A. F. Morland

5 Romane Auswahlband Ärzte und Schicksale Februar 2019


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schon vor langer Zeit, und an dieser Tatsache hat sich nichts geändert. Vor allem für Bruno Pfaff nicht. Der Zweiundzwanzigjährige liebte es, die Nacht zum Tag zu machen und hielt nichts von ehrlicher Arbeit.

      Regelmäßiges Präsentsein in einer Firma wäre ihm ein unerträgliches Gräuel gewesen. Er wollte frei sein und mit minimalem wirtschaftlichem Einsatz ein Maximum an Kapital erzielen.

      Da dies auf legalem Weg nicht möglich war, traf man ihn zumeist da an, wo die Straßen dunkel und die Geschäfte zwielichtig waren.

      Diebstahl, Hehlerei, Erpressung – nichts von alledem war ihm fremd. Als er vor drei Jahren in die Hansestadt gekommen war, hatte er die Taschen voller Geld gehabt, den großen Mann gespielt und auf großem Fuß gelebt. In den Hinterzimmern von St. Pauli, an illegalen Spieltischen, hätte er sich fast um Kopf und Kragen gespielt. Wenn Rosy, seine Freundin, ihn nicht gebremst hätte, wäre er in einem Schuldensumpf versunken, aus dem es für ihn kein Entrinnen mehr gegeben hätte.

      Rosy Kupfer war zwei Jahre jünger als er und wahrlich nicht übermäßig intelligent, aber selbst sie hatte gemerkt, auf welch rasanter Talfahrt sich Bruno damals befand, und es war ihr gelungen, ihn zu veranlassen, gerade noch rechtzeitig abzuspringen – bevor dies nicht mehr möglich gewesen wäre. Als die rothaarige Rosy ihn kennengelernt hatte, hatte er noch Geld besessen. Inzwischen war er mal blank, dann war er wieder flüssig, um gleich darauf wieder pleite zu sein.

      Mal mussten sie den Gürtel ziemlich eng schnallen, mal konnten sie für kurze Zeit gut leben … Jede andere hätte dieses ermüdende Auf und Ab bald satt gehabt und sich von Bruno Pfaff verabschiedet, die einfältige Rosy Kupfer tat dies jedoch nicht. Sie blieb allen Widernissen zum Trotz bei ihm und hielt zu ihm – weil sie ihn liebte, diesen gutaussehenden Chaoten und Taugenichts.

      Er behandelte sie schlecht, beschimpfte sie oft und schlug sie manchmal, doch sie war nichts Besseres gewöhnt. Sie war mit Schlägen aufgewachsen.

      Das Leben war für sie immer schon hart gewesen, und sie nahm deshalb an, es müsse so sein. Chic hatte Rosy Kupfer absolut keinen. Sie trug stets Röcke, die zu kurz und Pullis, die zu eng waren, schminkte sich wie ein Straßenmädchen und flocht ihr rotes Haar zu dicken Zöpfen.

      Immerhin kam sie mit dieser Aufmachung bei einer gewissen Sorte von Männern großartig an, und deshalb gab es für sie auch keinen Grund, an ihrem wenig damenhaften Outfit etwas zu anderen.

      Sie wohnte im Zentrum des Kiez in einer kleinen, feuchten Kellerwohnung, und Bruno musste zur Zeit froh sein, dass er auch da hausen durfte, denn er war mal wieder bis auf die Socken abgebrannt. Deshalb hatte Rosy ihn auch nervös am Ärmel gezupft, als er die Hand gehoben und „Taxi!“ gerufen hatte. „Können wir uns das leisten?“, hatte sie unsicher gefragt.

      „Klar können wir.“

      „Aber wir haben doch überhaupt kein …“

      „Halt die Luft an, Kleine!“

      „Wir können doch auch zu Fuß gehen!“

      Das Taxi blieb vor ihnen stehen. Bruno Pfaff sah seine Freundin ärgerlich an. „Wer jammert mir schon den ganzen Abend die Ohren voll, dass ihm die neuen Schuhe so verdammt weh tun, hm? Wer? Und wenn ich ein Taxi rufe, weil du anfängst, mir leid zu tun, tut dir auf einmal nichts mehr weh?“

      „Ich dachte doch nur …“

      „Halt’s Maul und steig ein!“ Bruno öffnete den Wagenschlag, und Rosy gehorchte.

      Er setzte sich neben sie, nannte dem Fahrer eine Adresse am Stadtrand, und Rosy dachte: Was wollen wir denn da? Aber sie hatte nicht den Mut, Bruno zu fragen. Sie wollte kein Veilchen riskieren. Ihr Freund war heute nicht besonders gut drauf. War er nie, wenn in seinen Taschen Ebbe herrschte.

      Die Fahrt durch das nächtliche Hamburg war für ihn eine reine Geldbeschaffungsaktion. „Wir schauen heute noch bei Carlo rein“, sagte er gedämpft.

      „Bei Carlo?“ Sie sah ihn verdutzt an. „Da hast du doch Lokalverbot.“

      „Nicht mehr.“ Er grinste breit. „Du bist nicht auf dem Laufenden, Süße. Es fand ein außergerichtlicher Vergleich statt, und nun bin ich bei Carlo wieder willkommen. Du wirst ein paar Highballs an der Bar schlürfen, und ich werde inzwischen die Brüder abzocken.“

      Das wäre mal was Neues, dachte Rosy Kupfer. Bisher war es nämlich immer umgekehrt gelaufen.

      „Mich juckt die linke Hand“, sagte Bruno Pfaff und kratzte die Handfläche. „Weißt du, was das bedeutet?“

      „Nein.“

      „Wenn die rechte Hand juckt, gibt man Geld aus. Wenn die linke juckt, kommt welches rein. Das weißt du nicht?“

      „Nie gehört.“

      Bruno lachte. „Sag mal, bist du hinterm Mond auf gewachsen?“

      „Das ist doch purer Aberglaube.“

      „Ich werde dir in Kürze beweisen, dass das stimmt, dass man sich sogar darauf verlassen kann.“

      „Wie wollen deine Hände denn wissen …“

      Bruno winkte ab. „Das verstehst du nicht. Das ist zu hoch für dich. Mit den paar aufgeweichten Gehirnwindungen, die du in der Birne hast, kannst du das nicht begreifen.“

      Das Taxi erreichte den Stadtrand. Bruno Pfaff wurde unruhig, und in seinen Augen befand sich ein Glanz, der nichts Gutes verhieß.

      Seine Unruhe übertrug sich auf Rosy. Was hat er vor?, fragte sie sich. Liebe Güte, er wird doch nicht … Sie schluckte trocken und hoffte, dass sie sich irrte.

      „Siehst du das schmale Haus dort vorn, Kumpel?“, sagte Bruno mit belegter Stimme zum Taxifahrer.

      Der Mann nickte.

      „Da hältst du an“, sagte Bruno Pfaff.

      Das Fahrzeug legte die letzten Meter zurück. Sobald es zum Stillstand gekommen war, holte Bruno ein Springmesser aus der Tasche, ließ es aufschnappen und setzte es dem Fahrer an die Kehle.

      „Jesus!“, stieß Rosy entsetzt hervor. Ihre Befürchtung hatte sich bewahrheitet.

      „Schnauze!“, herrschte Bruno sie an.

      Der Taxifahrer wagte sich nicht zu regen. Wie zur Salzsäule erstarrt saß er da.

      „Hör zu, Freundchen, ich bin kein Killer“, knurrte Bruno Pfaff. „Ich habe nicht vor, dir was anzutun. Versuch nicht, den Helden zu spielen, dann passiert dir auch nichts, klar? Ist das ’rübergekommen? Hast du das begriffen?“

      Der Taxifahrer nickte vorsichtig. Angstschweiß glänzte auf seiner Stirn. Bruno nahm ihm alles Geld ab, das er bei sich hatte, dann befahl er ihm, auszusteigen.

      „Grundgütiger, was hast du mit ihm vor?“, krächzte Rosy.

      Bruno antwortete nicht. Er konzentrierte sich auf seinen Job. Der Taxifahrer stieg aus. Bruno ging mit ihm um die Ecke. „Bitte“, stöhnte der Mann. „Ich habe Frau und Kinder.“

      „Ich gehe davon aus, du willst sie wiedersehen.“

      „Ja.“ Der Fahrer schluchzte. „Ja.“

      „Dann solltest du mich nicht vergrämen.“

      „Das tue ich nicht, ganz bestimmt nicht.“

      „Du weißt nicht, wer dich beklaut hast, kannst dich nicht erinnern, wie der Typ ausgesehen hat, gibst den Bullen keine Beschreibung von mir oder meiner Braut. Tust du es doch, sehen wir uns wieder, und dann wird deine Familie Trauer tragen.“

      Bruno stand hinter dem Angst schlotternden Taxifahrer. Er schlug ihn bewusstlos und kehrte zu Rosy zurück. Sie starrte ihn entsetzt an. „Mein Gott, Bruno, was hast du mit dem Mann gemacht?“

      „Nichts.“

      „Wieso kommst du ohne