hatte. Ironie des Schicksals!
Und dann fraßen sie den Erstochenen auf, natürlich roh, bis auf die Eingeweide und den Kopf.
Bevor die Rettung in Gestalt eines Segelschiffs nahte, starb der beste Freund von Pym an Wundbrand, aber wenn die beiden Überlebenden gedacht hatten, daß sie in Sicherheit wären, dann hatten sie sich getäuscht: Die Reise ging zum Südpol, immer neuen und unheimlicheren Gefahrenquellen entgegen, bis an die Grenzen des Verstandes und der Welt, und am Ende verlor sich der Erzähler irgendwo im weißen Nichts, umgellt von Vogelschreien: »Tekeli=li! Tekeli=li!«
Das hätte auch Hermann gefallen, und ich empfahl ihm dieses Buch.
Am Mittwoch lag der Spiegel nur als Notausgabe zum Verkauf aus, ohne Inhaltsverzeichnis und mit seltsamen Schrifttypen und einer Titelgeschichte über Korruption in Deutschland: »Und alle wollen sie ein Bakschisch«. Ich schlug das Wort im Volksbrockhaus nach.
B’akschisch [pers.] der, Trinkgeld.
Zu entnehmen war dem Spiegel auch, daß Astrid Lindgren in Schweden 102 % Steuern zahlen müsse und der Filmemacher Ingmar Bergman sogar 139 %. Die hatten ja wohl nicht mehr ihre Sinne beieinander, die Schweden.
Eine Notiz in der Rubrik »Personalien« brachte die mangelhaften Englischkenntnisse des Außenministers der Vereinigten Staaten ans Licht:
Henry Kissinger, 52, deutschstämmiger US-Außenminister, hatte auf einer Pressekonferenz wieder eimal Schwierigkeiten mit der englischen Sprache. Auf die Frage, warum Präsident Ford in einer Wahlkampfrede den kubanischen Regierungschef Castro als »internationalen Gangster« bezeichne, das Außenministerium aber sehr viel schwächere Vokabeln gebrauche, antwortete der Außenminister, der Präsident formuliere seine Kritik eben »more plastic«, während er selber sich komplizierter ausdrücke. Was Kissinger mit »more plastic« meinte, war »plastischer«, die Journalisten jedoch verstanden das Substantiv »plastics«, das in der Sprache als Sammelbegriff für alle Kunststoffe steht, und bohrten nach: »Plastik schmilzt, wenn es heiß wird. Meinten Sie es so?«
Ganz hinten im Heft war etwas über den schlüpfrigen Inhalt eines neuen französischen Spielfilms zu erfahren:
Bei der Erstkommunion drückt Daniel sein wohl eher aus heiliger Erregung steif gewordenes Glied sanft an den Rücken des Mädchens vor ihm, während er für die Hostie Schlange steht … und er erlebt auch die Wonnen, zum erstenmal durch raschelnde Petticoats einen Mädchenschenkel zu spüren.
Wie sich das wohl anfühlte. Den Film hätte ich gern gesehen. Vielleicht würde der ja mal im Fernsehen kommen, im Spätprogramm, wenn Mama und Papa schon schliefen.
Abends klagte Renate am Telefon darüber, daß alle Seminare und Vorlesungen überfüllt seien, und es würden auch dauernd Veranstaltungen ersatzlos gestrichen, und dann kam »Dracula« mit Christopher Lee als Vampir, der in Transsylvanien Menschen nachts das Blut aussaugte und dann auch Appetit auf das Blut der Verlobten eines Besuchers aus England verspürte. Die Tage verschlief Graf Dracula in einem Sarg, weil Sonnenlicht für ihn tödlich war, und nachts ging er auf die Jagd. Wer von ihm gebissen worden war, der verwandelte sich selbst in einen Vampir. Töten konnte man Vampire nur durch Sonnenlicht oder durch einen mitten ins Herz gerammten Holzspieß.
Diesen Gruselfilm kuckten sich auch Volker und Wiebke an. Nur Mama hatte schon nach zwanzig Minuten genug davon und ging raus und mistete die Vorratskammer aus und kam alle paar Minuten wieder rein: »Wem gehört dieser verdreckte Handschuh hier?«
In der letzten Szene zerfiel Graf Dracula im Sonnenschein zu Staub.
Für Anfang Mai war es draußen schon viel zu schwül. Es klebte einem das Hemd am Leib, sobald man in die Sonne ging, und das mußte man leider, wenn man dazu vergattert worden war, Underbergfläschchen einzusammeln, Unkraut zu schöveln und Klee auszurupfen.
Im neuen Stern protestierten Mütter gegen die Zumutung, ihre Säuglinge zu stillen (»Ich bin doch keine Kuh«).
Nach allem, was ich wußte, hatte auch Mama mich als Baby nicht gestillt. Das hätte ihr zu doll wehgetan, weil ich sie beim Stillen immer gebissen hätte, und so sei ich dann eben als Flaschenkind aufgepäppelt worden, nicht anders als meine Geschwister, und denen habe das ja auch nicht geschadet, wie man sehen könne. Renate habe der Speisebrei allerdings gewaltsam reingezwängt werden müssen.
Keine schöne Vorstellung. Aber Mama an den Brüsten zu nuckeln? Es war schon merkwürdig genug, daß ich ihr bei meiner Geburt gesund zwischen den Beinen rausgeflutscht war. 1961 hatte auch Mama das Schlafmittel Contergan eingenommen, ohne daß aus mir ein Contergankind geworden wäre, mit verstümmelten Armen und Beinen.
Im Stern stand auch ein Artikel über den CSU-Abgeordneten Friedrich Zimmermann. Der war mal wegen fahrlässigen Falscheids zu vier Monaten Gefängnis verurteilt und dann doch wieder freigesprochen worden, aufgrund einer medizinischen Expertise, in der gestanden hatte, daß er seinen Eid im Zustand »verminderter geistiger Leistungsfähigkeit« abgelegt habe, wegen einer »Unterzuckerung des Bluts« infolge einer »Überfunktion der Schilddrüse«. Seitdem trug er den Spitznamen »Old Schwurhand«.
Vor dem Gesetz, sagte Mama, seien alle Menschen gleich, aber manche seien eben gleicher. »Besonders die von der CSU!« Bestimmte Bazis würden immer wie Fettaugen obenauf schwimmen, auch wenn sie noch so viele Leichen im Keller hätten.
Die Englandfotos waren immer noch nicht abholbereit.
In Norditalien hatte die Erde gebebt. Hunderte von Toten, und Tante Dagmar war doch gerade da! Stärke 7,1 auf der nach oben offenen Richter-Skala.
»Da hätte sie eben zuhausebleiben sollen, die dumme Kuh«, sagte Papa, der allen Urlaubsreisen generell ablehnend gegenüberstand. Den alten VW hatte er an die Firma Kamps verkloppt und 700 Mark dafür eingehandelt, weil der Motor und die Reifen noch einigermaßen gut waren.